Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Hauptst. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
sere Dinge, als ich Selbst existire, und zwar beide auf
das unmittelbare Zeugniß meines Selbstbewußtseyns, nur
mit dem Unterschiede: daß die Vorstellung meiner Selbst,
als des denkenden Subiects, blos auf den innern, die Vor-
stellungen aber, welche ausgedehnte Wesen bezeichnen, auch
auf den äussern Sinn bezogen werden. Ich habe in Ab-
sicht auf die Wirklichkeit äusserer Gegenstände eben so we-
nig nöthig zu schliessen, als in Ansehung der Wirklichkeit
des Gegenstandes meines innern Sinnes, (meiner Gedan-
ken), denn sie sind beiderseitig nichts als Vorstellungen,
deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewustseyn) zugleich
ein genugsamer Beweis ihrer Wirklichkeit ist.

Also ist der transscendentale Idealist ein empirischer
Realist und gestehet der Materie, als Erscheinung, eine
Wirklichkeit zu, die nicht geschlossen werden darf, sondern
unmittelbar wahrgenommen wird. Dagegen komt der
transscendentale Realismus nothwendig in Verlegenheit,
und sieht sich genöthigt, dem empirischen Idealismus Platz
einzuräumen, weil er die Gegenstände äusserer Sinne vor
Etwas von den Sinnen selbst unterschiedenes, und blosse
Erscheinungen vor selbstständige Wesen ansieht, die sich
ausser uns befinden; da denn freilich, bey unserem be-
sten Bewustseyn unserer Vorstellung von diesen Dingen,
noch lange nicht gewiß ist, daß, wenn die Vorstellung existirt,
auch der ihr correspondirende Gegenstand existire; dahin-
gegen in unserem System diese äussere Dinge, die Materie
nemlich, in allen ihren Gestalten und Veränderungen,

nichts
A a 2

I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
ſere Dinge, als ich Selbſt exiſtire, und zwar beide auf
das unmittelbare Zeugniß meines Selbſtbewußtſeyns, nur
mit dem Unterſchiede: daß die Vorſtellung meiner Selbſt,
als des denkenden Subiects, blos auf den innern, die Vor-
ſtellungen aber, welche ausgedehnte Weſen bezeichnen, auch
auf den aͤuſſern Sinn bezogen werden. Ich habe in Ab-
ſicht auf die Wirklichkeit aͤuſſerer Gegenſtaͤnde eben ſo we-
nig noͤthig zu ſchlieſſen, als in Anſehung der Wirklichkeit
des Gegenſtandes meines innern Sinnes, (meiner Gedan-
ken), denn ſie ſind beiderſeitig nichts als Vorſtellungen,
deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewuſtſeyn) zugleich
ein genugſamer Beweis ihrer Wirklichkeit iſt.

Alſo iſt der transſcendentale Idealiſt ein empiriſcher
Realiſt und geſtehet der Materie, als Erſcheinung, eine
Wirklichkeit zu, die nicht geſchloſſen werden darf, ſondern
unmittelbar wahrgenommen wird. Dagegen komt der
transſcendentale Realismus nothwendig in Verlegenheit,
und ſieht ſich genoͤthigt, dem empiriſchen Idealismus Platz
einzuraͤumen, weil er die Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Sinne vor
Etwas von den Sinnen ſelbſt unterſchiedenes, und bloſſe
Erſcheinungen vor ſelbſtſtaͤndige Weſen anſieht, die ſich
auſſer uns befinden; da denn freilich, bey unſerem be-
ſten Bewuſtſeyn unſerer Vorſtellung von dieſen Dingen,
noch lange nicht gewiß iſt, daß, wenn die Vorſtellung exiſtirt,
auch der ihr correſpondirende Gegenſtand exiſtire; dahin-
gegen in unſerem Syſtem dieſe aͤuſſere Dinge, die Materie
nemlich, in allen ihren Geſtalten und Veraͤnderungen,

