Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite
der reinen practischen Vernunft.
Anmerkung.

Die reine Geometrie hat Postulate als practische Sät[ - 1 Zeichen fehlt]e,
die aber nichts weiter enthalten, als die Voraussetzung, daß
man etwas thun könne, wenn etwa gefodert würde, man
solle es thun, und diese sind die einzigen Sätze derselben, die
ein Daseyn betreffen. Es sind also practische Regeln unter
einer problematischen Bedingung des Willens. Hier aber sagt
die Regel: man solle schlechthin auf gewisse Weise verfahren.
Die practische Regel ist also unbedingt, mithin, als catego-
risch practischer Satz, a priori vorgestellt, wodurch der Wille
schlechterdings und unmittelbar (durch die practische Regel
selbst, die also hier Gesetz ist,) objectiv bestimmt wird. Denn
reine, an sich practische Vernunft ist hier unmittelbar ge-
setzgebend. Der Wille wird als unabhängig von empirischen
Bedingungen, mithin als reiner Wille, durch die bloße Form
des Gesetzes
als bestimmt gedacht, und dieser Bestimmungs-
grund als die oberste Bedingung aller Maximen angesehen.
Die Sache ist befremdlich genug, und hat ihres gleichen in der
ganzen übrigen practischen Erkenntniß nicht. Denn der Ge-
danke a priori von einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung,
der also blos problematisch ist, wird, ohne von der Erfahrung
oder irgend einem äußeren Willen etwas zu entlehnen, als
Gesetz unbedingt geboten. Es ist aber auch nicht eine Vor-
schrift, nach welcher eine Handlung geschehen soll, dadurch
eine begehrte Wirkung möglich ist, (denn da wäre die Regel
immer physisch bedingt,) sondern eine Regel, die blos den
Willen, in Ansehung der Form seiner Maximen, a priori
bestimmt, und da ist ein Gesetz, welches blos zum Behuf der
subjectiven Form der Grundsätze dient, als Bestimmungs-
grund durch die objective Form eines Gesetzes überhaupt,
wenigstens zu denken, nicht unmöglich. Man kann das Be-

wußt-
D 4
der reinen practiſchen Vernunft.
Anmerkung.

Die reine Geometrie hat Poſtulate als practiſche Saͤt[ – 1 Zeichen fehlt]e,
die aber nichts weiter enthalten, als die Vorausſetzung, daß
man etwas thun koͤnne, wenn etwa gefodert wuͤrde, man
ſolle es thun, und dieſe ſind die einzigen Saͤtze derſelben, die
ein Daſeyn betreffen. Es ſind alſo practiſche Regeln unter
einer problematiſchen Bedingung des Willens. Hier aber ſagt
die Regel: man ſolle ſchlechthin auf gewiſſe Weiſe verfahren.
Die practiſche Regel iſt alſo unbedingt, mithin, als catego-
riſch practiſcher Satz, a priori vorgeſtellt, wodurch der Wille
ſchlechterdings und unmittelbar (durch die practiſche Regel
ſelbſt, die alſo hier Geſetz iſt,) objectiv beſtimmt wird. Denn
reine, an ſich practiſche Vernunft iſt hier unmittelbar ge-
ſetzgebend. Der Wille wird als unabhaͤngig von empiriſchen
Bedingungen, mithin als reiner Wille, durch die bloße Form
des Geſetzes
als beſtimmt gedacht, und dieſer Beſtimmungs-
grund als die oberſte Bedingung aller Maximen angeſehen.
Die Sache iſt befremdlich genug, und hat ihres gleichen in der
ganzen uͤbrigen practiſchen Erkenntniß nicht. Denn der Ge-
danke a priori von einer moͤglichen allgemeinen Geſetzgebung,
der alſo blos problematiſch iſt, wird, ohne von der Erfahrung
oder irgend einem aͤußeren Willen etwas zu entlehnen, als
Geſetz unbedingt geboten. Es iſt aber auch nicht eine Vor-
ſchrift, nach welcher eine Handlung geſchehen ſoll, dadurch
eine begehrte Wirkung moͤglich iſt, (denn da waͤre die Regel
immer phyſiſch bedingt,) ſondern eine Regel, die blos den
Willen, in Anſehung der Form ſeiner Maximen, a priori
beſtimmt, und da iſt ein Geſetz, welches blos zum Behuf der
ſubjectiven Form der Grundſaͤtze dient, als Beſtimmungs-
grund durch die objective Form eines Geſetzes uͤberhaupt,
wenigſtens zu denken, nicht unmoͤglich. Man kann das Be-

