Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Absch. Sceptische Vorstellung aller cosmol. etc.
klein. Denn, weil der Anfang noch immer eine Zeit, die
vorhergeht, voraussezt, so ist er noch nicht unbedingt,
und das Gesetz des empirischen Gebrauchs des Verstandes
legt es euch auf, noch nach einer höheren Zeitbedingung
zu fragen, und die Welt ist also offenbar vor dieses Gesetz
zu klein.

Eben so ist es mit der doppelten Beantwortung der
Frage, wegen der Weltgrösse, dem Raum nach, bewandt.
Denn ist sie unendlich und unbegränzt, so ist sie vor al-
len möglichen empirischen Begriff zu groß. Ist sie end-
lich und begränzt, so fragt ihr mit Recht noch, was be-
stimt diese Gränze? Der leere Raum ist nicht ein vor sich
bestehendes Correlatum der Dinge und kan keine Bedin-
gung seyn, bey der ihr stehen bleiben könnet, noch viel
weniger eine empirische Bedingung, die einen Theil einer
möglichen Erfahrung ausmachte (denn wer kan eine Er-
fahrung vom Schlechthinleeren haben). Zur absoluten
Totalität aber der empirischen Synthesis wird iederzeit er-
fodert, daß das Unbedingte ein Erfahrungsbegriff sey. Al-
so ist eine begränzte Welt vor euren Begriff zu klein.

Zweitens, besteht iede Erscheinung im Raume (Ma-
terie) aus unendlich viel Theilen, so ist der Regressus der
Theilung vor euren Begriff iederzeit zu groß, und soll die
Theilung des Raumes irgend bey einem Gliede derselben
(dem Einfachen) aufhören, so ist er vor die Idee des Un-
bedingten zu klein. Denn dieses Glied läßt noch immer

einen
H h 4

V. Abſch. Sceptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc.
klein. Denn, weil der Anfang noch immer eine Zeit, die
vorhergeht, vorausſezt, ſo iſt er noch nicht unbedingt,
und das Geſetz des empiriſchen Gebrauchs des Verſtandes
legt es euch auf, noch nach einer hoͤheren Zeitbedingung
zu fragen, und die Welt iſt alſo offenbar vor dieſes Geſetz
zu klein.

Eben ſo iſt es mit der doppelten Beantwortung der
Frage, wegen der Weltgroͤſſe, dem Raum nach, bewandt.
Denn iſt ſie unendlich und unbegraͤnzt, ſo iſt ſie vor al-
len moͤglichen empiriſchen Begriff zu groß. Iſt ſie end-
lich und begraͤnzt, ſo fragt ihr mit Recht noch, was be-
ſtimt dieſe Graͤnze? Der leere Raum iſt nicht ein vor ſich
beſtehendes Correlatum der Dinge und kan keine Bedin-
gung ſeyn, bey der ihr ſtehen bleiben koͤnnet, noch viel
weniger eine empiriſche Bedingung, die einen Theil einer
moͤglichen Erfahrung ausmachte (denn wer kan eine Er-
fahrung vom Schlechthinleeren haben). Zur abſoluten
Totalitaͤt aber der empiriſchen Syntheſis wird iederzeit er-
fodert, daß das Unbedingte ein Erfahrungsbegriff ſey. Al-
ſo iſt eine begraͤnzte Welt vor euren Begriff zu klein.

Zweitens, beſteht iede Erſcheinung im Raume (Ma-
terie) aus unendlich viel Theilen, ſo iſt der Regreſſus der
Theilung vor euren Begriff iederzeit zu groß, und ſoll die
Theilung des Raumes irgend bey einem Gliede derſelben
(dem Einfachen) aufhoͤren, ſo iſt er vor die Idee des Un-
bedingten zu klein. Denn dieſes Glied laͤßt noch immer

