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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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IV. Absch. Unmöglichkeit eines ontolog. Beweises etc.
klüger, in Ansehung der Bedingungen, die es unmöglich
machen, das Nichtseyn eines Dinges als schlechterdings
undenklich anzusehen und die eigentlich dasienige sind, was
man wissen will, nemlich, ob wir uns durch diesen Be-
griff überall etwas denken, oder nicht. Denn alle Be-
dingungen, die der Verstand iederzeit bedarf, um etwas
als nothwendig anzusehen, vermittelst des Worts: Unbe-
dingt,
wegwerfen, macht mir noch lange nicht verständ-
lich, ob ich alsdenn durch einen Begriff eines Unbedingt-
nothwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts
denke.

Noch mehr: diesen auf das blosse Gerathewol ge-
wagten und endlich ganz geläufig gewordenen Begriff hat
man noch dazu durch eine Menge Beispiele zu erklären ge-
glaubt, so, daß alle weitere Nachfrage wegen seiner Ver-
ständlichkeit ganz unnöthig geschienen. Ein ieder Satz
der Geometrie, z. B. daß ein Triangel drey Winkel habe,
ist schlechthin nothwendig und so redete man von einem
Gegenstande, der ganz ausserhalb der Sphäre unseres Ver-
standes liegt, als ob man ganz wol verstände, was man
mit dem Begriffe von ihm sagen wolle.

Alle vorgegebene Beispiele sind ohne Ausnahme nur
von Urtheilen, aber nicht von Dingen und deren Da-
seyn hergenommen. Die unbedingte Nothwendigkeit der
Urtheile aber ist nicht eine absolute Nothwendigkeit der
Sachen. Denn die absolute Nothwendigkeit des Urtheils ist
nur eine bedingte Nothwendigkeit der Sache, oder des

Prädi-
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IV. Abſch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweiſes ꝛc.
kluͤger, in Anſehung der Bedingungen, die es unmoͤglich
machen, das Nichtſeyn eines Dinges als ſchlechterdings
undenklich anzuſehen und die eigentlich dasienige ſind, was
man wiſſen will, nemlich, ob wir uns durch dieſen Be-
griff uͤberall etwas denken, oder nicht. Denn alle Be-
dingungen, die der Verſtand iederzeit bedarf, um etwas
als nothwendig anzuſehen, vermittelſt des Worts: Unbe-
dingt,
wegwerfen, macht mir noch lange nicht verſtaͤnd-
lich, ob ich alsdenn durch einen Begriff eines Unbedingt-
nothwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts
denke.

Noch mehr: dieſen auf das bloſſe Gerathewol ge-
wagten und endlich ganz gelaͤufig gewordenen Begriff hat
man noch dazu durch eine Menge Beiſpiele zu erklaͤren ge-
glaubt, ſo, daß alle weitere Nachfrage wegen ſeiner Ver-
ſtaͤndlichkeit ganz unnoͤthig geſchienen. Ein ieder Satz
der Geometrie, z. B. daß ein Triangel drey Winkel habe,
iſt ſchlechthin nothwendig und ſo redete man von einem
Gegenſtande, der ganz auſſerhalb der Sphaͤre unſeres Ver-
ſtandes liegt, als ob man ganz wol verſtaͤnde, was man
mit dem Begriffe von ihm ſagen wolle.

Alle vorgegebene Beiſpiele ſind ohne Ausnahme nur
von Urtheilen, aber nicht von Dingen und deren Da-
ſeyn hergenommen. Die unbedingte Nothwendigkeit der
Urtheile aber iſt nicht eine abſolute Nothwendigkeit der
Sachen. Denn die abſolute Nothwendigkeit des Urtheils iſt
nur eine bedingte Nothwendigkeit der Sache, oder des

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[593/0623] IV. Abſch. Unmoͤglichkeit eines ontolog. Beweiſes ꝛc. kluͤger, in Anſehung der Bedingungen, die es unmoͤglich machen, das Nichtſeyn eines Dinges als ſchlechterdings undenklich anzuſehen und die eigentlich dasienige ſind, was man wiſſen will, nemlich, ob wir uns durch dieſen Be- griff uͤberall etwas denken, oder nicht. Denn alle Be- dingungen, die der Verſtand iederzeit bedarf, um etwas als nothwendig anzuſehen, vermittelſt des Worts: Unbe- dingt, wegwerfen, macht mir noch lange nicht verſtaͤnd- lich, ob ich alsdenn durch einen Begriff eines Unbedingt- nothwendigen noch etwas, oder vielleicht gar nichts denke. Noch mehr: dieſen auf das bloſſe Gerathewol ge- wagten und endlich ganz gelaͤufig gewordenen Begriff hat man noch dazu durch eine Menge Beiſpiele zu erklaͤren ge- glaubt, ſo, daß alle weitere Nachfrage wegen ſeiner Ver- ſtaͤndlichkeit ganz unnoͤthig geſchienen. Ein ieder Satz der Geometrie, z. B. daß ein Triangel drey Winkel habe, iſt ſchlechthin nothwendig und ſo redete man von einem Gegenſtande, der ganz auſſerhalb der Sphaͤre unſeres Ver- ſtandes liegt, als ob man ganz wol verſtaͤnde, was man mit dem Begriffe von ihm ſagen wolle. Alle vorgegebene Beiſpiele ſind ohne Ausnahme nur von Urtheilen, aber nicht von Dingen und deren Da- ſeyn hergenommen. Die unbedingte Nothwendigkeit der Urtheile aber iſt nicht eine abſolute Nothwendigkeit der Sachen. Denn die abſolute Nothwendigkeit des Urtheils iſt nur eine bedingte Nothwendigkeit der Sache, oder des Praͤdi- P p

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/623>, abgerufen am 22.11.2024.