Scheine nach dogmatisch, um alles Urtheil über den Ge- genstand gänzlich zu vernichten. Der dogmatische also so wol, als sceptische Einwurf, müssen beide so viel Einsicht ihres Gegenstandes vorgeben, als nöthig ist, etwas von ihm beiahend oder verneinend zu behaupten. Der criti- sche ist allein von der Art, daß, indem er blos zeigt, man nehme zum Behuf seiner Behauptung etwas an, was nich- tig und blos eingebildet ist, die Theorie stürzt, dadurch, daß sie ihr die angemaßte Grundlage entzieht, ohne sonst et- was über die Beschaffenheit des Gegenstandes ausmachen zu wollen.
Nun sind wir nach den gemeinen Begriffen unserer Vernunft in Ansehung der Gemeinschaft, darin unser denkendes Subiect mit den Dingen ausser uns steht, dog- matisch und sehen diese als wahrhafte unabhängig von uns bestehende Gegenstände an, nach einem gewissen trans- scendentalen Dualism, der iene äussere Erscheinungen nicht als Vorstellungen zum Subiecte zehlt, sondern sie, so wie sinnliche Anschauung sie uns liefert, ausser uns als Ob- iecte versezt und sie von dem denkenden Subiecte gänzlich abtrent. Diese Subreption ist nun die Grundlage aller Theorien über die Gemeinschaft zwischen Seele und Cörper, und es wird niemals gefragt: ob denn diese obiective Rea- lität der Erscheinungen so ganz richtig sey, sondern diese wird als zugestanden vorausgesezt und nur über die Art vernünftelt, wie sie erklärt und begriffen werden müsse.
Die
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
Scheine nach dogmatiſch, um alles Urtheil uͤber den Ge- genſtand gaͤnzlich zu vernichten. Der dogmatiſche alſo ſo wol, als ſceptiſche Einwurf, muͤſſen beide ſo viel Einſicht ihres Gegenſtandes vorgeben, als noͤthig iſt, etwas von ihm beiahend oder verneinend zu behaupten. Der criti- ſche iſt allein von der Art, daß, indem er blos zeigt, man nehme zum Behuf ſeiner Behauptung etwas an, was nich- tig und blos eingebildet iſt, die Theorie ſtuͤrzt, dadurch, daß ſie ihr die angemaßte Grundlage entzieht, ohne ſonſt et- was uͤber die Beſchaffenheit des Gegenſtandes ausmachen zu wollen.
Nun ſind wir nach den gemeinen Begriffen unſerer Vernunft in Anſehung der Gemeinſchaft, darin unſer denkendes Subiect mit den Dingen auſſer uns ſteht, dog- matiſch und ſehen dieſe als wahrhafte unabhaͤngig von uns beſtehende Gegenſtaͤnde an, nach einem gewiſſen trans- ſcendentalen Dualism, der iene aͤuſſere Erſcheinungen nicht als Vorſtellungen zum Subiecte zehlt, ſondern ſie, ſo wie ſinnliche Anſchauung ſie uns liefert, auſſer uns als Ob- iecte verſezt und ſie von dem denkenden Subiecte gaͤnzlich abtrent. Dieſe Subreption iſt nun die Grundlage aller Theorien uͤber die Gemeinſchaft zwiſchen Seele und Coͤrper, und es wird niemals gefragt: ob denn dieſe obiective Rea- litaͤt der Erſcheinungen ſo ganz richtig ſey, ſondern dieſe wird als zugeſtanden vorausgeſezt und nur uͤber die Art vernuͤnftelt, wie ſie erklaͤrt und begriffen werden muͤſſe.
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
Scheine nach dogmatiſch, um alles Urtheil uͤber den Ge-
genſtand gaͤnzlich zu vernichten. Der dogmatiſche alſo ſo
wol, als ſceptiſche Einwurf, muͤſſen beide ſo viel Einſicht
ihres Gegenſtandes vorgeben, als noͤthig iſt, etwas von
ihm beiahend oder verneinend zu behaupten. Der criti-
ſche iſt allein von der Art, daß, indem er blos zeigt, man
nehme zum Behuf ſeiner Behauptung etwas an, was nich-
tig und blos eingebildet iſt, die Theorie ſtuͤrzt, dadurch,
daß ſie ihr die angemaßte Grundlage entzieht, ohne ſonſt et-
was uͤber die Beſchaffenheit des Gegenſtandes ausmachen
zu wollen.
Nun ſind wir nach den gemeinen Begriffen unſerer
Vernunft in Anſehung der Gemeinſchaft, darin unſer
denkendes Subiect mit den Dingen auſſer uns ſteht, dog-
matiſch und ſehen dieſe als wahrhafte unabhaͤngig von
uns beſtehende Gegenſtaͤnde an, nach einem gewiſſen trans-
ſcendentalen Dualism, der iene aͤuſſere Erſcheinungen nicht
als Vorſtellungen zum Subiecte zehlt, ſondern ſie, ſo wie
ſinnliche Anſchauung ſie uns liefert, auſſer uns als Ob-
iecte verſezt und ſie von dem denkenden Subiecte gaͤnzlich
abtrent. Dieſe Subreption iſt nun die Grundlage aller
Theorien uͤber die Gemeinſchaft zwiſchen Seele und Coͤrper,
und es wird niemals gefragt: ob denn dieſe obiective Rea-
litaͤt der Erſcheinungen ſo ganz richtig ſey, ſondern dieſe
wird als zugeſtanden vorausgeſezt und nur uͤber die Art
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/419>, abgerufen am 22.11.2024.
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