einen
H h 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0517" n="487"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Ab&#x017F;ch. Scepti&#x017F;che Vor&#x017F;tellung aller cosmol. &#xA75B;c.</fw><lb/>
klein. Denn, weil der Anfang noch immer eine Zeit, die<lb/>
vorhergeht, voraus&#x017F;ezt, &#x017F;o i&#x017F;t er noch nicht unbedingt,<lb/>
und das Ge&#x017F;etz des empiri&#x017F;chen Gebrauchs des Ver&#x017F;tandes<lb/>
legt es euch auf, noch nach einer ho&#x0364;heren Zeitbedingung<lb/>
zu fragen, und die Welt i&#x017F;t al&#x017F;o offenbar vor die&#x017F;es Ge&#x017F;etz<lb/>
zu klein.</p><lb/>
                      <p>Eben &#x017F;o i&#x017F;t es mit der doppelten Beantwortung der<lb/>
Frage, wegen der Weltgro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, dem Raum nach, bewandt.<lb/>
Denn i&#x017F;t &#x017F;ie <hi rendition="#fr">unendlich</hi> und unbegra&#x0364;nzt, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie vor al-<lb/>
len mo&#x0364;glichen empiri&#x017F;chen Begriff zu groß. I&#x017F;t &#x017F;ie end-<lb/>
lich und begra&#x0364;nzt, &#x017F;o fragt ihr mit Recht noch, was be-<lb/>
&#x017F;timt die&#x017F;e Gra&#x0364;nze? Der leere Raum i&#x017F;t nicht ein vor &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;tehendes Correlatum der Dinge und kan keine Bedin-<lb/>
gung &#x017F;eyn, bey der ihr &#x017F;tehen bleiben ko&#x0364;nnet, noch viel<lb/>
weniger eine empiri&#x017F;che Bedingung, die einen Theil einer<lb/>
mo&#x0364;glichen Erfahrung ausmachte (denn wer kan eine Er-<lb/>
fahrung vom Schlechthinleeren haben). Zur ab&#x017F;oluten<lb/>
Totalita&#x0364;t aber der empiri&#x017F;chen Synthe&#x017F;is wird iederzeit er-<lb/>
fodert, daß das Unbedingte ein Erfahrungsbegriff &#x017F;ey. Al-<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t eine <hi rendition="#fr">begra&#x0364;nzte Welt</hi> vor euren Begriff zu klein.</p><lb/>
                      <p>Zweitens, be&#x017F;teht iede Er&#x017F;cheinung im Raume (Ma-<lb/>
terie) aus unendlich viel Theilen, &#x017F;o i&#x017F;t der Regre&#x017F;&#x017F;us der<lb/>
Theilung vor euren Begriff iederzeit zu groß, und &#x017F;oll die<lb/><hi rendition="#fr">Theilung</hi> des Raumes irgend bey einem Gliede der&#x017F;elben<lb/>
(dem Einfachen) <hi rendition="#fr">aufho&#x0364;ren</hi>, &#x017F;o i&#x017F;t er vor die Idee des Un-<lb/>
bedingten zu klein. Denn die&#x017F;es Glied la&#x0364;ßt noch immer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H h 4</fw><fw place="bottom" type="catch">einen</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[487/0517] V. Abſch. Sceptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc. klein. Denn, weil der Anfang noch immer eine Zeit, die vorhergeht, vorausſezt, ſo iſt er noch nicht unbedingt, und das Geſetz des empiriſchen Gebrauchs des Verſtandes legt es euch auf, noch nach einer hoͤheren Zeitbedingung zu fragen, und die Welt iſt alſo offenbar vor dieſes Geſetz zu klein. Eben ſo iſt es mit der doppelten Beantwortung der Frage, wegen der Weltgroͤſſe, dem Raum nach, bewandt. Denn iſt ſie unendlich und unbegraͤnzt, ſo iſt ſie vor al- len moͤglichen empiriſchen Begriff zu groß. Iſt ſie end- lich und begraͤnzt, ſo fragt ihr mit Recht noch, was be- ſtimt dieſe Graͤnze? Der leere Raum iſt nicht ein vor ſich beſtehendes Correlatum der Dinge und kan keine Bedin- gung ſeyn, bey der ihr ſtehen bleiben koͤnnet, noch viel weniger eine empiriſche Bedingung, die einen Theil einer moͤglichen Erfahrung ausmachte (denn wer kan eine Er- fahrung vom Schlechthinleeren haben). Zur abſoluten Totalitaͤt aber der empiriſchen Syntheſis wird iederzeit er- fodert, daß das Unbedingte ein Erfahrungsbegriff ſey. Al- ſo iſt eine begraͤnzte Welt vor euren Begriff zu klein. Zweitens, beſteht iede Erſcheinung im Raume (Ma- terie) aus unendlich viel Theilen, ſo iſt der Regreſſus der Theilung vor euren Begriff iederzeit zu groß, und ſoll die Theilung des Raumes irgend bey einem Gliede derſelben (dem Einfachen) aufhoͤren, ſo iſt er vor die Idee des Un- bedingten zu klein. Denn dieſes Glied laͤßt noch immer einen H h 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/517
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/517>, abgerufen am 22.11.2024.