Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
Hiesse es aber: die Welt ist entweder unendlich, oder end- lich (nichtunendlich) so könten beide falsch seyn. Denn ich sehe alsdenn die Welt, als an sich selbst, ihrer Grösse nach bestimt an, indem ich in dem Gegensatz nicht blos die Unendlichkeit aufhebe und, mit ihr, vielleicht ihre ganze abgesonderte Existenz, sondern eine Bestimmung zur Welt, als einem an sich selbst wirklichen Dinge, hinzusetze, welches eben so wol fasch seyn kan, wenn nemlich die Welt gar nicht als ein Ding an sich, mithin auch nicht ihrer Grösse nach, weder als unendlich, noch als endlich gegeben seyn solte. Man erlaube mir: daß ich derglei- chen Entgegensetzung die dialectische, die des Widerspruchs aber, die analytische Opposition nennen darf. Also können von zwey dialectisch einander entgegengesezten Ur- theilen alle beide falsch seyn, darum, weil eines dem an- dern nicht blos widerspricht, sondern etwas mehr sagt, als zum Widerspruche erfoderlich ist.
Wenn man die zwey Sätze: die Welt ist der Grösse nach unendlich, die Welt ist ihrer Grösse nach endlich, als einander contradictorisch entgegengesetzte ansieht, so nimt man an, daß die Welt (die ganze Reihe der Erscheinun- gen) ein Ding an sich selbst sey. Denn sie bleibt, ich mag den unendlichen oder endlichen Regressus in der Reihe ihrer Erscheinungen aufheben. Nehme ich aber diese Vor- aussetzung, oder diesen transscendentalen Schein weg, und läugne, daß sie ein Ding an sich selbst sey, so verwandelt
sich
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Hieſſe es aber: die Welt iſt entweder unendlich, oder end- lich (nichtunendlich) ſo koͤnten beide falſch ſeyn. Denn ich ſehe alsdenn die Welt, als an ſich ſelbſt, ihrer Groͤſſe nach beſtimt an, indem ich in dem Gegenſatz nicht blos die Unendlichkeit aufhebe und, mit ihr, vielleicht ihre ganze abgeſonderte Exiſtenz, ſondern eine Beſtimmung zur Welt, als einem an ſich ſelbſt wirklichen Dinge, hinzuſetze, welches eben ſo wol faſch ſeyn kan, wenn nemlich die Welt gar nicht als ein Ding an ſich, mithin auch nicht ihrer Groͤſſe nach, weder als unendlich, noch als endlich gegeben ſeyn ſolte. Man erlaube mir: daß ich derglei- chen Entgegenſetzung die dialectiſche, die des Widerſpruchs aber, die analytiſche Oppoſition nennen darf. Alſo koͤnnen von zwey dialectiſch einander entgegengeſezten Ur- theilen alle beide falſch ſeyn, darum, weil eines dem an- dern nicht blos widerſpricht, ſondern etwas mehr ſagt, als zum Widerſpruche erfoderlich iſt.
Wenn man die zwey Saͤtze: die Welt iſt der Groͤſſe nach unendlich, die Welt iſt ihrer Groͤſſe nach endlich, als einander contradictoriſch entgegengeſetzte anſieht, ſo nimt man an, daß die Welt (die ganze Reihe der Erſcheinun- gen) ein Ding an ſich ſelbſt ſey. Denn ſie bleibt, ich mag den unendlichen oder endlichen Regreſſus in der Reihe ihrer Erſcheinungen aufheben. Nehme ich aber dieſe Vor- ausſetzung, oder dieſen transſcendentalen Schein weg, und laͤugne, daß ſie ein Ding an ſich ſelbſt ſey, ſo verwandelt
ſich
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Hieſſe es aber: die Welt iſt entweder unendlich, oder end-
lich (nichtunendlich) ſo koͤnten beide falſch ſeyn. Denn
ich ſehe alsdenn die Welt, als an ſich ſelbſt, ihrer Groͤſſe
nach beſtimt an, indem ich in dem Gegenſatz nicht blos
die Unendlichkeit aufhebe und, mit ihr, vielleicht ihre
ganze abgeſonderte Exiſtenz, ſondern eine Beſtimmung zur
Welt, als einem an ſich ſelbſt wirklichen Dinge, hinzuſetze,
welches eben ſo wol faſch ſeyn kan, wenn nemlich die
Welt gar nicht als ein Ding an ſich, mithin auch nicht
ihrer Groͤſſe nach, weder als unendlich, noch als endlich
gegeben ſeyn ſolte. Man erlaube mir: daß ich derglei-
chen Entgegenſetzung die dialectiſche, die des Widerſpruchs
aber, die analytiſche Oppoſition nennen darf. Alſo
koͤnnen von zwey dialectiſch einander entgegengeſezten Ur-
theilen alle beide falſch ſeyn, darum, weil eines dem an-
dern nicht blos widerſpricht, ſondern etwas mehr ſagt,
als zum Widerſpruche erfoderlich iſt.
Wenn man die zwey Saͤtze: die Welt iſt der Groͤſſe
nach unendlich, die Welt iſt ihrer Groͤſſe nach endlich, als
einander contradictoriſch entgegengeſetzte anſieht, ſo nimt
man an, daß die Welt (die ganze Reihe der Erſcheinun-
gen) ein Ding an ſich ſelbſt ſey. Denn ſie bleibt, ich
mag den unendlichen oder endlichen Regreſſus in der Reihe
ihrer Erſcheinungen aufheben. Nehme ich aber dieſe Vor-
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laͤugne, daß ſie ein Ding an ſich ſelbſt ſey, ſo verwandelt
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/534>, abgerufen am 25.11.2024.
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