wußt-
D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0063" n="55"/>
              <fw place="top" type="header">der reinen practi&#x017F;chen Vernunft.</fw><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>.</hi> </head><lb/>
                <p>Die reine Geometrie hat Po&#x017F;tulate als practi&#x017F;che Sa&#x0364;t<gap unit="chars" quantity="1"/>e,<lb/>
die aber nichts weiter enthalten, als die Voraus&#x017F;etzung, daß<lb/>
man etwas thun ko&#x0364;nne, wenn etwa gefodert wu&#x0364;rde, man<lb/>
&#x017F;olle es thun, und die&#x017F;e &#x017F;ind die einzigen Sa&#x0364;tze der&#x017F;elben, die<lb/>
ein Da&#x017F;eyn betreffen. Es &#x017F;ind al&#x017F;o practi&#x017F;che Regeln unter<lb/>
einer problemati&#x017F;chen Bedingung des Willens. Hier aber &#x017F;agt<lb/>
die Regel: man &#x017F;olle &#x017F;chlechthin auf gewi&#x017F;&#x017F;e Wei&#x017F;e verfahren.<lb/>
Die practi&#x017F;che Regel i&#x017F;t al&#x017F;o unbedingt, mithin, als catego-<lb/>
ri&#x017F;ch practi&#x017F;cher Satz, <hi rendition="#aq">a priori</hi> vorge&#x017F;tellt, wodurch der Wille<lb/>
&#x017F;chlechterdings und unmittelbar (durch die practi&#x017F;che Regel<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, die al&#x017F;o hier Ge&#x017F;etz i&#x017F;t,) objectiv be&#x017F;timmt wird. Denn<lb/>
reine, <hi rendition="#fr">an &#x017F;ich practi&#x017F;che Vernunft</hi> i&#x017F;t hier unmittelbar ge-<lb/>
&#x017F;etzgebend. Der Wille wird als unabha&#x0364;ngig von empiri&#x017F;chen<lb/>
Bedingungen, mithin als reiner Wille, <hi rendition="#fr">durch die bloße Form<lb/>
des Ge&#x017F;etzes</hi> als be&#x017F;timmt gedacht, und die&#x017F;er Be&#x017F;timmungs-<lb/>
grund als die ober&#x017F;te Bedingung aller Maximen ange&#x017F;ehen.<lb/>
Die Sache i&#x017F;t befremdlich genug, und hat ihres gleichen in der<lb/>
ganzen u&#x0364;brigen practi&#x017F;chen Erkenntniß nicht. Denn der Ge-<lb/>
danke <hi rendition="#aq">a priori</hi> von einer mo&#x0364;glichen allgemeinen Ge&#x017F;etzgebung,<lb/>
der al&#x017F;o blos problemati&#x017F;ch i&#x017F;t, wird, ohne von der Erfahrung<lb/>
oder irgend einem a&#x0364;ußeren Willen etwas zu entlehnen, als<lb/>
Ge&#x017F;etz unbedingt geboten. Es i&#x017F;t aber auch nicht eine Vor-<lb/>
&#x017F;chrift, nach welcher eine Handlung ge&#x017F;chehen &#x017F;oll, dadurch<lb/>
eine begehrte Wirkung mo&#x0364;glich i&#x017F;t, (denn da wa&#x0364;re die Regel<lb/>
immer phy&#x017F;i&#x017F;ch bedingt,) &#x017F;ondern eine Regel, die blos den<lb/>
Willen, in An&#x017F;ehung der Form &#x017F;einer Maximen, <hi rendition="#aq">a priori</hi><lb/>
be&#x017F;timmt, und da i&#x017F;t ein Ge&#x017F;etz, welches blos zum Behuf der<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;ubjectiven</hi> Form der Grund&#x017F;a&#x0364;tze dient, als Be&#x017F;timmungs-<lb/>
grund durch die <hi rendition="#fr">objective</hi> Form eines Ge&#x017F;etzes u&#x0364;berhaupt,<lb/>
wenig&#x017F;tens zu denken, nicht unmo&#x0364;glich. Man kann das Be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 4</fw><fw place="bottom" type="catch">wußt-</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0063] der reinen practiſchen Vernunft. Anmerkung. Die reine Geometrie hat Poſtulate als practiſche Saͤt_e, die aber nichts weiter enthalten, als die Vorausſetzung, daß man etwas thun koͤnne, wenn etwa gefodert wuͤrde, man ſolle es thun, und dieſe ſind die einzigen Saͤtze derſelben, die ein Daſeyn betreffen. Es ſind alſo practiſche Regeln unter einer problematiſchen Bedingung des Willens. Hier aber ſagt die Regel: man ſolle ſchlechthin auf gewiſſe Weiſe verfahren. Die practiſche Regel iſt alſo unbedingt, mithin, als catego- riſch practiſcher Satz, a priori vorgeſtellt, wodurch der Wille ſchlechterdings und unmittelbar (durch die practiſche Regel ſelbſt, die alſo hier Geſetz iſt,) objectiv beſtimmt wird. Denn reine, an ſich practiſche Vernunft iſt hier unmittelbar ge- ſetzgebend. Der Wille wird als unabhaͤngig von empiriſchen Bedingungen, mithin als reiner Wille, durch die bloße Form des Geſetzes als beſtimmt gedacht, und dieſer Beſtimmungs- grund als die oberſte Bedingung aller Maximen angeſehen. Die Sache iſt befremdlich genug, und hat ihres gleichen in der ganzen uͤbrigen practiſchen Erkenntniß nicht. Denn der Ge- danke a priori von einer moͤglichen allgemeinen Geſetzgebung, der alſo blos problematiſch iſt, wird, ohne von der Erfahrung oder irgend einem aͤußeren Willen etwas zu entlehnen, als Geſetz unbedingt geboten. Es iſt aber auch nicht eine Vor- ſchrift, nach welcher eine Handlung geſchehen ſoll, dadurch eine begehrte Wirkung moͤglich iſt, (denn da waͤre die Regel immer phyſiſch bedingt,) ſondern eine Regel, die blos den Willen, in Anſehung der Form ſeiner Maximen, a priori beſtimmt, und da iſt ein Geſetz, welches blos zum Behuf der ſubjectiven Form der Grundſaͤtze dient, als Beſtimmungs- grund durch die objective Form eines Geſetzes uͤberhaupt, wenigſtens zu denken, nicht unmoͤglich. Man kann das Be- wußt- D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/63
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/63>, abgerufen am 17.11.2024.