die Ursache von dem Steigen des Wassers über seine Hori- zontalfläche, obgleich beide Erscheinungen zugleich seyn. Denn so bald ich dieses aus einem grösseren Gefäß mit dem Glase schöpfe, so erfolgt etwas, nemlich die Veränderung des Horizontalstandes, den es dort hatte, in einen conca- ven, den es im Glase annimt.
Diese Caussalität führt auf den Begriff der Hand- lung, diese auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Substanz. Da ich mein critisches Vorhaben, welches lediglich auf die Quellen der synthetischen Erkentniß a priori geht, nicht mit Zergliederungen bemengen will, die blos die Erläuterung (nicht Erweiterung) der Begriffe angehen, so überlasse ich die umständliche Erörterung derselben einem künftigen System der reinen Vernunft: wie wol man eine solche Analysis im reichen Maasse, auch schon in den bisher bekanten Lehrbüchern dieser Art, an- trift. Allein das empirische Criterium einer Substanz, so fern sie sich nicht durch die Beharrlichkeit der Erscheinung, sondern besser und leichter durch Handlung zu offenbaren scheint, kan ich nicht unberührt lassen.
Wo Handlung, mithin Thätigkeit und Kraft ist, da ist auch Substanz, und in dieser allein muß der Sitz iener fruchtbaren Quelle der Erscheinungen gesucht werden. Das ist ganz gut gesagt: aber, wenn man sich darüber erklä- ren soll, was man unter Substanz verstehe, und dabey den fehlerhaften Cirkel vermeiden will, so ist es nicht so
leicht
Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
die Urſache von dem Steigen des Waſſers uͤber ſeine Hori- zontalflaͤche, obgleich beide Erſcheinungen zugleich ſeyn. Denn ſo bald ich dieſes aus einem groͤſſeren Gefaͤß mit dem Glaſe ſchoͤpfe, ſo erfolgt etwas, nemlich die Veraͤnderung des Horizontalſtandes, den es dort hatte, in einen conca- ven, den es im Glaſe annimt.
Dieſe Cauſſalitaͤt fuͤhrt auf den Begriff der Hand- lung, dieſe auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Subſtanz. Da ich mein critiſches Vorhaben, welches lediglich auf die Quellen der ſynthetiſchen Erkentniß a priori geht, nicht mit Zergliederungen bemengen will, die blos die Erlaͤuterung (nicht Erweiterung) der Begriffe angehen, ſo uͤberlaſſe ich die umſtaͤndliche Eroͤrterung derſelben einem kuͤnftigen Syſtem der reinen Vernunft: wie wol man eine ſolche Analyſis im reichen Maaſſe, auch ſchon in den bisher bekanten Lehrbuͤchern dieſer Art, an- trift. Allein das empiriſche Criterium einer Subſtanz, ſo fern ſie ſich nicht durch die Beharrlichkeit der Erſcheinung, ſondern beſſer und leichter durch Handlung zu offenbaren ſcheint, kan ich nicht unberuͤhrt laſſen.
Wo Handlung, mithin Thaͤtigkeit und Kraft iſt, da iſt auch Subſtanz, und in dieſer allein muß der Sitz iener fruchtbaren Quelle der Erſcheinungen geſucht werden. Das iſt ganz gut geſagt: aber, wenn man ſich daruͤber erklaͤ- ren ſoll, was man unter Subſtanz verſtehe, und dabey den fehlerhaften Cirkel vermeiden will, ſo iſt es nicht ſo
leicht
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Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
die Urſache von dem Steigen des Waſſers uͤber ſeine Hori-
zontalflaͤche, obgleich beide Erſcheinungen zugleich ſeyn.
Denn ſo bald ich dieſes aus einem groͤſſeren Gefaͤß mit dem
Glaſe ſchoͤpfe, ſo erfolgt etwas, nemlich die Veraͤnderung
des Horizontalſtandes, den es dort hatte, in einen conca-
ven, den es im Glaſe annimt.
Dieſe Cauſſalitaͤt fuͤhrt auf den Begriff der Hand-
lung, dieſe auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den
Begriff der Subſtanz. Da ich mein critiſches Vorhaben,
welches lediglich auf die Quellen der ſynthetiſchen Erkentniß
a priori geht, nicht mit Zergliederungen bemengen will,
die blos die Erlaͤuterung (nicht Erweiterung) der Begriffe
angehen, ſo uͤberlaſſe ich die umſtaͤndliche Eroͤrterung
derſelben einem kuͤnftigen Syſtem der reinen Vernunft:
wie wol man eine ſolche Analyſis im reichen Maaſſe, auch
ſchon in den bisher bekanten Lehrbuͤchern dieſer Art, an-
trift. Allein das empiriſche Criterium einer Subſtanz, ſo
fern ſie ſich nicht durch die Beharrlichkeit der Erſcheinung,
ſondern beſſer und leichter durch Handlung zu offenbaren
ſcheint, kan ich nicht unberuͤhrt laſſen.
Wo Handlung, mithin Thaͤtigkeit und Kraft iſt, da
iſt auch Subſtanz, und in dieſer allein muß der Sitz iener
fruchtbaren Quelle der Erſcheinungen geſucht werden. Das
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/234>, abgerufen am 24.11.2024.
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