Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

der reinen practischen Vernunft.
auch ja nicht Besorgnisse wegen eines pöbelhaften Eigennutzes
desselben im Wege stünden, rühmete er, wie er recht fein zu
leben verstünde, nicht im Geldsammeln oder brutaler Ueppig-
keit, sondern in der Erweiterung seiner Kenntnisse, einem
wohlgewählten belehrenden Umgange, selbst im Wohlthun der
Dürftigen, sein Vergnügen suchte, übrigens aber wegen der
Mittel (die doch ihren Werth oder Unwerth nur vom Zwecke
entlehnen) nicht bedenklich wäre, und fremdes Geld und Gut
ihm hiezu, so bald er nur wisse, daß er es unentdeckt und un-
gehindert thun könne, so gut wie sein eigenes wäre: so würdet ihr
entweder glauben, der Empfehlende habe euch zum besten, oder er
habe den Verstand verlohren. -- So deutlich und scharf sind die
Grenzen der Sittlichkeit und der Selbstliebe abgeschnitten, daß
selbst das gemeinste Auge den Unterschied, ob etwas zu der
einen oder der andern gehöre, gar nicht verfehlen kann. Fol-
gende wenige Bemerkungen können zwar bey einer so offenbaren
Wahrheit überflüssig scheinen, allein sie dienen doch wenigstens
dazu, dem Urtheile der gemeinen Menschenvernunft etwas
mehr Deutlichkeit zu verschaffen.

Das Princip der Glückseligkeit kann zwar Maximen, aber
niemals solche abgeben, die zu Gesetzen des Willens tauglich
wären, selbst wenn man sich die allgemeine Glückseligkeit zum
Objecte machte. Denn, weil dieser ihre Erkenntniß auf lauter
Erfahrungsdatis beruht, weil jedes Urtheil darüber gar sehr
von jedes seiner Meynung, die noch dazu selbst sehr veränder-
lich ist, abhängt, so kann es wol generelle, aber niemals
universelle Regeln, d. i. solche, die im Durchschnitte am öf-
tersten zutreffen, nicht aber solche, die jederzeit und nothwen-
dig gültig seyn müssen, geben, mithin können keine practische
Gesetze darauf gegründet werden. Eben darum, weil hier
ein Object der Willkühr der Regel derselben zum Grunde gelegt

und

der reinen practiſchen Vernunft.
auch ja nicht Beſorgniſſe wegen eines poͤbelhaften Eigennutzes
deſſelben im Wege ſtuͤnden, ruͤhmete er, wie er recht fein zu
leben verſtuͤnde, nicht im Geldſammeln oder brutaler Ueppig-
keit, ſondern in der Erweiterung ſeiner Kenntniſſe, einem
wohlgewaͤhlten belehrenden Umgange, ſelbſt im Wohlthun der
Duͤrftigen, ſein Vergnuͤgen ſuchte, uͤbrigens aber wegen der
Mittel (die doch ihren Werth oder Unwerth nur vom Zwecke
entlehnen) nicht bedenklich waͤre, und fremdes Geld und Gut
ihm hiezu, ſo bald er nur wiſſe, daß er es unentdeckt und un-
gehindert thun koͤnne, ſo gut wie ſein eigenes waͤre: ſo wuͤrdet ihr
entweder glauben, der Empfehlende habe euch zum beſten, oder er
habe den Verſtand verlohren. — So deutlich und ſcharf ſind die
Grenzen der Sittlichkeit und der Selbſtliebe abgeſchnitten, daß
ſelbſt das gemeinſte Auge den Unterſchied, ob etwas zu der
einen oder der andern gehoͤre, gar nicht verfehlen kann. Fol-
gende wenige Bemerkungen koͤnnen zwar bey einer ſo offenbaren
Wahrheit uͤberfluͤſſig ſcheinen, allein ſie dienen doch wenigſtens
dazu, dem Urtheile der gemeinen Menſchenvernunft etwas
mehr Deutlichkeit zu verſchaffen.

Das Princip der Gluͤckſeligkeit kann zwar Maximen, aber
niemals ſolche abgeben, die zu Geſetzen des Willens tauglich
waͤren, ſelbſt wenn man ſich die allgemeine Gluͤckſeligkeit zum
Objecte machte. Denn, weil dieſer ihre Erkenntniß auf lauter
Erfahrungsdatis beruht, weil jedes Urtheil daruͤber gar ſehr
von jedes ſeiner Meynung, die noch dazu ſelbſt ſehr veraͤnder-
lich iſt, abhaͤngt, ſo kann es wol generelle, aber niemals
univerſelle Regeln, d. i. ſolche, die im Durchſchnitte am oͤf-
terſten zutreffen, nicht aber ſolche, die jederzeit und nothwen-
dig guͤltig ſeyn muͤſſen, geben, mithin koͤnnen keine practiſche
Geſetze darauf gegruͤndet werden. Eben darum, weil hier
ein Object der Willkuͤhr der Regel derſelben zum Grunde gelegt

