V. Absch. Seeptische Vorstellung aller cosmol. etc.
Ist aber, eurer Meinung nach, alles, was zur Welt (es sey als Bedingt oder als Bedingung) gehöret, zu- fällig: so ist iede euch gegebene Existenz vor euren Begriff zu klein. Denn sie nöthigt euch, euch noch immer nach ei- ner andern Existenz umzusehen, von der sie abhängig ist.
Wir haben in allen diesen Fällen gesagt: daß die Weltidee vor den empirischen Regressus, mithin ieden möglichen Verstandesbegriff entweder zu groß, oder auch vor denselben zu klein sey. Warum haben wir uns nicht umgekehrt ausgedrückt und gesagt: daß, im ersteren Falle, der empirische Begriff vor die Idee iederzeit zu klein, im zweiten aber zu groß sey und mithin gleichsam die Schuld auf dem empirischen Regressus hafte, an statt, daß wir die cosmologische Idee anklageten, daß sie im Zuviel oder Zuwenig von ihrem Zwecke, nemlich der möglichen Erfah- rung abwich? Der Grund war dieser. Mögliche Erfah- rung ist das, was unseren Begriffen allein Realität geben kan; ohne das ist aller Begriff nur Idee, ohne Wahrheit und Beziehung auf einen Gegenstand. Daher war der mögliche empirische Begriff das Richtmaas, wornach die Idee beurtheilt werden mußte, ob sie blosse Idee und Ge- dankending sey, oder in der Welt ihren Gegenstand antref- fe. Denn man sagt nur von demienigen, daß es verhält- nißweise auf etwas anderes zu groß oder zu klein sey, was nur um dieses lezteren willen angenommen wird, und dar- nach eingerichtet seyn muß. Zu dem Spielwerke der al-
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V. Abſch. Seeptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc.
Iſt aber, eurer Meinung nach, alles, was zur Welt (es ſey als Bedingt oder als Bedingung) gehoͤret, zu- faͤllig: ſo iſt iede euch gegebene Exiſtenz vor euren Begriff zu klein. Denn ſie noͤthigt euch, euch noch immer nach ei- ner andern Exiſtenz umzuſehen, von der ſie abhaͤngig iſt.
Wir haben in allen dieſen Faͤllen geſagt: daß die Weltidee vor den empiriſchen Regreſſus, mithin ieden moͤglichen Verſtandesbegriff entweder zu groß, oder auch vor denſelben zu klein ſey. Warum haben wir uns nicht umgekehrt ausgedruͤckt und geſagt: daß, im erſteren Falle, der empiriſche Begriff vor die Idee iederzeit zu klein, im zweiten aber zu groß ſey und mithin gleichſam die Schuld auf dem empiriſchen Regreſſus hafte, an ſtatt, daß wir die cosmologiſche Idee anklageten, daß ſie im Zuviel oder Zuwenig von ihrem Zwecke, nemlich der moͤglichen Erfah- rung abwich? Der Grund war dieſer. Moͤgliche Erfah- rung iſt das, was unſeren Begriffen allein Realitaͤt geben kan; ohne das iſt aller Begriff nur Idee, ohne Wahrheit und Beziehung auf einen Gegenſtand. Daher war der moͤgliche empiriſche Begriff das Richtmaas, wornach die Idee beurtheilt werden mußte, ob ſie bloſſe Idee und Ge- dankending ſey, oder in der Welt ihren Gegenſtand antref- fe. Denn man ſagt nur von demienigen, daß es verhaͤlt- nißweiſe auf etwas anderes zu groß oder zu klein ſey, was nur um dieſes lezteren willen angenommen wird, und dar- nach eingerichtet ſeyn muß. Zu dem Spielwerke der al-
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V. Abſch. Seeptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc.
Iſt aber, eurer Meinung nach, alles, was zur
Welt (es ſey als Bedingt oder als Bedingung) gehoͤret, zu-
faͤllig: ſo iſt iede euch gegebene Exiſtenz vor euren Begriff
zu klein. Denn ſie noͤthigt euch, euch noch immer nach ei-
ner andern Exiſtenz umzuſehen, von der ſie abhaͤngig iſt.
Wir haben in allen dieſen Faͤllen geſagt: daß die
Weltidee vor den empiriſchen Regreſſus, mithin ieden
moͤglichen Verſtandesbegriff entweder zu groß, oder auch
vor denſelben zu klein ſey. Warum haben wir uns nicht
umgekehrt ausgedruͤckt und geſagt: daß, im erſteren Falle,
der empiriſche Begriff vor die Idee iederzeit zu klein, im
zweiten aber zu groß ſey und mithin gleichſam die Schuld
auf dem empiriſchen Regreſſus hafte, an ſtatt, daß wir
die cosmologiſche Idee anklageten, daß ſie im Zuviel oder
Zuwenig von ihrem Zwecke, nemlich der moͤglichen Erfah-
rung abwich? Der Grund war dieſer. Moͤgliche Erfah-
rung iſt das, was unſeren Begriffen allein Realitaͤt geben
kan; ohne das iſt aller Begriff nur Idee, ohne Wahrheit
und Beziehung auf einen Gegenſtand. Daher war der
moͤgliche empiriſche Begriff das Richtmaas, wornach die
Idee beurtheilt werden mußte, ob ſie bloſſe Idee und Ge-
dankending ſey, oder in der Welt ihren Gegenſtand antref-
fe. Denn man ſagt nur von demienigen, daß es verhaͤlt-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/519>, abgerufen am 22.11.2024.
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