lichen Erfahrung, bezogen wird. Daß aber überall nur der leztere statt finden könne, ersiehet man daraus. Zu iedem Begriff wird erstlich die logische Form eines Begriffs (des Denkens) überhaupt, und denn zweitens auch die Möglichkeit, ihm einen Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne diesen leztern hat er keinen Sinn, und ist völlig leer an Inhalt, ob er gleich noch immer die logische Function enthalten mag, aus etwani- gen datis einen Begriff zu machen. Nun kan der Gegen- stand einem Begriffe nicht anders gegeben werden, als in der Anschauung, und, wenn eine reine Anschauung noch vor dem Gegenstande a priori möglich ist, so kan doch auch diese selbst ihren Gegenstand, mithin die obiective Gültigkeit, nur durch die empirische Anschauung bekom- men, wovon sie die blosse Form ist. Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundsätze, so sehr sie auch a priori möglich seyn mögen, dennoch auf empirische Anschauungen, d. i. auf data zur möglichen Erfahrung. Ohne dieses haben sie gar keine obiective Gültigkeit, son- dern sind ein blosses Spiel, es sey der Einbildungskraft, oder des Verstandes, respective mit ihren Vorstellungen. Man nehme nur die Begriffe der Mathematik zum Bey- spiele, und zwar erstlich in ihren reinen Anschauungen. Der Raum hat drey Abmessungen, zwischen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie seyn etc. Obgleich alle diese Grundsätze, und die Vorstellung des Gegenstandes, wo- mit sich iene Wissenschaft beschäftigt, völlig a priori im
Ge-
III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc.
lichen Erfahrung, bezogen wird. Daß aber uͤberall nur der leztere ſtatt finden koͤnne, erſiehet man daraus. Zu iedem Begriff wird erſtlich die logiſche Form eines Begriffs (des Denkens) uͤberhaupt, und denn zweitens auch die Moͤglichkeit, ihm einen Gegenſtand zu geben, darauf er ſich beziehe, erfordert. Ohne dieſen leztern hat er keinen Sinn, und iſt voͤllig leer an Inhalt, ob er gleich noch immer die logiſche Function enthalten mag, aus etwani- gen datis einen Begriff zu machen. Nun kan der Gegen- ſtand einem Begriffe nicht anders gegeben werden, als in der Anſchauung, und, wenn eine reine Anſchauung noch vor dem Gegenſtande a priori moͤglich iſt, ſo kan doch auch dieſe ſelbſt ihren Gegenſtand, mithin die obiective Guͤltigkeit, nur durch die empiriſche Anſchauung bekom- men, wovon ſie die bloſſe Form iſt. Alſo beziehen ſich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundſaͤtze, ſo ſehr ſie auch a priori moͤglich ſeyn moͤgen, dennoch auf empiriſche Anſchauungen, d. i. auf data zur moͤglichen Erfahrung. Ohne dieſes haben ſie gar keine obiective Guͤltigkeit, ſon- dern ſind ein bloſſes Spiel, es ſey der Einbildungskraft, oder des Verſtandes, reſpective mit ihren Vorſtellungen. Man nehme nur die Begriffe der Mathematik zum Bey- ſpiele, und zwar erſtlich in ihren reinen Anſchauungen. Der Raum hat drey Abmeſſungen, zwiſchen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie ſeyn ꝛc. Obgleich alle dieſe Grundſaͤtze, und die Vorſtellung des Gegenſtandes, wo- mit ſich iene Wiſſenſchaft beſchaͤftigt, voͤllig a priori im
Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0269"n="239"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc.</fw><lb/>
lichen <hirendition="#fr">Erfahrung</hi>, bezogen wird. Daß aber uͤberall nur<lb/>
der leztere ſtatt finden koͤnne, erſiehet man daraus. Zu<lb/>
