mit völliger Identität, begleitet, ob er es gleich einräumt, doch noch nicht auf die obiective Beharrlichkeit meiner Selbst schliessen. Denn da alsdenn die Zeit, in welche der Beobachter mich setzet, nicht dieienige ist, die in mei- ner eigenen, sondern die in seiner Sinnlichkeit angetroffen wird, so ist die Identität, di[e] mit meinem Bewustseyn nothwendig verbunden ist, nicht darum mit dem seinigen, d. i. mit der äusseren Anschauung meines Subiects ver- bunden.
Es ist also die Identität des Bewustseyns Meiner selbst in verschiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges, beweiset aber gar nicht die numerische Identität, meines Subiects in welchem, ohnerachtet der logischen Identität des Ich, doch ein solcher Wechsel vorgegangen seyn kan, der es nicht er- laubt, die Identität desselben beyzubehalten; obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich zuzutheilen, welches in iedem andern Zustande, selbst der Umwandelung des Subiects, doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subiects aufbehalten und so auch dem folgenden überlie- fern könte.*)
Wenn
*) Eine elastische Kugel, die auf eine gleiche in gerader Richtung stößt, theilt dieser ihre ganze Bewegung, mit- hin ihren ganzen Zustand (wenn man blos auf die Stel- len im Raume sieht) mit. Nehmet nun, nach der Ana- logie mit dergleichen Cörpern, Substanzen an, deren die eine der andern Vorstellungen, samt deren Bewustseyn
ein-
I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
mit voͤlliger Identitaͤt, begleitet, ob er es gleich einraͤumt, doch noch nicht auf die obiective Beharrlichkeit meiner Selbſt ſchlieſſen. Denn da alsdenn die Zeit, in welche der Beobachter mich ſetzet, nicht dieienige iſt, die in mei- ner eigenen, ſondern die in ſeiner Sinnlichkeit angetroffen wird, ſo iſt die Identitaͤt, di[e] mit meinem Bewuſtſeyn nothwendig verbunden iſt, nicht darum mit dem ſeinigen, d. i. mit der aͤuſſeren Anſchauung meines Subiects ver- bunden.
Es iſt alſo die Identitaͤt des Bewuſtſeyns Meiner ſelbſt in verſchiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zuſammenhanges, beweiſet aber gar nicht die numeriſche Identitaͤt, meines Subiects in welchem, ohnerachtet der logiſchen Identitaͤt des Ich, doch ein ſolcher Wechſel vorgegangen ſeyn kan, der es nicht er- laubt, die Identitaͤt deſſelben beyzubehalten; obzwar ihm immer noch das gleichlautende Ich zuzutheilen, welches in iedem andern Zuſtande, ſelbſt der Umwandelung des Subiects, doch immer den Gedanken des vorhergehenden Subiects aufbehalten und ſo auch dem folgenden uͤberlie- fern koͤnte.*)
Wenn
*) Eine elaſtiſche Kugel, die auf eine gleiche in gerader Richtung ſtoͤßt, theilt dieſer ihre ganze Bewegung, mit- hin ihren ganzen Zuſtand (wenn man blos auf die Stel- len im Raume ſieht) mit. Nehmet nun, nach der Ana- logie mit dergleichen Coͤrpern, Subſtanzen an, deren die eine der andern Vorſtellungen, ſamt deren Bewuſtſeyn
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
mit voͤlliger Identitaͤt, begleitet, ob er es gleich einraͤumt,
doch noch nicht auf die obiective Beharrlichkeit meiner
Selbſt ſchlieſſen. Denn da alsdenn die Zeit, in welche
der Beobachter mich ſetzet, nicht dieienige iſt, die in mei-
ner eigenen, ſondern die in ſeiner Sinnlichkeit angetroffen
wird, ſo iſt die Identitaͤt, die mit meinem Bewuſtſeyn
nothwendig verbunden iſt, nicht darum mit dem ſeinigen,
d. i. mit der aͤuſſeren Anſchauung meines Subiects ver-
bunden.
Es iſt alſo die Identitaͤt des Bewuſtſeyns Meiner
ſelbſt in verſchiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung
meiner Gedanken und ihres Zuſammenhanges, beweiſet
aber gar nicht die numeriſche Identitaͤt, meines Subiects in
welchem, ohnerachtet der logiſchen Identitaͤt des Ich, doch
ein ſolcher Wechſel vorgegangen ſeyn kan, der es nicht er-
laubt, die Identitaͤt deſſelben beyzubehalten; obzwar ihm
immer noch das gleichlautende Ich zuzutheilen, welches
in iedem andern Zuſtande, ſelbſt der Umwandelung des
Subiects, doch immer den Gedanken des vorhergehenden
Subiects aufbehalten und ſo auch dem folgenden uͤberlie-
fern koͤnte. *)
Wenn
*) Eine elaſtiſche Kugel, die auf eine gleiche in gerader
Richtung ſtoͤßt, theilt dieſer ihre ganze Bewegung, mit-
hin ihren ganzen Zuſtand (wenn man blos auf die Stel-
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eine der andern Vorſtellungen, ſamt deren Bewuſtſeyn
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/393>, abgerufen am 25.11.2024.
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