nichts
A a 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0401" n="371"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.</fw><lb/>
&#x017F;ere Dinge, als ich Selb&#x017F;t exi&#x017F;tire, und zwar beide auf<lb/>
das unmittelbare Zeugniß meines Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;eyns, nur<lb/>
mit dem Unter&#x017F;chiede: daß die Vor&#x017F;tellung meiner Selb&#x017F;t,<lb/>
als des denkenden Subiects, blos auf den innern, die Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen aber, welche ausgedehnte We&#x017F;en bezeichnen, auch<lb/>
auf den a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern Sinn bezogen werden. Ich habe in Ab-<lb/>
&#x017F;icht auf die Wirklichkeit a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde eben &#x017F;o we-<lb/>
nig no&#x0364;thig zu &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, als in An&#x017F;ehung der Wirklichkeit<lb/>
des Gegen&#x017F;tandes meines innern Sinnes, (meiner Gedan-<lb/>
ken), denn &#x017F;ie &#x017F;ind beider&#x017F;eitig nichts als Vor&#x017F;tellungen,<lb/>
deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn) zugleich<lb/>
ein genug&#x017F;amer Beweis ihrer Wirklichkeit i&#x017F;t.</p><lb/>
                      <p>Al&#x017F;o i&#x017F;t der trans&#x017F;cendentale Ideali&#x017F;t ein empiri&#x017F;cher<lb/>
Reali&#x017F;t und ge&#x017F;tehet der Materie, als Er&#x017F;cheinung, eine<lb/>
Wirklichkeit zu, die nicht ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden darf, &#x017F;ondern<lb/>
unmittelbar wahrgenommen wird. Dagegen komt der<lb/>
trans&#x017F;cendentale Realismus nothwendig in Verlegenheit,<lb/>
und &#x017F;ieht &#x017F;ich geno&#x0364;thigt, dem empiri&#x017F;chen Idealismus Platz<lb/>
einzura&#x0364;umen, weil er die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer Sinne vor<lb/>
Etwas von den Sinnen &#x017F;elb&#x017F;t unter&#x017F;chiedenes, und blo&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Er&#x017F;cheinungen vor &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndige We&#x017F;en an&#x017F;ieht, die &#x017F;ich<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er uns befinden; da denn freilich, bey un&#x017F;erem be-<lb/>
&#x017F;ten Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn un&#x017F;erer Vor&#x017F;tellung von die&#x017F;en Dingen,<lb/>
noch lange nicht gewiß i&#x017F;t, daß, wenn die Vor&#x017F;tellung exi&#x017F;tirt,<lb/>
auch der ihr corre&#x017F;pondirende Gegen&#x017F;tand exi&#x017F;tire; dahin-<lb/>
gegen in un&#x017F;erem Sy&#x017F;tem die&#x017F;e a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Dinge, die Materie<lb/>
nemlich, in allen ihren Ge&#x017F;talten und Vera&#x0364;nderungen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 2</fw><fw place="bottom" type="catch">nichts</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[371/0401] I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft. ſere Dinge, als ich Selbſt exiſtire, und zwar beide auf das unmittelbare Zeugniß meines Selbſtbewußtſeyns, nur mit dem Unterſchiede: daß die Vorſtellung meiner Selbſt, als des denkenden Subiects, blos auf den innern, die Vor- ſtellungen aber, welche ausgedehnte Weſen bezeichnen, auch auf den aͤuſſern Sinn bezogen werden. Ich habe in Ab- ſicht auf die Wirklichkeit aͤuſſerer Gegenſtaͤnde eben ſo we- nig noͤthig zu ſchlieſſen, als in Anſehung der Wirklichkeit des Gegenſtandes meines innern Sinnes, (meiner Gedan- ken), denn ſie ſind beiderſeitig nichts als Vorſtellungen, deren unmittelbare Wahrnehmung (Bewuſtſeyn) zugleich ein genugſamer Beweis ihrer Wirklichkeit iſt. Alſo iſt der transſcendentale Idealiſt ein empiriſcher Realiſt und geſtehet der Materie, als Erſcheinung, eine Wirklichkeit zu, die nicht geſchloſſen werden darf, ſondern unmittelbar wahrgenommen wird. Dagegen komt der transſcendentale Realismus nothwendig in Verlegenheit, und ſieht ſich genoͤthigt, dem empiriſchen Idealismus Platz einzuraͤumen, weil er die Gegenſtaͤnde aͤuſſerer Sinne vor Etwas von den Sinnen ſelbſt unterſchiedenes, und bloſſe Erſcheinungen vor ſelbſtſtaͤndige Weſen anſieht, die ſich auſſer uns befinden; da denn freilich, bey unſerem be- ſten Bewuſtſeyn unſerer Vorſtellung von dieſen Dingen, noch lange nicht gewiß iſt, daß, wenn die Vorſtellung exiſtirt, auch der ihr correſpondirende Gegenſtand exiſtire; dahin- gegen in unſerem Syſtem dieſe aͤuſſere Dinge, die Materie nemlich, in allen ihren Geſtalten und Veraͤnderungen, nichts A a 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/401
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/401>, abgerufen am 25.11.2024.