wären. Vollends aber alles Strafen und Belohnen nur als das Maschinenwerk in der Hand einer höheren Macht anzu- sehen, welches vernünftige Wesen dadurch zu ihrer Endabsicht (der Glückseligkeit) in Thätigkeit zu setzen allein dtenen soll- te, ist gar zu sichtbar ein alle Freyheit aufhebender Mecha- nism ihres Willens, als daß es nöthig wäre uns hiebey auf- zuhalten.
Feiner noch, obgleich eben so unwahr, ist das Vorgeben derer, die einen gewissen moralischen besondern Sinn anneh- men, der, und nicht die Vernunft, das moralische Gesetz be- stimmete, nach welchem das Bewußtseyn der Tugend unmittel- bar mit Zufriedenheit und Vergnügen, das des Lasters aber mit Seelenunruhe und Schmerz verbunden wäre, und so alles doch auf Verlangen nach eigener Glückseligkeit aussetzen. Ohne das hieher zu ziehen, was oben gesagt worden, will ich nur die Täuschung bemerken, die hiebey vorgeht. Um den Lasterhaften als durch das Bewußtseyn seiner Vergehungen mit Gemüths- unruhe geplagt vorzustellen, müssen sie ihn, der vornehmsten Grundlage seines Characters nach, schon zum voraus als, we- nigstens in einigem Grade, moralisch gut, so wie den, wel- chen das Bewußtseyn pflichtmäßiger Handlungen ergötzt, vor- her schon als tugendhaft vorstellen. Also mußte doch der Be- griff der Moralität und Pflicht vor aller Rücksicht auf diese Zufriedenheit vorhergehen und kann von dieser gar nicht abge- leitet werden. Nun muß man doch die Wichtigkeit dessen, was wir Pflicht nennen, das Ansehen des moralischen Gesetzes und den unmittelbaren Werth, den die Befolgung desselben der Person in ihren eigenen Augen giebt, vorher schätzen, um jene Zufriedenheit in dem Bewußtseyn seiner Angemessenheit zu derselben, und den bitteren Verweis, wenn man sich dessen Uebertretung vorwerfen kann, zu fühlen. Man kann also
diese
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der reinen practiſchen Vernunft.
waͤren. Vollends aber alles Strafen und Belohnen nur als das Maſchinenwerk in der Hand einer hoͤheren Macht anzu- ſehen, welches vernuͤnftige Weſen dadurch zu ihrer Endabſicht (der Gluͤckſeligkeit) in Thaͤtigkeit zu ſetzen allein dtenen ſoll- te, iſt gar zu ſichtbar ein alle Freyheit aufhebender Mecha- nism ihres Willens, als daß es noͤthig waͤre uns hiebey auf- zuhalten.
Feiner noch, obgleich eben ſo unwahr, iſt das Vorgeben derer, die einen gewiſſen moraliſchen beſondern Sinn anneh- men, der, und nicht die Vernunft, das moraliſche Geſetz be- ſtimmete, nach welchem das Bewußtſeyn der Tugend unmittel- bar mit Zufriedenheit und Vergnuͤgen, das des Laſters aber mit Seelenunruhe und Schmerz verbunden waͤre, und ſo alles doch auf Verlangen nach eigener Gluͤckſeligkeit ausſetzen. Ohne das hieher zu ziehen, was oben geſagt worden, will ich nur die Taͤuſchung bemerken, die hiebey vorgeht. Um den Laſterhaften als durch das Bewußtſeyn ſeiner Vergehungen mit Gemuͤths- unruhe geplagt vorzuſtellen, muͤſſen ſie ihn, der vornehmſten Grundlage ſeines Characters nach, ſchon zum voraus als, we- nigſtens in einigem Grade, moraliſch gut, ſo wie den, wel- chen das Bewußtſeyn pflichtmaͤßiger Handlungen ergoͤtzt, vor- her ſchon als tugendhaft vorſtellen. Alſo mußte doch der Be- griff der Moralitaͤt und Pflicht vor aller Ruͤckſicht auf dieſe Zufriedenheit vorhergehen und kann von dieſer gar nicht abge- leitet werden. Nun muß man doch die Wichtigkeit deſſen, was wir Pflicht nennen, das Anſehen des moraliſchen Geſetzes und den unmittelbaren Werth, den die Befolgung deſſelben der Perſon in ihren eigenen Augen giebt, vorher ſchaͤtzen, um jene Zufriedenheit in dem Bewußtſeyn ſeiner Angemeſſenheit zu derſelben, und den bitteren Verweis, wenn man ſich deſſen Uebertretung vorwerfen kann, zu fuͤhlen. Man kann alſo
dieſe
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der reinen practiſchen Vernunft.
waͤren. Vollends aber alles Strafen und Belohnen nur als
das Maſchinenwerk in der Hand einer hoͤheren Macht anzu-
ſehen, welches vernuͤnftige Weſen dadurch zu ihrer Endabſicht
(der Gluͤckſeligkeit) in Thaͤtigkeit zu ſetzen allein dtenen ſoll-
te, iſt gar zu ſichtbar ein alle Freyheit aufhebender Mecha-
nism ihres Willens, als daß es noͤthig waͤre uns hiebey auf-
zuhalten.
Feiner noch, obgleich eben ſo unwahr, iſt das Vorgeben
derer, die einen gewiſſen moraliſchen beſondern Sinn anneh-
men, der, und nicht die Vernunft, das moraliſche Geſetz be-
ſtimmete, nach welchem das Bewußtſeyn der Tugend unmittel-
bar mit Zufriedenheit und Vergnuͤgen, das des Laſters aber
mit Seelenunruhe und Schmerz verbunden waͤre, und ſo alles
doch auf Verlangen nach eigener Gluͤckſeligkeit ausſetzen. Ohne
das hieher zu ziehen, was oben geſagt worden, will ich nur
die Taͤuſchung bemerken, die hiebey vorgeht. Um den Laſterhaften
als durch das Bewußtſeyn ſeiner Vergehungen mit Gemuͤths-
unruhe geplagt vorzuſtellen, muͤſſen ſie ihn, der vornehmſten
Grundlage ſeines Characters nach, ſchon zum voraus als, we-
nigſtens in einigem Grade, moraliſch gut, ſo wie den, wel-
chen das Bewußtſeyn pflichtmaͤßiger Handlungen ergoͤtzt, vor-
her ſchon als tugendhaft vorſtellen. Alſo mußte doch der Be-
griff der Moralitaͤt und Pflicht vor aller Ruͤckſicht auf dieſe
Zufriedenheit vorhergehen und kann von dieſer gar nicht abge-
leitet werden. Nun muß man doch die Wichtigkeit deſſen,
was wir Pflicht nennen, das Anſehen des moraliſchen Geſetzes
und den unmittelbaren Werth, den die Befolgung deſſelben
der Perſon in ihren eigenen Augen giebt, vorher ſchaͤtzen, um
jene Zufriedenheit in dem Bewußtſeyn ſeiner Angemeſſenheit
zu derſelben, und den bitteren Verweis, wenn man ſich deſſen
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/75>, abgerufen am 17.02.2025.
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