iedem Begriff wird erſtlich die logiſche Form eines Begriffs<lb/>
(des Denkens) uͤberhaupt, und denn zweitens auch die<lb/>
Moͤglichkeit, ihm einen Gegenſtand zu geben, darauf er<lb/>ſich beziehe, erfordert. Ohne dieſen leztern hat er keinen<lb/>
Sinn, und iſt voͤllig leer an Inhalt, ob er gleich noch<lb/>
immer die logiſche Function enthalten mag, aus etwani-<lb/>
gen <hirendition="#aq">datis</hi> einen Begriff zu machen. Nun kan der Gegen-<lb/>ſtand einem Begriffe nicht anders gegeben werden, als in<lb/>
der Anſchauung, und, wenn eine reine Anſchauung noch<lb/>
vor dem Gegenſtande <hirendition="#aq">a priori</hi> moͤglich iſt, ſo kan doch<lb/>
auch dieſe ſelbſt ihren Gegenſtand, mithin die obiective<lb/>
Guͤltigkeit, nur durch die empiriſche Anſchauung bekom-<lb/>
men, wovon ſie die bloſſe Form iſt. Alſo beziehen ſich alle<lb/>
Begriffe und mit ihnen alle Grundſaͤtze, ſo ſehr ſie auch<lb/><hirendition="#aq">a priori</hi> moͤglich ſeyn moͤgen, dennoch auf empiriſche<lb/>
Anſchauungen, d. i. auf <hirendition="#aq">data</hi> zur moͤglichen Erfahrung.<lb/>
Ohne dieſes haben ſie gar keine obiective Guͤltigkeit, ſon-<lb/>
dern ſind ein bloſſes Spiel, es ſey der Einbildungskraft,<lb/>
oder des Verſtandes, reſpective mit ihren Vorſtellungen.<lb/>
Man nehme nur die Begriffe der Mathematik zum Bey-<lb/>ſpiele, und zwar erſtlich in ihren reinen Anſchauungen.<lb/>
Der Raum hat drey Abmeſſungen, zwiſchen zwey Puncten<lb/>
kan nur eine gerade Linie ſeyn ꝛc. Obgleich alle dieſe<lb/>
Grundſaͤtze, und die Vorſtellung des Gegenſtandes, wo-<lb/>
mit ſich iene Wiſſenſchaft beſchaͤftigt, voͤllig <hirendition="#aq">a priori</hi> im<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ge-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[239/0269]
III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc.
lichen Erfahrung, bezogen wird. Daß aber uͤberall nur
der leztere ſtatt finden koͤnne, erſiehet man daraus. Zu
iedem Begriff wird erſtlich die logiſche Form eines Begriffs
(des Denkens) uͤberhaupt, und denn zweitens auch die
Moͤglichkeit, ihm einen Gegenſtand zu geben, darauf er
ſich beziehe, erfordert. Ohne dieſen leztern hat er keinen
Sinn, und iſt voͤllig leer an Inhalt, ob er gleich noch
immer die logiſche Function enthalten mag, aus etwani-
gen datis einen Begriff zu machen. Nun kan der Gegen-
ſtand einem Begriffe nicht anders gegeben werden, als in
der Anſchauung, und, wenn eine reine Anſchauung noch
vor dem Gegenſtande a priori moͤglich iſt, ſo kan doch
auch dieſe ſelbſt ihren Gegenſtand, mithin die obiective
Guͤltigkeit, nur durch die empiriſche Anſchauung bekom-
men, wovon ſie die bloſſe Form iſt. Alſo beziehen ſich alle
Begriffe und mit ihnen alle Grundſaͤtze, ſo ſehr ſie auch
a priori moͤglich ſeyn moͤgen, dennoch auf empiriſche
Anſchauungen, d. i. auf data zur moͤglichen Erfahrung.
Ohne dieſes haben ſie gar keine obiective Guͤltigkeit, ſon-
dern ſind ein bloſſes Spiel, es ſey der Einbildungskraft,
oder des Verſtandes, reſpective mit ihren Vorſtellungen.
Man nehme nur die Begriffe der Mathematik zum Bey-
ſpiele, und zwar erſtlich in ihren reinen Anſchauungen.
Der Raum hat drey Abmeſſungen, zwiſchen zwey Puncten
kan nur eine gerade Linie ſeyn ꝛc. Obgleich alle dieſe
Grundſaͤtze, und die Vorſtellung des Gegenſtandes, wo-
mit ſich iene Wiſſenſchaft beſchaͤftigt, voͤllig a priori im
Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/269>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.