Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
sen Weg der Beilegung eines nicht abzuurtheilenden Streits wollen wir iezt einschlagen.
Der eleatische Zeno, ein subtiler Dialectiker ist schon vom Plato als ein muthwilliger Sophist darüber sehr getadelt worden, daß er, um seine Kunst zu zeigen, einer- ley Satz durch scheinbare Argumente zu beweisen und bald darauf durch andere eben so starke wieder umzustürzen suchte. Er behauptete: Gott (vermuthlich war es bey ihm nichts als die Welt) sey weder endlich, noch unend- lich, er sey weder in Bewegung, noch in Ruhe, sey keinem an- dern Dinge weder ähnlich, noch unähnlich. Es schien denen, die ihn hierüber beurtheilten, er habe zwey einander wider- sprechende Sätze gänzlich abläugnen wollen, welches un- gereimt ist. Allein ich finde nicht: daß ihm dieses mit Recht zur Last gelegt werden könne. Den ersteren dieser Sätze werde ich bald näher beleuchten. Was die übrige betrift, wenn er unter dem Worte: Gott, das Univer- sum verstand, so mußte er allerdings sagen: daß dieses we- der in seinem Orte beharrlich gegenwärtig (in Ruhe) sey, noch denselben verändere (sich bewege), weil alle Oerter nur im Univers, dieses selbst also in keinem Orte ist. Wenn das Weltall alles, was existirt, in sich faßt, so ist es auch so fern keinem andern Dinge, weder ähnlich, noch unähnlich, weil es ausser ihm kein anderes Ding giebt, mit dem es könte verglichen werden. Wenn zwey
ein-
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſen Weg der Beilegung eines nicht abzuurtheilenden Streits wollen wir iezt einſchlagen.
Der eleatiſche Zeno, ein ſubtiler Dialectiker iſt ſchon vom Plato als ein muthwilliger Sophiſt daruͤber ſehr getadelt worden, daß er, um ſeine Kunſt zu zeigen, einer- ley Satz durch ſcheinbare Argumente zu beweiſen und bald darauf durch andere eben ſo ſtarke wieder umzuſtuͤrzen ſuchte. Er behauptete: Gott (vermuthlich war es bey ihm nichts als die Welt) ſey weder endlich, noch unend- lich, er ſey weder in Bewegung, noch in Ruhe, ſey keinem an- dern Dinge weder aͤhnlich, noch unaͤhnlich. Es ſchien denen, die ihn hieruͤber beurtheilten, er habe zwey einander wider- ſprechende Saͤtze gaͤnzlich ablaͤugnen wollen, welches un- gereimt iſt. Allein ich finde nicht: daß ihm dieſes mit Recht zur Laſt gelegt werden koͤnne. Den erſteren dieſer Saͤtze werde ich bald naͤher beleuchten. Was die uͤbrige betrift, wenn er unter dem Worte: Gott, das Univer- ſum verſtand, ſo mußte er allerdings ſagen: daß dieſes we- der in ſeinem Orte beharrlich gegenwaͤrtig (in Ruhe) ſey, noch denſelben veraͤndere (ſich bewege), weil alle Oerter nur im Univers, dieſes ſelbſt alſo in keinem Orte iſt. Wenn das Weltall alles, was exiſtirt, in ſich faßt, ſo iſt es auch ſo fern keinem andern Dinge, weder aͤhnlich, noch unaͤhnlich, weil es auſſer ihm kein anderes Ding giebt, mit dem es koͤnte verglichen werden. Wenn zwey
ein-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><pbfacs="#f0532"n="502"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">II.</hi> Hauptſt.</fw><lb/>ſen Weg der Beilegung eines nicht abzuurtheilenden Streits<lb/>
