2) Die Zeit ist eine nothwendige Vorstellung, die al- len Anschauungen zum Grunde liegt. Man kan in An- sehung der Erscheinungen überhaupt die Zeit selbsten nicht aufheben, ob man zwar ganz wol die Erscheinungen aus der Zeit wegnehmen kan. Die Zeit ist also a priori ge- geben. In ihr allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinun- gen möglich. Diese können insgesamt wegfallen, aber sie selbst, als die allgemeine Bedingung ihrer Möglichkeit,) kan nicht aufgehoben werden.
3) Auf diese Nothwendigkeit a priori gründet sich auch die Möglichkeit apodictischer Grundsätze von den Ver- hältnissen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit überhaupt. Sie hat nur eine Dimension: verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nach einander (so wie verschiedene Räume nicht nach einander, sondern zugleich seyn.) Diese Grund- sätze können aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn diese würde weder strenge Allgemeinheit, noch apodictische Gewißheit geben. Wir würden nur sagen können: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, so muß es sich verhalten. Diese Grundsätze gelten als Regeln, unter denen überhaupt Erfahrungen möglich sind und be- lehren uns vor derselben, und nicht durch dieselbe.
4) Die Zeit ist kein discursiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung. Verschiedene Zeiten sind nur Theile
eben
II. Abſchnitt. Von der Zeit.
2) Die Zeit iſt eine nothwendige Vorſtellung, die al- len Anſchauungen zum Grunde liegt. Man kan in An- ſehung der Erſcheinungen uͤberhaupt die Zeit ſelbſten nicht aufheben, ob man zwar ganz wol die Erſcheinungen aus der Zeit wegnehmen kan. Die Zeit iſt alſo a priori ge- geben. In ihr allein iſt alle Wirklichkeit der Erſcheinun- gen moͤglich. Dieſe koͤnnen insgeſamt wegfallen, aber ſie ſelbſt, als die allgemeine Bedingung ihrer Moͤglichkeit,) kan nicht aufgehoben werden.
3) Auf dieſe Nothwendigkeit a priori gruͤndet ſich auch die Moͤglichkeit apodictiſcher Grundſaͤtze von den Ver- haͤltniſſen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit uͤberhaupt. Sie hat nur eine Dimenſion: verſchiedene Zeiten ſind nicht zugleich, ſondern nach einander (ſo wie verſchiedene Raͤume nicht nach einander, ſondern zugleich ſeyn.) Dieſe Grund- ſaͤtze koͤnnen aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn dieſe wuͤrde weder ſtrenge Allgemeinheit, noch apodictiſche Gewißheit geben. Wir wuͤrden nur ſagen koͤnnen: ſo lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, ſo muß es ſich verhalten. Dieſe Grundſaͤtze gelten als Regeln, unter denen uͤberhaupt Erfahrungen moͤglich ſind und be- lehren uns vor derſelben, und nicht durch dieſelbe.
4) Die Zeit iſt kein diſcurſiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, ſondern eine reine Form der ſinnlichen Anſchauung. Verſchiedene Zeiten ſind nur Theile
eben
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II. Abſchnitt. Von der Zeit.
2) Die Zeit iſt eine nothwendige Vorſtellung, die al-
len Anſchauungen zum Grunde liegt. Man kan in An-
ſehung der Erſcheinungen uͤberhaupt die Zeit ſelbſten nicht
aufheben, ob man zwar ganz wol die Erſcheinungen aus
der Zeit wegnehmen kan. Die Zeit iſt alſo a priori ge-
geben. In ihr allein iſt alle Wirklichkeit der Erſcheinun-
gen moͤglich. Dieſe koͤnnen insgeſamt wegfallen, aber ſie
ſelbſt, als die allgemeine Bedingung ihrer Moͤglichkeit,)
kan nicht aufgehoben werden.
3) Auf dieſe Nothwendigkeit a priori gruͤndet ſich
auch die Moͤglichkeit apodictiſcher Grundſaͤtze von den Ver-
haͤltniſſen der Zeit, oder Axiomen von der Zeit uͤberhaupt.
Sie hat nur eine Dimenſion: verſchiedene Zeiten ſind nicht
zugleich, ſondern nach einander (ſo wie verſchiedene Raͤume
nicht nach einander, ſondern zugleich ſeyn.) Dieſe Grund-
ſaͤtze koͤnnen aus der Erfahrung nicht gezogen werden, denn
dieſe wuͤrde weder ſtrenge Allgemeinheit, noch apodictiſche
Gewißheit geben. Wir wuͤrden nur ſagen koͤnnen: ſo
lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, ſo muß
es ſich verhalten. Dieſe Grundſaͤtze gelten als Regeln,
unter denen uͤberhaupt Erfahrungen moͤglich ſind und be-
lehren uns vor derſelben, und nicht durch dieſelbe.
4) Die Zeit iſt kein diſcurſiver, oder, wie man ihn
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ſinnlichen Anſchauung. Verſchiedene Zeiten ſind nur Theile
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/61>, abgerufen am 27.11.2024.
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