ienige gewiß unterliegt, der sich blos vertheidigungsweise zu führen genöthigt ist. Daher auch rüstige Ritter, sie mögen sich vor die gute oder schlimme Sache verbürgen, sicher sind, den Siegeskranz davon zu tragen, wenn sie nur davor sorgen: daß sie den lezten Angriff zu thun das Vorrecht haben, und nicht verbunden sind, einen neuen Anfall des Gegners auszuhalten. Man kan sich leicht vor- stellen: daß dieser Tummelplatz von ieher oft genug be- treten worden, daß viel Siege von beiden Seiten erfochten, vor den lezten aber, der die Sache entschied, iederzeit so gesorgt worden sey, daß der Verfechter der guten Sache den Platz allein behielte, dadurch, daß seinem Gegner verboten wurde, fernerhin Waffen in die Hände zu neh- men. Als unpartheyische Kampfrichter müssen wir es ganz bey Seite setzen, ob es die gute oder die schlimme Sache sey, um welche die Streitende fechten, und sie ihre Sache erst unter sich ausmachen lassen. Vielleicht daß, nachdem sie einander mehr ermüdet als geschadet haben, sie die Nichtigkeit ihres Streithandels von selbst einsehen und als gute Freunde auseinander gehen.
Diese Methode, einem Streite der Behauptungen zuzusehen, oder vielmehr ihn selbst zu veranlassen, nicht, um endlich zum Vortheile des einen oder des andern Theils zu entscheiden, sondern, um zu untersuchen, ob der Ge- genstand desselben nicht vielleicht ein blosses Blendwerk sey, wornach ieder vergeblich haschet und bey welchem er
nichts
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II. Abſch. Die Antithetik der reinen Vernunft.
ienige gewiß unterliegt, der ſich blos vertheidigungsweiſe zu fuͤhren genoͤthigt iſt. Daher auch ruͤſtige Ritter, ſie moͤgen ſich vor die gute oder ſchlimme Sache verbuͤrgen, ſicher ſind, den Siegeskranz davon zu tragen, wenn ſie nur davor ſorgen: daß ſie den lezten Angriff zu thun das Vorrecht haben, und nicht verbunden ſind, einen neuen Anfall des Gegners auszuhalten. Man kan ſich leicht vor- ſtellen: daß dieſer Tummelplatz von ieher oft genug be- treten worden, daß viel Siege von beiden Seiten erfochten, vor den lezten aber, der die Sache entſchied, iederzeit ſo geſorgt worden ſey, daß der Verfechter der guten Sache den Platz allein behielte, dadurch, daß ſeinem Gegner verboten wurde, fernerhin Waffen in die Haͤnde zu neh- men. Als unpartheyiſche Kampfrichter muͤſſen wir es ganz bey Seite ſetzen, ob es die gute oder die ſchlimme Sache ſey, um welche die Streitende fechten, und ſie ihre Sache erſt unter ſich ausmachen laſſen. Vielleicht daß, nachdem ſie einander mehr ermuͤdet als geſchadet haben, ſie die Nichtigkeit ihres Streithandels von ſelbſt einſehen und als gute Freunde auseinander gehen.
Dieſe Methode, einem Streite der Behauptungen zuzuſehen, oder vielmehr ihn ſelbſt zu veranlaſſen, nicht, um endlich zum Vortheile des einen oder des andern Theils zu entſcheiden, ſondern, um zu unterſuchen, ob der Ge- genſtand deſſelben nicht vielleicht ein bloſſes Blendwerk ſey, wornach ieder vergeblich haſchet und bey welchem er
nichts
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II. Abſch. Die Antithetik der reinen Vernunft.
ienige gewiß unterliegt, der ſich blos vertheidigungsweiſe
zu fuͤhren genoͤthigt iſt. Daher auch ruͤſtige Ritter, ſie
moͤgen ſich vor die gute oder ſchlimme Sache verbuͤrgen,
ſicher ſind, den Siegeskranz davon zu tragen, wenn ſie
nur davor ſorgen: daß ſie den lezten Angriff zu thun das
Vorrecht haben, und nicht verbunden ſind, einen neuen
Anfall des Gegners auszuhalten. Man kan ſich leicht vor-
ſtellen: daß dieſer Tummelplatz von ieher oft genug be-
treten worden, daß viel Siege von beiden Seiten erfochten,
vor den lezten aber, der die Sache entſchied, iederzeit ſo
geſorgt worden ſey, daß der Verfechter der guten Sache
den Platz allein behielte, dadurch, daß ſeinem Gegner
verboten wurde, fernerhin Waffen in die Haͤnde zu neh-
men. Als unpartheyiſche Kampfrichter muͤſſen wir es ganz
bey Seite ſetzen, ob es die gute oder die ſchlimme Sache
ſey, um welche die Streitende fechten, und ſie ihre Sache
erſt unter ſich ausmachen laſſen. Vielleicht daß, nachdem
ſie einander mehr ermuͤdet als geſchadet haben, ſie die
Nichtigkeit ihres Streithandels von ſelbſt einſehen und als
gute Freunde auseinander gehen.
Dieſe Methode, einem Streite der Behauptungen
zuzuſehen, oder vielmehr ihn ſelbſt zu veranlaſſen, nicht,
um endlich zum Vortheile des einen oder des andern Theils
zu entſcheiden, ſondern, um zu unterſuchen, ob der Ge-
genſtand deſſelben nicht vielleicht ein bloſſes Blendwerk
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/453>, abgerufen am 25.11.2024.
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