Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
voraussezt, da die Sinnenwelt aber dergleichen nicht ent- hält: so kan die Rede niemals mehr von der absoluten Grösse der Reihen in derselben seyn, ob sie begränzt, oder an sich unbegränzt seyn mögen, sondern nur, wie weit wir im empirischen Regressus, bey Zurückführung der Er- fahrung auf ihre Bedingungen, zurückgehen sollen, um nach der Regel der Vernunft bey keiner andern, als dem Gegenstande angemessenen Beantwortung der Fragen der- [s]elben stehen zu bleiben.
Es ist also nur die Gültigkeit des Vernunftprin- cip's, als einer Regel der Fortsetzung und Grösse einer möglichen Erfahrung, die uns allein übrig bleibt, nachdem sei- ne Ungültigkeit, als eines constitutiven Grundsatzes der Er- scheinungen an sich selbst, hinlänglich dargethan worden. Auch wird, wenn wir iene ungezweifelt vor Augen legen können, der Streit der Vernunft mit sich selbst völlig geendigt, indem nicht allein durch critische Auflösung der Schein, der sie mit sich entzweiete, aufgehoben worden, sondern an dessen Statt der Sinn, in welchem sie mit sich selbst zusammenstimt und dessen Mißdeutung allein den Streit veranlaßte, aufgeschlossen und ein sonst dialectischer Grundsatz in einen doctrinalen verwandelt wird. In der That, wenn dieser, seiner subiectiven Bedeutung nach, den größtmöglichen Verstandesgebrauch in der Erfahrung den Gegenständen derselben angemessen zu bestimmen, be- währet werden kan: so ist es gerade eben so viel, als ob
er
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
vorausſezt, da die Sinnenwelt aber dergleichen nicht ent- haͤlt: ſo kan die Rede niemals mehr von der abſoluten Groͤſſe der Reihen in derſelben ſeyn, ob ſie begraͤnzt, oder an ſich unbegraͤnzt ſeyn moͤgen, ſondern nur, wie weit wir im empiriſchen Regreſſus, bey Zuruͤckfuͤhrung der Er- fahrung auf ihre Bedingungen, zuruͤckgehen ſollen, um nach der Regel der Vernunft bey keiner andern, als dem Gegenſtande angemeſſenen Beantwortung der Fragen der- [ſ]elben ſtehen zu bleiben.
Es iſt alſo nur die Guͤltigkeit des Vernunftprin- cip’s, als einer Regel der Fortſetzung und Groͤſſe einer moͤglichen Erfahrung, die uns allein uͤbrig bleibt, nachdem ſei- ne Unguͤltigkeit, als eines conſtitutiven Grundſatzes der Er- ſcheinungen an ſich ſelbſt, hinlaͤnglich dargethan worden. Auch wird, wenn wir iene ungezweifelt vor Augen legen koͤnnen, der Streit der Vernunft mit ſich ſelbſt voͤllig geendigt, indem nicht allein durch critiſche Aufloͤſung der Schein, der ſie mit ſich entzweiete, aufgehoben worden, ſondern an deſſen Statt der Sinn, in welchem ſie mit ſich ſelbſt zuſammenſtimt und deſſen Mißdeutung allein den Streit veranlaßte, aufgeſchloſſen und ein ſonſt dialectiſcher Grundſatz in einen doctrinalen verwandelt wird. In der That, wenn dieſer, ſeiner ſubiectiven Bedeutung nach, den groͤßtmoͤglichen Verſtandesgebrauch in der Erfahrung den Gegenſtaͤnden derſelben angemeſſen zu beſtimmen, be- waͤhret werden kan: ſo iſt es gerade eben ſo viel, als ob
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
vorausſezt, da die Sinnenwelt aber dergleichen nicht ent-
haͤlt: ſo kan die Rede niemals mehr von der abſoluten
Groͤſſe der Reihen in derſelben ſeyn, ob ſie begraͤnzt, oder
an ſich unbegraͤnzt ſeyn moͤgen, ſondern nur, wie weit
wir im empiriſchen Regreſſus, bey Zuruͤckfuͤhrung der Er-
fahrung auf ihre Bedingungen, zuruͤckgehen ſollen, um
nach der Regel der Vernunft bey keiner andern, als dem
Gegenſtande angemeſſenen Beantwortung der Fragen der-
ſelben ſtehen zu bleiben.
Es iſt alſo nur die Guͤltigkeit des Vernunftprin-
cip’s, als einer Regel der Fortſetzung und Groͤſſe einer
moͤglichen Erfahrung, die uns allein uͤbrig bleibt, nachdem ſei-
ne Unguͤltigkeit, als eines conſtitutiven Grundſatzes der Er-
ſcheinungen an ſich ſelbſt, hinlaͤnglich dargethan worden.
Auch wird, wenn wir iene ungezweifelt vor Augen legen
koͤnnen, der Streit der Vernunft mit ſich ſelbſt voͤllig
geendigt, indem nicht allein durch critiſche Aufloͤſung der
Schein, der ſie mit ſich entzweiete, aufgehoben worden,
ſondern an deſſen Statt der Sinn, in welchem ſie mit ſich
ſelbſt zuſammenſtimt und deſſen Mißdeutung allein den
Streit veranlaßte, aufgeſchloſſen und ein ſonſt dialectiſcher
Grundſatz in einen doctrinalen verwandelt wird. In
der That, wenn dieſer, ſeiner ſubiectiven Bedeutung nach,
den groͤßtmoͤglichen Verſtandesgebrauch in der Erfahrung
den Gegenſtaͤnden derſelben angemeſſen zu beſtimmen, be-
waͤhret werden kan: ſo iſt es gerade eben ſo viel, als ob
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/546>, abgerufen am 22.11.2024.
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