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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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V. Absch. Unmöglichkeit eines cosmol. Beweises etc.
und verläßt so gar diese Anleitung, um sich auf lauter
reine Begriffe zu stützen. Was ist nun in diesen trans-
scendentalen Beweisen die Ursache des dialectischen, aber
natürlichen Scheins, welcher die Begriffe der Nothwendig-
keit und höchsten Realität verknüpft und dasienige, was
doch nur Idee seyn kan, realisirt und hypostasirt? Was
ist die Ursache der Unvermeidlichkeit, etwas als an sich
nothwendig unter den existirenden Dingen anzunehmen,
und doch zugleich von dem Daseyn eines solchen Wesens
als einem Abgrunde zurückzubeben, und wie fängt man es
an, daß sich die Vernunft hierüber selbst verstehe und
aus dem schwankenden Zustande eines schüchternen und
immer wiederum zurückgenommenen Beifalls, zur ruhi-
gen Einsicht gelange?

Es ist etwas überaus Merkwürdiges: daß, wenn
man voraussezt, etwas existire, man der Folgerung nicht
Umgang haben kann: daß auch irgend etwas nothwendi-
gerweise existire. Auf diesem ganz natürlichen (obzwar
darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhete das cosmo-
logische Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von
einem Dinge annehmen, welchen ich will, so finde ich, daß
sein Daseyn niemals von mir als schlechterdings nothwen-
dig vorgestellt werden könne, und daß mich nichts hindere,
es mag existiren was da wolle, das Nichtseyn desselben zu
denken, mithin ich zwar zu dem Existirenden überhaupt
etwas Nothwendiges annehmen müsse, kein einziges Ding
aber selbst, als an sich nothwendig, denken könne: Das

heißt:
Q q 4

V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc.
und verlaͤßt ſo gar dieſe Anleitung, um ſich auf lauter
reine Begriffe zu ſtuͤtzen. Was iſt nun in dieſen trans-
ſcendentalen Beweiſen die Urſache des dialectiſchen, aber
natuͤrlichen Scheins, welcher die Begriffe der Nothwendig-
keit und hoͤchſten Realitaͤt verknuͤpft und dasienige, was
doch nur Idee ſeyn kan, realiſirt und hypoſtaſirt? Was
iſt die Urſache der Unvermeidlichkeit, etwas als an ſich
nothwendig unter den exiſtirenden Dingen anzunehmen,
und doch zugleich von dem Daſeyn eines ſolchen Weſens
als einem Abgrunde zuruͤckzubeben, und wie faͤngt man es
an, daß ſich die Vernunft hieruͤber ſelbſt verſtehe und
aus dem ſchwankenden Zuſtande eines ſchuͤchternen und
immer wiederum zuruͤckgenommenen Beifalls, zur ruhi-
gen Einſicht gelange?

Es iſt etwas uͤberaus Merkwuͤrdiges: daß, wenn
man vorausſezt, etwas exiſtire, man der Folgerung nicht
Umgang haben kann: daß auch irgend etwas nothwendi-
gerweiſe exiſtire. Auf dieſem ganz natuͤrlichen (obzwar
darum noch nicht ſicheren) Schluſſe beruhete das cosmo-
logiſche Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von
einem Dinge annehmen, welchen ich will, ſo finde ich, daß
ſein Daſeyn niemals von mir als ſchlechterdings nothwen-
dig vorgeſtellt werden koͤnne, und daß mich nichts hindere,
es mag exiſtiren was da wolle, das Nichtſeyn deſſelben zu
denken, mithin ich zwar zu dem Exiſtirenden uͤberhaupt
etwas Nothwendiges annehmen muͤſſe, kein einziges Ding
aber ſelbſt, als an ſich nothwendig, denken koͤnne: Das

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Q q 4
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[615/0645] V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc. und verlaͤßt ſo gar dieſe Anleitung, um ſich auf lauter reine Begriffe zu ſtuͤtzen. Was iſt nun in dieſen trans- ſcendentalen Beweiſen die Urſache des dialectiſchen, aber natuͤrlichen Scheins, welcher die Begriffe der Nothwendig- keit und hoͤchſten Realitaͤt verknuͤpft und dasienige, was doch nur Idee ſeyn kan, realiſirt und hypoſtaſirt? Was iſt die Urſache der Unvermeidlichkeit, etwas als an ſich nothwendig unter den exiſtirenden Dingen anzunehmen, und doch zugleich von dem Daſeyn eines ſolchen Weſens als einem Abgrunde zuruͤckzubeben, und wie faͤngt man es an, daß ſich die Vernunft hieruͤber ſelbſt verſtehe und aus dem ſchwankenden Zuſtande eines ſchuͤchternen und immer wiederum zuruͤckgenommenen Beifalls, zur ruhi- gen Einſicht gelange? Es iſt etwas uͤberaus Merkwuͤrdiges: daß, wenn man vorausſezt, etwas exiſtire, man der Folgerung nicht Umgang haben kann: daß auch irgend etwas nothwendi- gerweiſe exiſtire. Auf dieſem ganz natuͤrlichen (obzwar darum noch nicht ſicheren) Schluſſe beruhete das cosmo- logiſche Argument. Dagegen mag ich einen Begriff von einem Dinge annehmen, welchen ich will, ſo finde ich, daß ſein Daſeyn niemals von mir als ſchlechterdings nothwen- dig vorgeſtellt werden koͤnne, und daß mich nichts hindere, es mag exiſtiren was da wolle, das Nichtſeyn deſſelben zu denken, mithin ich zwar zu dem Exiſtirenden uͤberhaupt etwas Nothwendiges annehmen muͤſſe, kein einziges Ding aber ſelbſt, als an ſich nothwendig, denken koͤnne: Das heißt: Q q 4

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/645>, abgerufen am 22.11.2024.