VI. Absch. Unmöglichkeit eines physicotheolog. etc.
Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald ein- sehen, daß der Bescheid auf diese Nachfrage ganz leicht und bündig erwartet werden könne. Denn, wie kan ie- mals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemes- sen seyn solte? Darin besteht eben das Eigenthümliche der lezteren, daß ihr niemals irgend eine Erfahrung congrui- ren könne. Die transscendentale Idee von einem noth- wendigen allgnugsamen Urwesen ist so überschwenglich groß, so hoch über alles Empirische, das iederzeit bedingt ist, erhaben, daß man theils niemals Stoff genug in der Er- fahrung auftreiben kan, um einen solchen Begriff zu fül- len, theils immer unter dem Bedingten herumtappt und stets vergeblich nach dem Unbedingten, wovon uns kein Gesetz irgend einer empirischen Synthesis ein Beispiel, oder dazu die mindeste Leitung giebt, suchen werden.
Würde das höchste Wesen in dieser Kette der Bedin- gungen stehen, so würde es selbst ein Glied der Reihe derselben seyn und, eben so, wie die niedere Glieder, de- nen es vorgesezt ist, noch fernere Untersuchung wegen sei- nes noch höheren Grundes erfodern. Will man es dage- gen von dieser Kette trennen und, als ein blos intelligi- beles Wesen, nicht in der Reihe der Naturursachen mit be- greifen: welche Brücke kan die Vernunft alsdenn wol schla- gen, um zu demselben zu gelangen? Da alle Gesetze des Ueberganges von Wirkungen zu Ursachen, ia alle Synthe- sis und Erweiterung unserer Erkentniß überhaupt auf nichts anderes, als mögliche Erfahrung, mithin blos auf
Gegen-
VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc.
Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald ein- ſehen, daß der Beſcheid auf dieſe Nachfrage ganz leicht und buͤndig erwartet werden koͤnne. Denn, wie kan ie- mals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemeſ- ſen ſeyn ſolte? Darin beſteht eben das Eigenthuͤmliche der lezteren, daß ihr niemals irgend eine Erfahrung congrui- ren koͤnne. Die transſcendentale Idee von einem noth- wendigen allgnugſamen Urweſen iſt ſo uͤberſchwenglich groß, ſo hoch uͤber alles Empiriſche, das iederzeit bedingt iſt, erhaben, daß man theils niemals Stoff genug in der Er- fahrung auftreiben kan, um einen ſolchen Begriff zu fuͤl- len, theils immer unter dem Bedingten herumtappt und ſtets vergeblich nach dem Unbedingten, wovon uns kein Geſetz irgend einer empiriſchen Syntheſis ein Beiſpiel, oder dazu die mindeſte Leitung giebt, ſuchen werden.
Wuͤrde das hoͤchſte Weſen in dieſer Kette der Bedin- gungen ſtehen, ſo wuͤrde es ſelbſt ein Glied der Reihe derſelben ſeyn und, eben ſo, wie die niedere Glieder, de- nen es vorgeſezt iſt, noch fernere Unterſuchung wegen ſei- nes noch hoͤheren Grundes erfodern. Will man es dage- gen von dieſer Kette trennen und, als ein blos intelligi- beles Weſen, nicht in der Reihe der Natururſachen mit be- greifen: welche Bruͤcke kan die Vernunft alsdenn wol ſchla- gen, um zu demſelben zu gelangen? Da alle Geſetze des Ueberganges von Wirkungen zu Urſachen, ia alle Synthe- ſis und Erweiterung unſerer Erkentniß uͤberhaupt auf nichts anderes, als moͤgliche Erfahrung, mithin blos auf
Gegen-
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VI. Abſch. Unmoͤglichkeit eines phyſicotheolog. ꝛc.
Man wird nach allen obigen Bemerkungen bald ein-
ſehen, daß der Beſcheid auf dieſe Nachfrage ganz leicht
und buͤndig erwartet werden koͤnne. Denn, wie kan ie-
mals Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemeſ-
ſen ſeyn ſolte? Darin beſteht eben das Eigenthuͤmliche der
lezteren, daß ihr niemals irgend eine Erfahrung congrui-
ren koͤnne. Die transſcendentale Idee von einem noth-
wendigen allgnugſamen Urweſen iſt ſo uͤberſchwenglich groß,
ſo hoch uͤber alles Empiriſche, das iederzeit bedingt iſt,
erhaben, daß man theils niemals Stoff genug in der Er-
fahrung auftreiben kan, um einen ſolchen Begriff zu fuͤl-
len, theils immer unter dem Bedingten herumtappt und
ſtets vergeblich nach dem Unbedingten, wovon uns kein
Geſetz irgend einer empiriſchen Syntheſis ein Beiſpiel,
oder dazu die mindeſte Leitung giebt, ſuchen werden.
Wuͤrde das hoͤchſte Weſen in dieſer Kette der Bedin-
gungen ſtehen, ſo wuͤrde es ſelbſt ein Glied der Reihe
derſelben ſeyn und, eben ſo, wie die niedere Glieder, de-
nen es vorgeſezt iſt, noch fernere Unterſuchung wegen ſei-
nes noch hoͤheren Grundes erfodern. Will man es dage-
gen von dieſer Kette trennen und, als ein blos intelligi-
beles Weſen, nicht in der Reihe der Natururſachen mit be-
greifen: welche Bruͤcke kan die Vernunft alsdenn wol ſchla-
gen, um zu demſelben zu gelangen? Da alle Geſetze des
Ueberganges von Wirkungen zu Urſachen, ia alle Synthe-
ſis und Erweiterung unſerer Erkentniß uͤberhaupt auf
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/651>, abgerufen am 22.11.2024.
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