wollen wir iezt einſchlagen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Der eleatiſche <hirendition="#fr">Zeno</hi>, ein ſubtiler Dialectiker iſt<lb/>ſchon vom Plato als ein muthwilliger Sophiſt daruͤber ſehr<lb/>
getadelt worden, daß er, um ſeine Kunſt zu zeigen, einer-<lb/>
ley Satz durch ſcheinbare Argumente zu beweiſen und bald<lb/>
darauf durch andere eben ſo ſtarke wieder umzuſtuͤrzen<lb/>ſuchte. Er behauptete: Gott (vermuthlich war es bey<lb/>
ihm nichts als die Welt) ſey weder endlich, noch unend-<lb/>
lich, er ſey weder in Bewegung, noch in Ruhe, ſey keinem an-<lb/>
dern Dinge weder aͤhnlich, noch unaͤhnlich. Es ſchien denen,<lb/>
die ihn hieruͤber beurtheilten, er habe zwey einander wider-<lb/>ſprechende Saͤtze gaͤnzlich ablaͤugnen wollen, welches un-<lb/>
gereimt iſt. Allein ich finde nicht: daß ihm dieſes mit<lb/>
Recht zur Laſt gelegt werden koͤnne. Den erſteren dieſer<lb/>
Saͤtze werde ich bald naͤher beleuchten. Was die uͤbrige<lb/>
betrift, wenn er unter dem Worte: Gott, das Univer-<lb/>ſum verſtand, ſo mußte er allerdings ſagen: daß dieſes we-<lb/>
der in ſeinem Orte beharrlich gegenwaͤrtig (in Ruhe) ſey,<lb/>
noch denſelben veraͤndere (ſich bewege), weil alle Oerter<lb/>
nur im Univers, dieſes ſelbſt alſo in keinem Orte iſt.<lb/>
Wenn das Weltall alles, was exiſtirt, in ſich faßt, ſo<lb/>
iſt es auch ſo fern keinem andern Dinge, weder aͤhnlich,<lb/>
noch unaͤhnlich, weil es auſſer ihm kein anderes Ding<lb/>
giebt, mit dem es koͤnte verglichen werden. Wenn zwey<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ein-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[502/0532]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
ſen Weg der Beilegung eines nicht abzuurtheilenden Streits
wollen wir iezt einſchlagen.
Der eleatiſche Zeno, ein ſubtiler Dialectiker iſt
ſchon vom Plato als ein muthwilliger Sophiſt daruͤber ſehr
getadelt worden, daß er, um ſeine Kunſt zu zeigen, einer-
ley Satz durch ſcheinbare Argumente zu beweiſen und bald
darauf durch andere eben ſo ſtarke wieder umzuſtuͤrzen
ſuchte. Er behauptete: Gott (vermuthlich war es bey
ihm nichts als die Welt) ſey weder endlich, noch unend-
lich, er ſey weder in Bewegung, noch in Ruhe, ſey keinem an-
dern Dinge weder aͤhnlich, noch unaͤhnlich. Es ſchien denen,
die ihn hieruͤber beurtheilten, er habe zwey einander wider-
ſprechende Saͤtze gaͤnzlich ablaͤugnen wollen, welches un-
gereimt iſt. Allein ich finde nicht: daß ihm dieſes mit
Recht zur Laſt gelegt werden koͤnne. Den erſteren dieſer
Saͤtze werde ich bald naͤher beleuchten. Was die uͤbrige
betrift, wenn er unter dem Worte: Gott, das Univer-
ſum verſtand, ſo mußte er allerdings ſagen: daß dieſes we-
der in ſeinem Orte beharrlich gegenwaͤrtig (in Ruhe) ſey,
noch denſelben veraͤndere (ſich bewege), weil alle Oerter
nur im Univers, dieſes ſelbſt alſo in keinem Orte iſt.
Wenn das Weltall alles, was exiſtirt, in ſich faßt, ſo
iſt es auch ſo fern keinem andern Dinge, weder aͤhnlich,
noch unaͤhnlich, weil es auſſer ihm kein anderes Ding
giebt, mit dem es koͤnte verglichen werden. Wenn zwey
ein-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/532>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.