worauf iene nicht reicht, heissen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, iene Erkentnisse können ihr Gebiet nicht über alles, was der Verstand denkt, erstre- cken.) Am Ende aber ist doch die Möglichkeit solcher Noümenorum gar nicht einzusehen, und der Umfang ausser der Sphäre der Erscheinungen ist (vor uns) leer, d. i. wir haben einen Verstand, der sich problematisch weiter erstreckt, als iene, aber keine Anschauung, ia auch nicht einmal den Begriff von einer möglichen An- schauung, wodurch uns ausser dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben, und der Verstand über dieselbe hin- aus assertorisch gebraucht werden könne. Der Begriff eines Noumenon ist also blos ein Gränzbegriff, um die Anmassung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwol nicht willkührlich erdichtet, sondern hängt mit der Einschrän- kung der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Posi- tives ausser dem Umfange derselben setzen zu können.
Die Eintheilung der Gegenstände in Phaenomena und Noümena, und der Welt in eine Sinnen- und Ver- standeswelt kan daher gar nicht zugelassen werden, ob- gleich Begriffe allerdings die Eintheilung in sinnliche und intellectuelle zulassen; denn man kan den lezteren keinen Gegenstand bestimmen, und sie also auch nicht vor obiectiv- gültig ausgeben. Wenn man von den Sinnen abgeht, wie will man begreiflich machen, daß unsere Categorien,
(wel-
III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc.
worauf iene nicht reicht, heiſſen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, iene Erkentniſſe koͤnnen ihr Gebiet nicht uͤber alles, was der Verſtand denkt, erſtre- cken.) Am Ende aber iſt doch die Moͤglichkeit ſolcher Noümenorum gar nicht einzuſehen, und der Umfang auſſer der Sphaͤre der Erſcheinungen iſt (vor uns) leer, d. i. wir haben einen Verſtand, der ſich problematiſch weiter erſtreckt, als iene, aber keine Anſchauung, ia auch nicht einmal den Begriff von einer moͤglichen An- ſchauung, wodurch uns auſſer dem Felde der Sinnlichkeit Gegenſtaͤnde gegeben, und der Verſtand uͤber dieſelbe hin- aus aſſertoriſch gebraucht werden koͤnne. Der Begriff eines Noumenon iſt alſo blos ein Graͤnzbegriff, um die Anmaſſung der Sinnlichkeit einzuſchraͤnken, und alſo nur von negativem Gebrauche. Er iſt aber gleichwol nicht willkuͤhrlich erdichtet, ſondern haͤngt mit der Einſchraͤn- kung der Sinnlichkeit zuſammen, ohne doch etwas Poſi- tives auſſer dem Umfange derſelben ſetzen zu koͤnnen.
Die Eintheilung der Gegenſtaͤnde in Phænomena und Noümena, und der Welt in eine Sinnen- und Ver- ſtandeswelt kan daher gar nicht zugelaſſen werden, ob- gleich Begriffe allerdings die Eintheilung in ſinnliche und intellectuelle zulaſſen; denn man kan den lezteren keinen Gegenſtand beſtimmen, und ſie alſo auch nicht vor obiectiv- guͤltig ausgeben. Wenn man von den Sinnen abgeht, wie will man begreiflich machen, daß unſere Categorien,
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III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc.
worauf iene nicht reicht, heiſſen eben darum Noumena,
damit man dadurch anzeige, iene Erkentniſſe koͤnnen ihr
Gebiet nicht uͤber alles, was der Verſtand denkt, erſtre-
cken.) Am Ende aber iſt doch die Moͤglichkeit ſolcher
Noümenorum gar nicht einzuſehen, und der Umfang
auſſer der Sphaͤre der Erſcheinungen iſt (vor uns) leer,
d. i. wir haben einen Verſtand, der ſich problematiſch
weiter erſtreckt, als iene, aber keine Anſchauung, ia
auch nicht einmal den Begriff von einer moͤglichen An-
ſchauung, wodurch uns auſſer dem Felde der Sinnlichkeit
Gegenſtaͤnde gegeben, und der Verſtand uͤber dieſelbe hin-
aus aſſertoriſch gebraucht werden koͤnne. Der Begriff
eines Noumenon iſt alſo blos ein Graͤnzbegriff, um die
Anmaſſung der Sinnlichkeit einzuſchraͤnken, und alſo nur
von negativem Gebrauche. Er iſt aber gleichwol nicht
willkuͤhrlich erdichtet, ſondern haͤngt mit der Einſchraͤn-
kung der Sinnlichkeit zuſammen, ohne doch etwas Poſi-
tives auſſer dem Umfange derſelben ſetzen zu koͤnnen.
Die Eintheilung der Gegenſtaͤnde in Phænomena
und Noümena, und der Welt in eine Sinnen- und Ver-
ſtandeswelt kan daher gar nicht zugelaſſen werden, ob-
gleich Begriffe allerdings die Eintheilung in ſinnliche und
intellectuelle zulaſſen; denn man kan den lezteren keinen
Gegenſtand beſtimmen, und ſie alſo auch nicht vor obiectiv-
guͤltig ausgeben. Wenn man von den Sinnen abgeht,
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/285>, abgerufen am 18.12.2024.
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