alles Denken, auf das Ich, als das gemeinschaftliche Subiect, hat, dem es inhärirt, geschlossen. Wir würden auch, wenn wir es gleich darauf anlegten, durch keine sichere Beobachtung eine solche Beharrlichkeit darthun können. Denn das Ich ist zwar in allen Gedanken; es ist aber mit dieser Vor- stellung nicht die mindeste Anschauung verbunden, die es von anderen Gegenständen der Anschauung unterschiede. Man kan also zwar wahrnehmen, daß diese Vorstellung bey allem Denken immer wiederum vorkömt, nicht aber, daß es eine stehende und bleibende Anschauung sey, worin die Gedanken (als wandelbar) wechselten.
Hieraus folgt: daß der erste Vernunftschluß der transscendentalen Psychologie uns nur eine vermeintliche neue Einsicht aufhefte, indem er das beständige logische Subiect des Denkens, vor die Erkentniß des realen Sub- iects der Inhärenz ausgiebt, von welchem wir nicht die mindeste Kentniß haben, noch haben können, weil das Bewustseyn das einzige ist, was alle Vorstellungen zu Ge- danken macht, und worin mithin alle unsere Wahrneh- mungen, als dem transscendentalen Subiecte, müssen an- getroffen werden, und wir, ausser dieser logischen Bedeu- tung des Ich, keine Kentniß von dem Subiecte an sich selbst haben, was diesem, so wie allen Gedanken, als Substra- tum zum Grunde liegt. Indessen kan man den Satz: die Seele ist Substanz, gar wol gelten lassen, wenn man sich nur bescheidet: daß unser dieser Begriff nicht im min- desten weiter führe, oder irgend eine von den gewöhnli-
chen
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
alles Denken, auf das Ich, als das gemeinſchaftliche Subiect, hat, dem es inhaͤrirt, geſchloſſen. Wir wuͤrden auch, wenn wir es gleich darauf anlegten, durch keine ſichere Beobachtung eine ſolche Beharrlichkeit darthun koͤnnen. Denn das Ich iſt zwar in allen Gedanken; es iſt aber mit dieſer Vor- ſtellung nicht die mindeſte Anſchauung verbunden, die es von anderen Gegenſtaͤnden der Anſchauung unterſchiede. Man kan alſo zwar wahrnehmen, daß dieſe Vorſtellung bey allem Denken immer wiederum vorkoͤmt, nicht aber, daß es eine ſtehende und bleibende Anſchauung ſey, worin die Gedanken (als wandelbar) wechſelten.
Hieraus folgt: daß der erſte Vernunftſchluß der transſcendentalen Pſychologie uns nur eine vermeintliche neue Einſicht aufhefte, indem er das beſtaͤndige logiſche Subiect des Denkens, vor die Erkentniß des realen Sub- iects der Inhaͤrenz ausgiebt, von welchem wir nicht die mindeſte Kentniß haben, noch haben koͤnnen, weil das Bewuſtſeyn das einzige iſt, was alle Vorſtellungen zu Ge- danken macht, und worin mithin alle unſere Wahrneh- mungen, als dem transſcendentalen Subiecte, muͤſſen an- getroffen werden, und wir, auſſer dieſer logiſchen Bedeu- tung des Ich, keine Kentniß von dem Subiecte an ſich ſelbſt haben, was dieſem, ſo wie allen Gedanken, als Subſtra- tum zum Grunde liegt. Indeſſen kan man den Satz: die Seele iſt Subſtanz, gar wol gelten laſſen, wenn man ſich nur beſcheidet: daß unſer dieſer Begriff nicht im min- deſten weiter fuͤhre, oder irgend eine von den gewoͤhnli-
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Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
alles Denken, auf das Ich, als das gemeinſchaftliche Subiect,
hat, dem es inhaͤrirt, geſchloſſen. Wir wuͤrden auch, wenn wir
es gleich darauf anlegten, durch keine ſichere Beobachtung
eine ſolche Beharrlichkeit darthun koͤnnen. Denn das Ich
iſt zwar in allen Gedanken; es iſt aber mit dieſer Vor-
ſtellung nicht die mindeſte Anſchauung verbunden, die es
von anderen Gegenſtaͤnden der Anſchauung unterſchiede.
Man kan alſo zwar wahrnehmen, daß dieſe Vorſtellung
bey allem Denken immer wiederum vorkoͤmt, nicht aber,
daß es eine ſtehende und bleibende Anſchauung ſey, worin
die Gedanken (als wandelbar) wechſelten.
Hieraus folgt: daß der erſte Vernunftſchluß der
transſcendentalen Pſychologie uns nur eine vermeintliche
neue Einſicht aufhefte, indem er das beſtaͤndige logiſche
Subiect des Denkens, vor die Erkentniß des realen Sub-
iects der Inhaͤrenz ausgiebt, von welchem wir nicht die
mindeſte Kentniß haben, noch haben koͤnnen, weil das
Bewuſtſeyn das einzige iſt, was alle Vorſtellungen zu Ge-
danken macht, und worin mithin alle unſere Wahrneh-
mungen, als dem transſcendentalen Subiecte, muͤſſen an-
getroffen werden, und wir, auſſer dieſer logiſchen Bedeu-
tung des Ich, keine Kentniß von dem Subiecte an ſich ſelbſt
haben, was dieſem, ſo wie allen Gedanken, als Subſtra-
tum zum Grunde liegt. Indeſſen kan man den Satz:
die Seele iſt Subſtanz, gar wol gelten laſſen, wenn man
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/380>, abgerufen am 22.11.2024.
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