welche auf gewisse Grunderfahrungen gebauet ist, nicht vor- greifen.
Gleichwol mangelt es uns nicht an Beweisthümern des grossen Einflusses, den dieser unser Grundsatz hat, Wahrnehmungen zu anticipiren, und so gar deren Man- gel so fern zu ergänzen, daß er allen falschen Schlüssen, die daraus gezogen werden möchten, den Riegel vorschiebt.
Wenn alle Realität in der Wahrnehmung einen Grad hat, zwischen dem und der Negation eine unend- liche Stufenfolge immer minderer Grade statt findet, und gleichwol ein ieder Sinn einen bestimten Grad der Re- ceptivität der Empfindungen haben muß, so ist keine Wahr- nehmung, mithin auch keine Erfahrung möglich, die einen gänzlichen Mangel alles Realen in der Erscheinung, es sey unmittelbar oder mittelbar, (durch welchen Umschweif im Schlüssen, als man immer wolle) bewiese, d. i. es kan aus der Erfahrung niemals ein Beweis vom leeren Raume oder einer leeren Zeit gezogen werden. Denn der gänz- liche Mangel des Realen in der sinnlichen Anschauung kan erstlich selbst nicht wahrgenommen werden, zweytens kan er aus keiner einzigen Erscheinung und dem Unterschiede des Grades ihrer Realität gefolgert, oder darf auch zur Erklärung derselben niemals angenommen werden. Denn wenn auch die ganze Anschauung eines bestimten Rau- mes oder Zeit durch und durch real, d. i. kein Theil der- selben leer ist; so muß es doch, weil iede Realität ihren Grad hat, der, bey unveränderter extensiven Grösse der
Er-
Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
welche auf gewiſſe Grunderfahrungen gebauet iſt, nicht vor- greifen.
Gleichwol mangelt es uns nicht an Beweisthuͤmern des groſſen Einfluſſes, den dieſer unſer Grundſatz hat, Wahrnehmungen zu anticipiren, und ſo gar deren Man- gel ſo fern zu ergaͤnzen, daß er allen falſchen Schluͤſſen, die daraus gezogen werden moͤchten, den Riegel vorſchiebt.
Wenn alle Realitaͤt in der Wahrnehmung einen Grad hat, zwiſchen dem und der Negation eine unend- liche Stufenfolge immer minderer Grade ſtatt findet, und gleichwol ein ieder Sinn einen beſtimten Grad der Re- ceptivitaͤt der Empfindungen haben muß, ſo iſt keine Wahr- nehmung, mithin auch keine Erfahrung moͤglich, die einen gaͤnzlichen Mangel alles Realen in der Erſcheinung, es ſey unmittelbar oder mittelbar, (durch welchen Umſchweif im Schluͤſſen, als man immer wolle) bewieſe, d. i. es kan aus der Erfahrung niemals ein Beweis vom leeren Raume oder einer leeren Zeit gezogen werden. Denn der gaͤnz- liche Mangel des Realen in der ſinnlichen Anſchauung kan erſtlich ſelbſt nicht wahrgenommen werden, zweytens kan er aus keiner einzigen Erſcheinung und dem Unterſchiede des Grades ihrer Realitaͤt gefolgert, oder darf auch zur Erklaͤrung derſelben niemals angenommen werden. Denn wenn auch die ganze Anſchauung eines beſtimten Rau- mes oder Zeit durch und durch real, d. i. kein Theil der- ſelben leer iſt; ſo muß es doch, weil iede Realitaͤt ihren Grad hat, der, bey unveraͤnderter extenſiven Groͤſſe der
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Elementarl. II. Th. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
welche auf gewiſſe Grunderfahrungen gebauet iſt, nicht vor-
greifen.
Gleichwol mangelt es uns nicht an Beweisthuͤmern
des groſſen Einfluſſes, den dieſer unſer Grundſatz hat,
Wahrnehmungen zu anticipiren, und ſo gar deren Man-
gel ſo fern zu ergaͤnzen, daß er allen falſchen Schluͤſſen,
die daraus gezogen werden moͤchten, den Riegel vorſchiebt.
Wenn alle Realitaͤt in der Wahrnehmung einen
Grad hat, zwiſchen dem und der Negation eine unend-
liche Stufenfolge immer minderer Grade ſtatt findet, und
gleichwol ein ieder Sinn einen beſtimten Grad der Re-
ceptivitaͤt der Empfindungen haben muß, ſo iſt keine Wahr-
nehmung, mithin auch keine Erfahrung moͤglich, die einen
gaͤnzlichen Mangel alles Realen in der Erſcheinung, es ſey
unmittelbar oder mittelbar, (durch welchen Umſchweif im
Schluͤſſen, als man immer wolle) bewieſe, d. i. es kan
aus der Erfahrung niemals ein Beweis vom leeren Raume
oder einer leeren Zeit gezogen werden. Denn der gaͤnz-
liche Mangel des Realen in der ſinnlichen Anſchauung kan
erſtlich ſelbſt nicht wahrgenommen werden, zweytens kan
er aus keiner einzigen Erſcheinung und dem Unterſchiede
des Grades ihrer Realitaͤt gefolgert, oder darf auch zur
Erklaͤrung derſelben niemals angenommen werden. Denn
wenn auch die ganze Anſchauung eines beſtimten Rau-
mes oder Zeit durch und durch real, d. i. kein Theil der-
ſelben leer iſt; ſo muß es doch, weil iede Realitaͤt ihren
Grad hat, der, bey unveraͤnderter extenſiven Groͤſſe der
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/202>, abgerufen am 23.11.2024.
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