drey Fälle des dialectischen Gebrauchs der reinen Vernunft geben,
1. Die Synthesis der Bedingungen eines Gedankens überhaupt,
2. Die Synthesis der Bedingungen des empirischen Denkens.
3. Die Synthesis der Bedingungen des reinen Denkens.
In allen diesen dreien Fällen beschäftigt sich die rei- ne Vernunft blos mit der absoluten Totalität dieser Syn- thesis, d. i. mit derienigen Bedingung, die selbst unbedingt ist. Auf diese Eintheilung gründet sich auch der dreifache transscendentale Schein, der zu drey Abschnitten der Dia- lectik Anlaß giebt, und zu eben so viel scheinbaren Wissen- schaften aus reiner Vernunft, der transscendentalen Psy- chologie, Cosmologie und Theologie, die Idee an die Hand giebt. Wir haben es hier nur mit der ersteren zu thun.
Weil wir beym Denken überhaupt von aller Bezie- hung des Gedanken auf irgend ein Obiect (es sey der Sinne oder des reinen Verstandes) abstrahiren: so ist die Synthesis der Bedingungen eines Gedanken überhaupt (no. 1) gar nicht obiectiv, sondern blos eine Synthesis des Gedanken mit dem Subiect, die aber fälschlich vor eine synthetische Vorstellung eines Obiects gehalten wird.
Es folgt aber auch hieraus: daß der dialectische Schluß auf die Bedingung alles Denke[n]s überhaupt, die selbst unbedingt ist, nicht einen Fehler im Inhalte begehe, (denn er abstrahirt von allem Inhalte oder Obiecte) son-
dern
I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
drey Faͤlle des dialectiſchen Gebrauchs der reinen Vernunft geben,
1. Die Syntheſis der Bedingungen eines Gedankens uͤberhaupt,
2. Die Syntheſis der Bedingungen des empiriſchen Denkens.
3. Die Syntheſis der Bedingungen des reinen Denkens.
In allen dieſen dreien Faͤllen beſchaͤftigt ſich die rei- ne Vernunft blos mit der abſoluten Totalitaͤt dieſer Syn- theſis, d. i. mit derienigen Bedingung, die ſelbſt unbedingt iſt. Auf dieſe Eintheilung gruͤndet ſich auch der dreifache transſcendentale Schein, der zu drey Abſchnitten der Dia- lectik Anlaß giebt, und zu eben ſo viel ſcheinbaren Wiſſen- ſchaften aus reiner Vernunft, der transſcendentalen Pſy- chologie, Cosmologie und Theologie, die Idee an die Hand giebt. Wir haben es hier nur mit der erſteren zu thun.
Weil wir beym Denken uͤberhaupt von aller Bezie- hung des Gedanken auf irgend ein Obiect (es ſey der Sinne oder des reinen Verſtandes) abſtrahiren: ſo iſt die Syntheſis der Bedingungen eines Gedanken uͤberhaupt (no. 1) gar nicht obiectiv, ſondern blos eine Syntheſis des Gedanken mit dem Subiect, die aber faͤlſchlich vor eine ſynthetiſche Vorſtellung eines Obiects gehalten wird.
Es folgt aber auch hieraus: daß der dialectiſche Schluß auf die Bedingung alles Denke[n]s uͤberhaupt, die ſelbſt unbedingt iſt, nicht einen Fehler im Inhalte begehe, (denn er abſtrahirt von allem Inhalte oder Obiecte) ſon-
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
drey Faͤlle des dialectiſchen Gebrauchs der reinen Vernunft
geben,
1. Die Syntheſis der Bedingungen eines Gedankens
uͤberhaupt,
2. Die Syntheſis der Bedingungen des empiriſchen
Denkens.
3. Die Syntheſis der Bedingungen des reinen Denkens.
In allen dieſen dreien Faͤllen beſchaͤftigt ſich die rei-
ne Vernunft blos mit der abſoluten Totalitaͤt dieſer Syn-
theſis, d. i. mit derienigen Bedingung, die ſelbſt unbedingt
iſt. Auf dieſe Eintheilung gruͤndet ſich auch der dreifache
transſcendentale Schein, der zu drey Abſchnitten der Dia-
lectik Anlaß giebt, und zu eben ſo viel ſcheinbaren Wiſſen-
ſchaften aus reiner Vernunft, der transſcendentalen Pſy-
chologie, Cosmologie und Theologie, die Idee an die Hand
giebt. Wir haben es hier nur mit der erſteren zu thun.
Weil wir beym Denken uͤberhaupt von aller Bezie-
hung des Gedanken auf irgend ein Obiect (es ſey der
Sinne oder des reinen Verſtandes) abſtrahiren: ſo iſt die
Syntheſis der Bedingungen eines Gedanken uͤberhaupt
(no. 1) gar nicht obiectiv, ſondern blos eine Syntheſis
des Gedanken mit dem Subiect, die aber faͤlſchlich vor
eine ſynthetiſche Vorſtellung eines Obiects gehalten wird.
Es folgt aber auch hieraus: daß der dialectiſche
Schluß auf die Bedingung alles Denkens uͤberhaupt, die
ſelbſt unbedingt iſt, nicht einen Fehler im Inhalte begehe,
(denn er abſtrahirt von allem Inhalte oder Obiecte) ſon-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/427>, abgerufen am 22.11.2024.
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