Substanzen entspringt, möglich, wenn diese Wirkung blos äusserlich ist (wie z. B. die Bewegung eines Cörpers die vereinigte Bewegung aller seiner Theile ist). Allein mit Gedanken, als innerlich zu einem denkenden Wesen gehö- rigen Accidenzen, ist es anders beschaffen. Denn, setzet, das Zusammengesezte dächte: so würde ein ieder Theil desselben einen Theil des Gedanken, alle aber zusammen- genommen allererst den ganzen Gedanken enthalten. Nun ist dieses aber widersprechend. Denn, weil die Vorstel- lungen, die unter verschiedenen Wesen vertheilt sind, (z. B. die einzelne Wörter eines Verses) niemals einen gan- zen Gedanken (einen Vers) ausmachen: so kan der Gedan- ke nicht einem Zusammengesezten, als einem solchen, inhä- riren. Er ist also nur in einer Substanz möglich, die nicht ein Aggregat von vielen, mithin schlechterdings ein- fach ist*).
Der so genante neruus probandi dieses Arguments liegt in dem Satze: daß viele Vorstellungen in der abso- luten Einheit des denkenden Subiects enthalten seyn müs- sen, um einen Gedanken auszumachen. Diesen Satz aber kan niemand aus Begriffen beweisen. Denn, wie wollte er es wol anfangen, um dieses zu leisten? Der
Satz:
*) Es ist sehr leicht, diesem Beweise die gewöhnliche schulge- rechte Abgemessenheit der Einkleidung zu geben. Allein es ist zu meinem Zwecke schon hinreichend, den blossen Beweißgrund, allenfalls auf populäre Art, vor Augen zu legen.
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
Subſtanzen entſpringt, moͤglich, wenn dieſe Wirkung blos aͤuſſerlich iſt (wie z. B. die Bewegung eines Coͤrpers die vereinigte Bewegung aller ſeiner Theile iſt). Allein mit Gedanken, als innerlich zu einem denkenden Weſen gehoͤ- rigen Accidenzen, iſt es anders beſchaffen. Denn, ſetzet, das Zuſammengeſezte daͤchte: ſo wuͤrde ein ieder Theil deſſelben einen Theil des Gedanken, alle aber zuſammen- genommen allererſt den ganzen Gedanken enthalten. Nun iſt dieſes aber widerſprechend. Denn, weil die Vorſtel- lungen, die unter verſchiedenen Weſen vertheilt ſind, (z. B. die einzelne Woͤrter eines Verſes) niemals einen gan- zen Gedanken (einen Vers) ausmachen: ſo kan der Gedan- ke nicht einem Zuſammengeſezten, als einem ſolchen, inhaͤ- riren. Er iſt alſo nur in einer Subſtanz moͤglich, die nicht ein Aggregat von vielen, mithin ſchlechterdings ein- fach iſt*).
Der ſo genante neruus probandi dieſes Arguments liegt in dem Satze: daß viele Vorſtellungen in der abſo- luten Einheit des denkenden Subiects enthalten ſeyn muͤſ- ſen, um einen Gedanken auszumachen. Dieſen Satz aber kan niemand aus Begriffen beweiſen. Denn, wie wollte er es wol anfangen, um dieſes zu leiſten? Der
Satz:
*) Es iſt ſehr leicht, dieſem Beweiſe die gewoͤhnliche ſchulge- rechte Abgemeſſenheit der Einkleidung zu geben. Allein es iſt zu meinem Zwecke ſchon hinreichend, den bloſſen Beweißgrund, allenfalls auf populaͤre Art, vor Augen zu legen.
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
Subſtanzen entſpringt, moͤglich, wenn dieſe Wirkung blos
aͤuſſerlich iſt (wie z. B. die Bewegung eines Coͤrpers die
vereinigte Bewegung aller ſeiner Theile iſt). Allein mit
Gedanken, als innerlich zu einem denkenden Weſen gehoͤ-
rigen Accidenzen, iſt es anders beſchaffen. Denn, ſetzet,
das Zuſammengeſezte daͤchte: ſo wuͤrde ein ieder Theil
deſſelben einen Theil des Gedanken, alle aber zuſammen-
genommen allererſt den ganzen Gedanken enthalten. Nun
iſt dieſes aber widerſprechend. Denn, weil die Vorſtel-
lungen, die unter verſchiedenen Weſen vertheilt ſind,
(z. B. die einzelne Woͤrter eines Verſes) niemals einen gan-
zen Gedanken (einen Vers) ausmachen: ſo kan der Gedan-
ke nicht einem Zuſammengeſezten, als einem ſolchen, inhaͤ-
riren. Er iſt alſo nur in einer Subſtanz moͤglich, die
nicht ein Aggregat von vielen, mithin ſchlechterdings ein-
fach iſt *).
Der ſo genante neruus probandi dieſes Arguments
liegt in dem Satze: daß viele Vorſtellungen in der abſo-
luten Einheit des denkenden Subiects enthalten ſeyn muͤſ-
ſen, um einen Gedanken auszumachen. Dieſen Satz
aber kan niemand aus Begriffen beweiſen. Denn, wie
wollte er es wol anfangen, um dieſes zu leiſten? Der
Satz:
*) Es iſt ſehr leicht, dieſem Beweiſe die gewoͤhnliche ſchulge-
rechte Abgemeſſenheit der Einkleidung zu geben. Allein
es iſt zu meinem Zwecke ſchon hinreichend, den bloſſen
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/382>, abgerufen am 25.11.2024.
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