V. Absch. Unmöglichkeit eines cosmol. Beweises etc.
des übersteigt gänzlich alle äusserste Bestrebungen, unse- ren Verstand über diesen Punct zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermögens zu be- ruhigen.
Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den lezten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund vor die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhafterhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange den schwindelichten Eindruck nicht auf das Gemüth; denn sie mißt nur die Dauer der Dinge, aber trägt sie nicht. Man kan sich des Gedan- ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra- gen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das Höch- ste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, ausser mir ist nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung blos vor der speculativen Vernunft, der es nichts koste, die eine so wie die andere, ohne die mindeste Hinderniß verschwinden zu lassen.
Viele Kräfte der Natur, die ihr Daseyn durch ge- wisse Wirkungen äussern, bleiben vor uns unerforschlich; denn wir können ihnen durch Beobachtung nicht weit ge- nug nachspühren. Das den Erscheinungen zum Grunde liegende transscendentale Obiect und, mit demselben der Grund, warum unsere Sinnlichkeit diese vielmehr als an-
dere
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V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc.
des uͤberſteigt gaͤnzlich alle aͤuſſerſte Beſtrebungen, unſe- ren Verſtand uͤber dieſen Punct zu befriedigen, aber auch alle Verſuche, ihn wegen dieſes ſeines Unvermoͤgens zu be- ruhigen.
Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den lezten Traͤger aller Dinge, ſo unentbehrlich beduͤrfen, iſt der wahre Abgrund vor die menſchliche Vernunft. Selbſt die Ewigkeit, ſo ſchauderhafterhaben ſie auch ein Haller ſchildern mag, macht lange den ſchwindelichten Eindruck nicht auf das Gemuͤth; denn ſie mißt nur die Dauer der Dinge, aber traͤgt ſie nicht. Man kan ſich des Gedan- ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra- gen: daß ein Weſen, welches wir uns auch als das Hoͤch- ſte unter allen moͤglichen vorſtellen, gleichſam zu ſich ſelbſt ſage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, auſſer mir iſt nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas iſt; aber woher bin ich denn? Hier ſinkt alles unter uns und die groͤßte Vollkommenheit, wie die kleinſte, ſchwebt ohne Haltung blos vor der ſpeculativen Vernunft, der es nichts koſte, die eine ſo wie die andere, ohne die mindeſte Hinderniß verſchwinden zu laſſen.
Viele Kraͤfte der Natur, die ihr Daſeyn durch ge- wiſſe Wirkungen aͤuſſern, bleiben vor uns unerforſchlich; denn wir koͤnnen ihnen durch Beobachtung nicht weit ge- nug nachſpuͤhren. Das den Erſcheinungen zum Grunde liegende transſcendentale Obiect und, mit demſelben der Grund, warum unſere Sinnlichkeit dieſe vielmehr als an-
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V. Abſch. Unmoͤglichkeit eines cosmol. Beweiſes ꝛc.
des uͤberſteigt gaͤnzlich alle aͤuſſerſte Beſtrebungen, unſe-
ren Verſtand uͤber dieſen Punct zu befriedigen, aber auch
alle Verſuche, ihn wegen dieſes ſeines Unvermoͤgens zu be-
ruhigen.
Die unbedingte Nothwendigkeit, die wir, als den
lezten Traͤger aller Dinge, ſo unentbehrlich beduͤrfen, iſt
der wahre Abgrund vor die menſchliche Vernunft. Selbſt
die Ewigkeit, ſo ſchauderhafterhaben ſie auch ein Haller
ſchildern mag, macht lange den ſchwindelichten Eindruck
nicht auf das Gemuͤth; denn ſie mißt nur die Dauer der
Dinge, aber traͤgt ſie nicht. Man kan ſich des Gedan-
ken nicht erwehren, man kan ihn aber auch nicht ertra-
gen: daß ein Weſen, welches wir uns auch als das Hoͤch-
ſte unter allen moͤglichen vorſtellen, gleichſam zu ſich ſelbſt
ſage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, auſſer mir iſt
nichts, ohne das, was blos durch meinen Willen etwas
iſt; aber woher bin ich denn? Hier ſinkt alles unter
uns und die groͤßte Vollkommenheit, wie die kleinſte,
ſchwebt ohne Haltung blos vor der ſpeculativen Vernunft,
der es nichts koſte, die eine ſo wie die andere, ohne die
mindeſte Hinderniß verſchwinden zu laſſen.
Viele Kraͤfte der Natur, die ihr Daſeyn durch ge-
wiſſe Wirkungen aͤuſſern, bleiben vor uns unerforſchlich;
denn wir koͤnnen ihnen durch Beobachtung nicht weit ge-
nug nachſpuͤhren. Das den Erſcheinungen zum Grunde
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Grund, warum unſere Sinnlichkeit dieſe vielmehr als an-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/643>, abgerufen am 22.11.2024.
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