Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
Grund iederzeit eine Erscheinung seyn muß. Nun muß die Handlung allerdings unter Naturbedingungen möglich seyn, wenn auf sie das Sollen gerichtet ist; aber diese Naturbedingungen betreffen nicht die Bestimmung der Willkühr selbst, sondern nur die Wirkung und den Erfolg derselben in der Erscheinung. Es mögen noch so viel Na- turgründe seyn, die mich zum Wollen antreiben, noch so viel sinnliche Anreitze, so können sie nicht das Sollen her- vorbringen; sondern nur ein noch lange nicht nothwen- diges, sondern iederzeit bedingtes Wollen, dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht, Maas und Ziel, ia Verbot und Ansehen entgegen sezt. Es mag ein Gegenstand der blossen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder auch der reinen Vernunft (das Gute) seyn: so giebt die Vernunft nicht demienigen Grunde, der empirisch gegeben ist, nach, und folgt nicht der Ordnung der Dinge, so wie sie sich in der Erscheinung darstellen, sondern macht sich mit völliger Spontaneität eine eigene Ordnung nach Ideen, in die sie die empirische Bedingungen hinein paßt, und nach denen sie so gar Handlungen vor nothwendig er- klärt, die doch nicht geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden, von allen aber gleichwol voraussezt, daß die Vernunft in Beziehung auf sie Caussalität haben könne; denn, ohne das, würde sie nicht von ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten.
Nun laßt uns hiebey stehen bleiben und es wenig- stens als Möglich annehmen: die Vernunft habe wirklich
Caus-
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Grund iederzeit eine Erſcheinung ſeyn muß. Nun muß die Handlung allerdings unter Naturbedingungen moͤglich ſeyn, wenn auf ſie das Sollen gerichtet iſt; aber dieſe Naturbedingungen betreffen nicht die Beſtimmung der Willkuͤhr ſelbſt, ſondern nur die Wirkung und den Erfolg derſelben in der Erſcheinung. Es moͤgen noch ſo viel Na- turgruͤnde ſeyn, die mich zum Wollen antreiben, noch ſo viel ſinnliche Anreitze, ſo koͤnnen ſie nicht das Sollen her- vorbringen; ſondern nur ein noch lange nicht nothwen- diges, ſondern iederzeit bedingtes Wollen, dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausſpricht, Maas und Ziel, ia Verbot und Anſehen entgegen ſezt. Es mag ein Gegenſtand der bloſſen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder auch der reinen Vernunft (das Gute) ſeyn: ſo giebt die Vernunft nicht demienigen Grunde, der empiriſch gegeben iſt, nach, und folgt nicht der Ordnung der Dinge, ſo wie ſie ſich in der Erſcheinung darſtellen, ſondern macht ſich mit voͤlliger Spontaneitaͤt eine eigene Ordnung nach Ideen, in die ſie die empiriſche Bedingungen hinein paßt, und nach denen ſie ſo gar Handlungen vor nothwendig er- klaͤrt, die doch nicht geſchehen ſind und vielleicht nicht geſchehen werden, von allen aber gleichwol vorausſezt, daß die Vernunft in Beziehung auf ſie Cauſſalitaͤt haben koͤnne; denn, ohne das, wuͤrde ſie nicht von ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten.
Nun laßt uns hiebey ſtehen bleiben und es wenig- ſtens als Moͤglich annehmen: die Vernunft habe wirklich
Cauſ-
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Grund iederzeit eine Erſcheinung ſeyn muß. Nun muß
die Handlung allerdings unter Naturbedingungen moͤglich
ſeyn, wenn auf ſie das Sollen gerichtet iſt; aber dieſe
Naturbedingungen betreffen nicht die Beſtimmung der
Willkuͤhr ſelbſt, ſondern nur die Wirkung und den Erfolg
derſelben in der Erſcheinung. Es moͤgen noch ſo viel Na-
turgruͤnde ſeyn, die mich zum Wollen antreiben, noch ſo
viel ſinnliche Anreitze, ſo koͤnnen ſie nicht das Sollen her-
vorbringen; ſondern nur ein noch lange nicht nothwen-
diges, ſondern iederzeit bedingtes Wollen, dem dagegen
das Sollen, das die Vernunft ausſpricht, Maas und
Ziel, ia Verbot und Anſehen entgegen ſezt. Es mag ein
Gegenſtand der bloſſen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder
auch der reinen Vernunft (das Gute) ſeyn: ſo giebt die
Vernunft nicht demienigen Grunde, der empiriſch gegeben
iſt, nach, und folgt nicht der Ordnung der Dinge, ſo
wie ſie ſich in der Erſcheinung darſtellen, ſondern macht
ſich mit voͤlliger Spontaneitaͤt eine eigene Ordnung nach
Ideen, in die ſie die empiriſche Bedingungen hinein paßt,
und nach denen ſie ſo gar Handlungen vor nothwendig er-
klaͤrt, die doch nicht geſchehen ſind und vielleicht nicht
geſchehen werden, von allen aber gleichwol vorausſezt,
daß die Vernunft in Beziehung auf ſie Cauſſalitaͤt haben
koͤnne; denn, ohne das, wuͤrde ſie nicht von ihren Ideen
Wirkungen in der Erfahrung erwarten.
Nun laßt uns hiebey ſtehen bleiben und es wenig-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/578>, abgerufen am 22.11.2024.
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