Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

sie mitleidig sind, oder nicht; wenn sie aber immer nur von dem Gelde ihrer Eltern freygebig sind; so fällt dies weg.

Der Ausspruch: festina lente, deutet eine immerwährende Thätigkeit an, bey der man sehr eilen muß, damit man viel lerne, d. h. festina. Man muß aber auch mit Grund lernen, und also Zeit bey jedem gebrauchen, d. h. lente. Es ist nun die Frage, welches vorzuziehen sey, ob man einen großen Umfang von Kenntnissen haben soll oder nur einen kleineren, der aber gründlich ist? Es ist besser wenig, aber dieses Wenige gründlich zu wissen, als viel und obenhin, denn endlich wird man doch das Seichte in diesem letztern Falle gewahr. Aber das Kind weiß ja nicht, in welche Umstände es kommen kann, um diese oder jene Kenntnisse zu brauchen; und daher ist es wohl am besten, daß es von Allem etwas Gründliches wisse, denn sonst betrügt und verblendet es Andere mit seinen obenhin gelernten Kenntnissen.

Das letzte ist die Gründung des Charakters. Dieser besteht in dem festen Vorsatze, etwas thun zu wollen, und dann auch in den würklichen Ausübung desselben. Vir propositi tenax, sagt Horaz, und das ist ein guter Charakter! z. E. wenn ich Jemanden etwas versprochen habe, so muß ich es auch halten; gesetzt gleich, daß es mir Schaden brächte. Denn ein Mann, der sich etwas vorsetzt, es aber nicht thut, kann sich selbst nicht mehr trauen, z. E. wenn Jemand es sich vornimmt, immer frühe aufzustehen, um zu studieren, oder dies oder jenes zu thun, oder um einen Spatziergang zu machen, und sich im Frühlinge nun damit entschuldiget, daß es noch des Morgens zu kalt

sie mitleidig sind, oder nicht; wenn sie aber immer nur von dem Gelde ihrer Eltern freygebig sind; so fällt dies weg.

Der Ausspruch: festina lente, deutet eine immerwährende Thätigkeit an, bey der man sehr eilen muß, damit man viel lerne, d. h. festina. Man muß aber auch mit Grund lernen, und also Zeit bey jedem gebrauchen, d. h. lente. Es ist nun die Frage, welches vorzuziehen sey, ob man einen großen Umfang von Kenntnissen haben soll oder nur einen kleineren, der aber gründlich ist? Es ist besser wenig, aber dieses Wenige gründlich zu wissen, als viel und obenhin, denn endlich wird man doch das Seichte in diesem letztern Falle gewahr. Aber das Kind weiß ja nicht, in welche Umstände es kommen kann, um diese oder jene Kenntnisse zu brauchen; und daher ist es wohl am besten, daß es von Allem etwas Gründliches wisse, denn sonst betrügt und verblendet es Andere mit seinen obenhin gelernten Kenntnissen.

Das letzte ist die Gründung des Charakters. Dieser besteht in dem festen Vorsatze, etwas thun zu wollen, und dann auch in den würklichen Ausübung desselben. Vir propositi tenax, sagt Horaz, und das ist ein guter Charakter! z. E. wenn ich Jemanden etwas versprochen habe, so muß ich es auch halten; gesetzt gleich, daß es mir Schaden brächte. Denn ein Mann, der sich etwas vorsetzt, es aber nicht thut, kann sich selbst nicht mehr trauen, z. E. wenn Jemand es sich vornimmt, immer frühe aufzustehen, um zu studieren, oder dies oder jenes zu thun, oder um einen Spatziergang zu machen, und sich im Frühlinge nun damit entschuldiget, daß es noch des Morgens zu kalt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0082" n="82"/>
sie mitleidig sind, oder nicht; wenn sie aber immer nur von dem Gelde ihrer Eltern freygebig sind; so fällt dies weg.</p>
            <p>Der Ausspruch: <hi rendition="#aq">festina lente,</hi> deutet eine immerwährende Thätigkeit an, bey der man sehr eilen muß, damit man viel lerne, d. h. <hi rendition="#aq">festina</hi>. Man muß aber auch mit Grund lernen, und also Zeit bey jedem gebrauchen, d. h. <hi rendition="#aq">lente</hi>. Es ist nun die Frage, welches vorzuziehen sey, ob man einen großen Umfang von Kenntnissen haben soll oder nur einen kleineren, der aber gründlich ist? Es ist besser wenig, aber dieses Wenige gründlich zu wissen, als viel und obenhin, denn endlich wird man doch das Seichte in diesem letztern Falle gewahr. Aber das Kind weiß ja nicht, in welche Umstände es kommen kann, um diese oder jene Kenntnisse zu brauchen; und daher ist es wohl am besten, daß es von Allem etwas Gründliches wisse, denn sonst betrügt und verblendet es Andere mit seinen obenhin gelernten Kenntnissen.</p>
            <p>Das letzte ist die Gründung des Charakters. Dieser besteht in dem festen Vorsatze, etwas thun zu wollen, und dann auch in den würklichen Ausübung desselben. <hi rendition="#aq">Vir propositi tenax,</hi> sagt Horaz, und das ist ein guter Charakter! z. E. wenn ich Jemanden etwas versprochen habe, so muß ich es auch halten; gesetzt gleich, daß es mir Schaden brächte. Denn ein Mann, der sich etwas vorsetzt, es aber nicht thut, kann sich selbst nicht mehr trauen, z. E. wenn Jemand es sich vornimmt, immer frühe aufzustehen, um zu studieren, oder dies oder jenes zu thun, oder um einen Spatziergang zu machen, und sich im Frühlinge nun damit entschuldiget, daß es noch des Morgens zu kalt
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0082] sie mitleidig sind, oder nicht; wenn sie aber immer nur von dem Gelde ihrer Eltern freygebig sind; so fällt dies weg. Der Ausspruch: festina lente, deutet eine immerwährende Thätigkeit an, bey der man sehr eilen muß, damit man viel lerne, d. h. festina. Man muß aber auch mit Grund lernen, und also Zeit bey jedem gebrauchen, d. h. lente. Es ist nun die Frage, welches vorzuziehen sey, ob man einen großen Umfang von Kenntnissen haben soll oder nur einen kleineren, der aber gründlich ist? Es ist besser wenig, aber dieses Wenige gründlich zu wissen, als viel und obenhin, denn endlich wird man doch das Seichte in diesem letztern Falle gewahr. Aber das Kind weiß ja nicht, in welche Umstände es kommen kann, um diese oder jene Kenntnisse zu brauchen; und daher ist es wohl am besten, daß es von Allem etwas Gründliches wisse, denn sonst betrügt und verblendet es Andere mit seinen obenhin gelernten Kenntnissen. Das letzte ist die Gründung des Charakters. Dieser besteht in dem festen Vorsatze, etwas thun zu wollen, und dann auch in den würklichen Ausübung desselben. Vir propositi tenax, sagt Horaz, und das ist ein guter Charakter! z. E. wenn ich Jemanden etwas versprochen habe, so muß ich es auch halten; gesetzt gleich, daß es mir Schaden brächte. Denn ein Mann, der sich etwas vorsetzt, es aber nicht thut, kann sich selbst nicht mehr trauen, z. E. wenn Jemand es sich vornimmt, immer frühe aufzustehen, um zu studieren, oder dies oder jenes zu thun, oder um einen Spatziergang zu machen, und sich im Frühlinge nun damit entschuldiget, daß es noch des Morgens zu kalt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-05T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-05T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-05T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/82
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/82>, abgerufen am 24.11.2024.