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0071" n="63"/><fw place="top" type="header">der reinen practi&#x017F;chen Vernunft.</fw><lb/>
auch ja nicht Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e wegen eines po&#x0364;belhaften Eigennutzes<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben im Wege &#x017F;tu&#x0364;nden, ru&#x0364;hmete er, wie er recht fein zu<lb/>
leben ver&#x017F;tu&#x0364;nde, nicht im Geld&#x017F;ammeln oder brutaler Ueppig-<lb/>
keit, &#x017F;ondern in der Erweiterung &#x017F;einer Kenntni&#x017F;&#x017F;e, einem<lb/>
wohlgewa&#x0364;hlten belehrenden Umgange, &#x017F;elb&#x017F;t im Wohlthun der<lb/>
Du&#x0364;rftigen, &#x017F;ein Vergnu&#x0364;gen &#x017F;uchte, u&#x0364;brigens aber wegen der<lb/>
Mittel (die doch ihren Werth oder Unwerth nur vom Zwecke<lb/>
entlehnen) nicht bedenklich wa&#x0364;re, und fremdes Geld und Gut<lb/>
ihm hiezu, &#x017F;o bald er nur <choice><sic>wiffe</sic><corr>wi&#x017F;&#x017F;e</corr></choice>, daß er es unentdeckt und un-<lb/>
gehindert thun ko&#x0364;nne, &#x017F;o gut wie &#x017F;ein eigenes wa&#x0364;re: &#x017F;o wu&#x0364;rdet ihr<lb/>
entweder glauben, der Empfehlende habe euch zum be&#x017F;ten, oder er<lb/>
habe den Ver&#x017F;tand verlohren. &#x2014; So deutlich und &#x017F;charf &#x017F;ind die<lb/>
Grenzen der Sittlichkeit und der Selb&#x017F;tliebe abge&#x017F;chnitten, daß<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t das gemein&#x017F;te Auge den Unter&#x017F;chied, ob etwas zu der<lb/>
einen oder der andern geho&#x0364;re, gar nicht verfehlen kann. Fol-<lb/>
gende wenige Bemerkungen ko&#x0364;nnen zwar bey einer &#x017F;o offenbaren<lb/>
Wahrheit u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;cheinen, allein &#x017F;ie dienen doch wenig&#x017F;tens<lb/>
dazu, dem Urtheile der gemeinen Men&#x017F;chenvernunft etwas<lb/>
mehr Deutlichkeit zu ver&#x017F;chaffen.</p><lb/>
                <p>Das Princip der Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit kann zwar Maximen, aber<lb/>
niemals &#x017F;olche abgeben, die zu Ge&#x017F;etzen des Willens tauglich<lb/>
wa&#x0364;ren, &#x017F;elb&#x017F;t wenn man &#x017F;ich die allgemeine Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit zum<lb/>
Objecte machte. Denn, weil die&#x017F;er ihre Erkenntniß auf lauter<lb/>
Erfahrungsdatis beruht, weil jedes Urtheil daru&#x0364;ber gar &#x017F;ehr<lb/>
von jedes &#x017F;einer Meynung, die noch dazu &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehr vera&#x0364;nder-<lb/>
lich i&#x017F;t, abha&#x0364;ngt, &#x017F;o kann es wol generelle, aber niemals<lb/>
univer&#x017F;elle Regeln, d. i. &#x017F;olche, die im Durch&#x017F;chnitte am o&#x0364;f-<lb/>
ter&#x017F;ten zutreffen, nicht aber &#x017F;olche, die jederzeit und nothwen-<lb/>
dig gu&#x0364;ltig &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, geben, mithin ko&#x0364;nnen keine practi&#x017F;che<lb/>
Ge&#x017F;etze darauf gegru&#x0364;ndet werden. Eben darum, weil hier<lb/>
ein Object der Willku&#x0364;hr der Regel der&#x017F;elben zum Grunde gelegt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0071] der reinen practiſchen Vernunft. auch ja nicht Beſorgniſſe wegen eines poͤbelhaften Eigennutzes deſſelben im Wege ſtuͤnden, ruͤhmete er, wie er recht fein zu leben verſtuͤnde, nicht im Geldſammeln oder brutaler Ueppig- keit, ſondern in der Erweiterung ſeiner Kenntniſſe, einem wohlgewaͤhlten belehrenden Umgange, ſelbſt im Wohlthun der Duͤrftigen, ſein Vergnuͤgen ſuchte, uͤbrigens aber wegen der Mittel (die doch ihren Werth oder Unwerth nur vom Zwecke entlehnen) nicht bedenklich waͤre, und fremdes Geld und Gut ihm hiezu, ſo bald er nur wiſſe, daß er es unentdeckt und un- gehindert thun koͤnne, ſo gut wie ſein eigenes waͤre: ſo wuͤrdet ihr entweder glauben, der Empfehlende habe euch zum beſten, oder er habe den Verſtand verlohren. — So deutlich und ſcharf ſind die Grenzen der Sittlichkeit und der Selbſtliebe abgeſchnitten, daß ſelbſt das gemeinſte Auge den Unterſchied, ob etwas zu der einen oder der andern gehoͤre, gar nicht verfehlen kann. Fol- gende wenige Bemerkungen koͤnnen zwar bey einer ſo offenbaren Wahrheit uͤberfluͤſſig ſcheinen, allein ſie dienen doch wenigſtens dazu, dem Urtheile der gemeinen Menſchenvernunft etwas mehr Deutlichkeit zu verſchaffen. Das Princip der Gluͤckſeligkeit kann zwar Maximen, aber niemals ſolche abgeben, die zu Geſetzen des Willens tauglich waͤren, ſelbſt wenn man ſich die allgemeine Gluͤckſeligkeit zum Objecte machte. Denn, weil dieſer ihre Erkenntniß auf lauter Erfahrungsdatis beruht, weil jedes Urtheil daruͤber gar ſehr von jedes ſeiner Meynung, die noch dazu ſelbſt ſehr veraͤnder- lich iſt, abhaͤngt, ſo kann es wol generelle, aber niemals univerſelle Regeln, d. i. ſolche, die im Durchſchnitte am oͤf- terſten zutreffen, nicht aber ſolche, die jederzeit und nothwen- dig guͤltig ſeyn muͤſſen, geben, mithin koͤnnen keine practiſche Geſetze darauf gegruͤndet werden. Eben darum, weil hier ein Object der Willkuͤhr der Regel derſelben zum Grunde gelegt und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/71
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/71>, abgerufen am 27.11.2024.