VIII. Absch. Regulatives Princip d. r. Vernunft etc.
ner Erscheinungen einen Regressus gebietet, dem es nie- mals erlaubt ist, bey einem Schlechthinunbedingten stehen zu bleiben. Er ist also kein Principium der Möglichkeit der Erfahrung und der empirischen Erkentniß der Gegen- stände der Sinne, mithin kein Grundsatz des Verstandes; denn iede Erfahrung ist in ihren Gränzen (der gegebenen Anschauung gemäß) eingeschlossen, auch kein constitutives Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt über alle mögliche Erfahrung zu erweitern, sondern ein Grund- satz der größtmöglichen Fortsetzung und Erweiterung der Erfahrung, nach welchem keine empirische Gränze vor ab- solute Gränze gelten muß, also ein Principium der Ver- nunft, welches, als Regel, postulirt, was von uns im Regressus geschehen soll, und nicht anticipirt, was im Obiecte vor allem Regressus an sich gegeben ist. Daher nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin- gegen der Grundsatz der absoluten Totalität der Reihe der Bedingungen, als im Obiecte (den Erscheinungen) an sich selbst gegeben, ein constitutives cosmologisches Prin- cip seyn würde, dessen Nichtigkeit ich eben durch diese Unterscheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol- len: daß man nicht, wie sonst unvermeidlich geschieht, (durch transscendentale Subreption) einer Idee, welche blos zur Regel dient, obiective Realität beymesse.
Um nun den Sinn dieser Regel der reinen Vernunft gehörig zu bestimmen, so ist zuvörderst zu bemerken: daß
sie
VIII. Abſch. Regulatives Princip d. r. Vernunft ꝛc.
ner Erſcheinungen einen Regreſſus gebietet, dem es nie- mals erlaubt iſt, bey einem Schlechthinunbedingten ſtehen zu bleiben. Er iſt alſo kein Principium der Moͤglichkeit der Erfahrung und der empiriſchen Erkentniß der Gegen- ſtaͤnde der Sinne, mithin kein Grundſatz des Verſtandes; denn iede Erfahrung iſt in ihren Graͤnzen (der gegebenen Anſchauung gemaͤß) eingeſchloſſen, auch kein conſtitutives Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt uͤber alle moͤgliche Erfahrung zu erweitern, ſondern ein Grund- ſatz der groͤßtmoͤglichen Fortſetzung und Erweiterung der Erfahrung, nach welchem keine empiriſche Graͤnze vor ab- ſolute Graͤnze gelten muß, alſo ein Principium der Ver- nunft, welches, als Regel, poſtulirt, was von uns im Regreſſus geſchehen ſoll, und nicht anticipirt, was im Obiecte vor allem Regreſſus an ſich gegeben iſt. Daher nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin- gegen der Grundſatz der abſoluten Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, als im Obiecte (den Erſcheinungen) an ſich ſelbſt gegeben, ein conſtitutives cosmologiſches Prin- cip ſeyn wuͤrde, deſſen Nichtigkeit ich eben durch dieſe Unterſcheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol- len: daß man nicht, wie ſonſt unvermeidlich geſchieht, (durch transſcendentale Subreption) einer Idee, welche blos zur Regel dient, obiective Realitaͤt beymeſſe.
Um nun den Sinn dieſer Regel der reinen Vernunft gehoͤrig zu beſtimmen, ſo iſt zuvoͤrderſt zu bemerken: daß
ſie
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VIII. Abſch. Regulatives Princip d. r. Vernunft ꝛc.
ner Erſcheinungen einen Regreſſus gebietet, dem es nie-
mals erlaubt iſt, bey einem Schlechthinunbedingten ſtehen
zu bleiben. Er iſt alſo kein Principium der Moͤglichkeit
der Erfahrung und der empiriſchen Erkentniß der Gegen-
ſtaͤnde der Sinne, mithin kein Grundſatz des Verſtandes;
denn iede Erfahrung iſt in ihren Graͤnzen (der gegebenen
Anſchauung gemaͤß) eingeſchloſſen, auch kein conſtitutives
Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt uͤber
alle moͤgliche Erfahrung zu erweitern, ſondern ein Grund-
ſatz der groͤßtmoͤglichen Fortſetzung und Erweiterung der
Erfahrung, nach welchem keine empiriſche Graͤnze vor ab-
ſolute Graͤnze gelten muß, alſo ein Principium der Ver-
nunft, welches, als Regel, poſtulirt, was von uns im
Regreſſus geſchehen ſoll, und nicht anticipirt, was im
Obiecte vor allem Regreſſus an ſich gegeben iſt. Daher
nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin-
gegen der Grundſatz der abſoluten Totalitaͤt der Reihe der
Bedingungen, als im Obiecte (den Erſcheinungen) an
ſich ſelbſt gegeben, ein conſtitutives cosmologiſches Prin-
cip ſeyn wuͤrde, deſſen Nichtigkeit ich eben durch dieſe
Unterſcheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol-
len: daß man nicht, wie ſonſt unvermeidlich geſchieht,
(durch transſcendentale Subreption) einer Idee, welche
blos zur Regel dient, obiective Realitaͤt beymeſſe.
Um nun den Sinn dieſer Regel der reinen Vernunft
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/539>, abgerufen am 22.11.2024.
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