dige, verworfene Menschen erscheinen müssen, wenn wir uns gleich für diese Kränkung vor dem inneren Richterstuhl dadurch schadlos zu halten versuchten, daß wir uns an denen Vergnügen ergötzten, die ein von uns angenommenes natürliches oder göttliches Gesetz, un- serem Wahne nach, mit dem Maschinenwesen ihrer Policey, die sich blos nach dem richtete, was man thut, ohne sich um die Bewegungsgründe, warum man es thut, zu bekümmern, verbunden hätte.
Zwar kann man nicht in Abrede seyn, daß, um ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes Gemüth zuerst ins Gleis des moralisch-Guten zu brin- gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen bedürfe, es durch seinen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den Schaden zu schrecken; allein, so bald dieses Maschinen- werk, dieses Gängelband nur einige Wirkung gethan hat, so muß durchaus der reine moralische Bewegungsgrund an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch, daß er der einzige ist, welcher einen Character (practi- sche consequente Denkungsart nach unveränderlichen Maximen) gründet, sondern auch darum, weil er den Menschen seine eigene Würde fühlen lehrt, dem Ge- müthe eine ihm selbst unerwartete Kraft giebt, sich von aller sinnlichen Anhänglichkeit, so fern sie herrschend werden will, loszureißen, und in der Unabhängigkeit seiner intelligibelen Natur und der Seelengröße, dazu
er
der reinen practiſchen Vernunft.
dige, verworfene Menſchen erſcheinen muͤſſen, wenn wir uns gleich fuͤr dieſe Kraͤnkung vor dem inneren Richterſtuhl dadurch ſchadlos zu halten verſuchten, daß wir uns an denen Vergnuͤgen ergoͤtzten, die ein von uns angenommenes natuͤrliches oder goͤttliches Geſetz, un- ſerem Wahne nach, mit dem Maſchinenweſen ihrer Policey, die ſich blos nach dem richtete, was man thut, ohne ſich um die Bewegungsgruͤnde, warum man es thut, zu bekuͤmmern, verbunden haͤtte.
Zwar kann man nicht in Abrede ſeyn, daß, um ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes Gemuͤth zuerſt ins Gleis des moraliſch-Guten zu brin- gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen beduͤrfe, es durch ſeinen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den Schaden zu ſchrecken; allein, ſo bald dieſes Maſchinen- werk, dieſes Gaͤngelband nur einige Wirkung gethan hat, ſo muß durchaus der reine moraliſche Bewegungsgrund an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch, daß er der einzige iſt, welcher einen Character (practi- ſche conſequente Denkungsart nach unveraͤnderlichen Maximen) gruͤndet, ſondern auch darum, weil er den Menſchen ſeine eigene Wuͤrde fuͤhlen lehrt, dem Ge- muͤthe eine ihm ſelbſt unerwartete Kraft giebt, ſich von aller ſinnlichen Anhaͤnglichkeit, ſo fern ſie herrſchend werden will, loszureißen, und in der Unabhaͤngigkeit ſeiner intelligibelen Natur und der Seelengroͤße, dazu
er
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der reinen practiſchen Vernunft.
dige, verworfene Menſchen erſcheinen muͤſſen, wenn
wir uns gleich fuͤr dieſe Kraͤnkung vor dem inneren
Richterſtuhl dadurch ſchadlos zu halten verſuchten, daß
wir uns an denen Vergnuͤgen ergoͤtzten, die ein von
uns angenommenes natuͤrliches oder goͤttliches Geſetz, un-
ſerem Wahne nach, mit dem Maſchinenweſen ihrer
Policey, die ſich blos nach dem richtete, was man thut,
ohne ſich um die Bewegungsgruͤnde, warum man es
thut, zu bekuͤmmern, verbunden haͤtte.
Zwar kann man nicht in Abrede ſeyn, daß, um
ein entweder noch ungebildetes, oder auch verwildertes
Gemuͤth zuerſt ins Gleis des moraliſch-Guten zu brin-
gen, es einiger vorbereitenden Anleitungen beduͤrfe, es
durch ſeinen eigenen Vortheil zu locken, oder durch den
Schaden zu ſchrecken; allein, ſo bald dieſes Maſchinen-
werk, dieſes Gaͤngelband nur einige Wirkung gethan hat,
ſo muß durchaus der reine moraliſche Bewegungsgrund
an die Seele gebracht werden, der nicht allein dadurch,
daß er der einzige iſt, welcher einen Character (practi-
ſche conſequente Denkungsart nach unveraͤnderlichen
Maximen) gruͤndet, ſondern auch darum, weil er den
Menſchen ſeine eigene Wuͤrde fuͤhlen lehrt, dem Ge-
muͤthe eine ihm ſelbſt unerwartete Kraft giebt, ſich von
aller ſinnlichen Anhaͤnglichkeit, ſo fern ſie herrſchend
werden will, loszureißen, und in der Unabhaͤngigkeit
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/279>, abgerufen am 16.02.2025.
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