Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
der Begriff der Substanz in dem Paralogismus der Sim-
plicität ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin-
gungen der sinnlichen Anschauung blos von transscenden-
talen, d. i. von gar keinem Gebrauch ist. Im Untersatze
aber ist eben derselbe Begriff auf den Gegenstand aller in-
neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung
seiner Anwendung in concreto, nemlich die Beharrlich-
keit desselben, voraus festzusetzen und zum Grunde zu le-
gen, und daher ein empirischer, obzwar hier unzulässiger
Gebrauch davon gemacht worden.

Um endlich den systematischen Zusammenhang aller
dieser dialectischen Behauptungen, in einer vernünfteln-
den Seelenlehre, in einem Zusammenhange der reinen
Vernunft, mithin die Vollständigkeit derselben zu zeigen,
so merke man: daß die Apperception durch alle Classen der
Categorien, aber nur auf dieienige Verstandesbegriffe
durchgeführt werde, welche in ieder derselben den übrigen
zum Grunde der Einheit in einer möglichen Wahrnehmung
liegen, folglich: Subsistenz, Realität, Einheit (nicht
Vielheit) und Existenz, nur daß die Vernunft sie hier
alle als Bedingungen der Möglichkeit eines denkenden We-
sens, die selbst unbedingt sind, vorstellt. Also erkent
die Seele an sich selbst


Die
C c 2

I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
der Begriff der Subſtanz in dem Paralogismus der Sim-
plicitaͤt ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin-
gungen der ſinnlichen Anſchauung blos von transſcenden-
talen, d. i. von gar keinem Gebrauch iſt. Im Unterſatze
aber iſt eben derſelbe Begriff auf den Gegenſtand aller in-
neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung
ſeiner Anwendung in concreto, nemlich die Beharrlich-
keit deſſelben, voraus feſtzuſetzen und zum Grunde zu le-
gen, und daher ein empiriſcher, obzwar hier unzulaͤſſiger
Gebrauch davon gemacht worden.

Um endlich den ſyſtematiſchen Zuſammenhang aller
dieſer dialectiſchen Behauptungen, in einer vernuͤnfteln-
den Seelenlehre, in einem Zuſammenhange der reinen
Vernunft, mithin die Vollſtaͤndigkeit derſelben zu zeigen,
ſo merke man: daß die Apperception durch alle Claſſen der
Categorien, aber nur auf dieienige Verſtandesbegriffe
durchgefuͤhrt werde, welche in ieder derſelben den uͤbrigen
zum Grunde der Einheit in einer moͤglichen Wahrnehmung
liegen, folglich: Subſiſtenz, Realitaͤt, Einheit (nicht
Vielheit) und Exiſtenz, nur daß die Vernunft ſie hier
alle als Bedingungen der Moͤglichkeit eines denkenden We-
ſens, die ſelbſt unbedingt ſind, vorſtellt. Alſo erkent
die Seele an ſich ſelbſt


Die
C c 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0433" n="403"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.</fw><lb/>
der Begriff der Sub&#x017F;tanz in dem Paralogismus der Sim-<lb/>
plicita&#x0364;t ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin-<lb/>
gungen der &#x017F;innlichen An&#x017F;chauung blos von trans&#x017F;cenden-<lb/>
talen, d. i. von gar keinem Gebrauch i&#x017F;t. Im Unter&#x017F;atze<lb/>
aber i&#x017F;t eben der&#x017F;elbe Begriff auf den Gegen&#x017F;tand aller in-<lb/>
neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung<lb/>
&#x017F;einer Anwendung <hi rendition="#aq">in concreto,</hi> nemlich die Beharrlich-<lb/>
keit de&#x017F;&#x017F;elben, voraus fe&#x017F;tzu&#x017F;etzen und zum Grunde zu le-<lb/>
gen, und daher ein empiri&#x017F;cher, obzwar hier unzula&#x0364;&#x017F;&#x017F;iger<lb/>
Gebrauch davon gemacht worden.</p><lb/>
                      <p>Um endlich den &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Zu&#x017F;ammenhang aller<lb/>
die&#x017F;er dialecti&#x017F;chen Behauptungen, in einer vernu&#x0364;nfteln-<lb/>
den Seelenlehre, in einem Zu&#x017F;ammenhange der reinen<lb/>
Vernunft, mithin die Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit der&#x017F;elben zu zeigen,<lb/>
&#x017F;o merke man: daß die Apperception durch alle Cla&#x017F;&#x017F;en der<lb/>
Categorien, aber nur auf dieienige Ver&#x017F;tandesbegriffe<lb/>
durchgefu&#x0364;hrt werde, welche in ieder der&#x017F;elben den u&#x0364;brigen<lb/>
zum Grunde der Einheit in einer mo&#x0364;glichen Wahrnehmung<lb/>
liegen, folglich: Sub&#x017F;i&#x017F;tenz, Realita&#x0364;t, Einheit (nicht<lb/>
Vielheit) und Exi&#x017F;tenz, nur daß die Vernunft &#x017F;ie hier<lb/>
alle als Bedingungen der Mo&#x0364;glichkeit eines denkenden We-<lb/>
&#x017F;ens, die &#x017F;elb&#x017F;t unbedingt &#x017F;ind, vor&#x017F;tellt. Al&#x017F;o erkent<lb/>
die Seele an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</p><lb/>
                      <fw place="bottom" type="sig">C c 2</fw>
                      <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[403/0433] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. der Begriff der Subſtanz in dem Paralogismus der Sim- plicitaͤt ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin- gungen der ſinnlichen Anſchauung blos von transſcenden- talen, d. i. von gar keinem Gebrauch iſt. Im Unterſatze aber iſt eben derſelbe Begriff auf den Gegenſtand aller in- neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung ſeiner Anwendung in concreto, nemlich die Beharrlich- keit deſſelben, voraus feſtzuſetzen und zum Grunde zu le- gen, und daher ein empiriſcher, obzwar hier unzulaͤſſiger Gebrauch davon gemacht worden. Um endlich den ſyſtematiſchen Zuſammenhang aller dieſer dialectiſchen Behauptungen, in einer vernuͤnfteln- den Seelenlehre, in einem Zuſammenhange der reinen Vernunft, mithin die Vollſtaͤndigkeit derſelben zu zeigen, ſo merke man: daß die Apperception durch alle Claſſen der Categorien, aber nur auf dieienige Verſtandesbegriffe durchgefuͤhrt werde, welche in ieder derſelben den uͤbrigen zum Grunde der Einheit in einer moͤglichen Wahrnehmung liegen, folglich: Subſiſtenz, Realitaͤt, Einheit (nicht Vielheit) und Exiſtenz, nur daß die Vernunft ſie hier alle als Bedingungen der Moͤglichkeit eines denkenden We- ſens, die ſelbſt unbedingt ſind, vorſtellt. Alſo erkent die Seele an ſich ſelbſt Die C c 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/433
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/433>, abgerufen am 22.11.2024.