Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn das Kind z. E. lügt, muß man es nicht bestrafen, sondern ihm mit Verachtung begegnen, ihm sagen, daß man ihm in Zukunft nicht glauben werde, u. dergl. Bestraft man das Kind aber, wenn es Böses thut, und belohnt es, wenn es Gutes thut, so thut es Gutes, um es gut zu haben. Kommt es nachher in die Welt, wo es nicht so zugeht, wo es Gutes thun kann, ohne eine Belohnung, und Böses, ohne Strafe zu empfangen: so wird aus ihm ein Mensch, der nur sieht, wie er gut in der Welt fortkommen kann, und gut oder böse ist, je nachdem er es am zuträglichsten findet. -

Die Maximen müssen aus dem Menschen selbst entstehen. Bey der moralischen Kultur soll man frühe den Kindern Begriffe beyzubringen suchen, von dem, was gut oder böse ist. Wenn man Moralität gründen will: so muß man nicht strafen. Moralität ist etwas so Heiliges und Erhabenes, daß man sie nicht so wegwerfen und mit Disciplin in einen Rang setzen darf. Die erste Bemühung bey der moralischen Erziehung ist,

diese, mit Charakterlosigkeit bestehen können. Dazu kommt, daß Ehre etwas ganz Conventionelles ist, was erst gewissermaßen entlernt werden muß, und wozu es der Erfahrung bedarf. Auf diesem Wege läßt sich daher erst spät an die Bildung des Charakters denken, oder vielmehr, sie wird erst spät möglich. Dagegen liegt die Vorstellung von Recht tief in der Seele jedes, auch des zartesten Kindes, und man thäte daher sehr wohl, statt dem Kinde zuzurufen: Ey, so schäme dich doch! es immer auf die Frage zurückzuführen: Ist das auch recht?
A. d. H.

Wenn das Kind z. E. lügt, muß man es nicht bestrafen, sondern ihm mit Verachtung begegnen, ihm sagen, daß man ihm in Zukunft nicht glauben werde, u. dergl. Bestraft man das Kind aber, wenn es Böses thut, und belohnt es, wenn es Gutes thut, so thut es Gutes, um es gut zu haben. Kommt es nachher in die Welt, wo es nicht so zugeht, wo es Gutes thun kann, ohne eine Belohnung, und Böses, ohne Strafe zu empfangen: so wird aus ihm ein Mensch, der nur sieht, wie er gut in der Welt fortkommen kann, und gut oder böse ist, je nachdem er es am zuträglichsten findet. –

Die Maximen müssen aus dem Menschen selbst entstehen. Bey der moralischen Kultur soll man frühe den Kindern Begriffe beyzubringen suchen, von dem, was gut oder böse ist. Wenn man Moralität gründen will: so muß man nicht strafen. Moralität ist etwas so Heiliges und Erhabenes, daß man sie nicht so wegwerfen und mit Disciplin in einen Rang setzen darf. Die erste Bemühung bey der moralischen Erziehung ist,

diese, mit Charakterlosigkeit bestehen können. Dazu kommt, daß Ehre etwas ganz Conventionelles ist, was erst gewissermaßen entlernt werden muß, und wozu es der Erfahrung bedarf. Auf diesem Wege läßt sich daher erst spät an die Bildung des Charakters denken, oder vielmehr, sie wird erst spät möglich. Dagegen liegt die Vorstellung von Recht tief in der Seele jedes, auch des zartesten Kindes, und man thäte daher sehr wohl, statt dem Kinde zuzurufen: Ey, so schäme dich doch! es immer auf die Frage zurückzuführen: Ist das auch recht?
A. d. H.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0071" n="71"/>
            <p>Wenn das Kind z. E. lügt, muß man es nicht bestrafen, sondern ihm mit Verachtung begegnen, ihm sagen, daß man ihm in Zukunft nicht glauben werde, u. dergl. Bestraft man das Kind aber, wenn es Böses thut, und belohnt es, wenn es Gutes thut, so thut es Gutes, um es gut zu haben. Kommt es nachher in die Welt, wo es nicht so zugeht, wo es Gutes thun kann, ohne eine Belohnung, und Böses, ohne Strafe zu empfangen: so wird aus ihm ein Mensch, der nur sieht, wie er gut in der Welt fortkommen kann, und gut oder böse ist, je nachdem er es am zuträglichsten findet. &#x2013;</p>
            <p>Die Maximen müssen aus dem Menschen selbst entstehen. Bey der moralischen Kultur soll man frühe den Kindern Begriffe beyzubringen suchen, von dem, was gut oder böse ist. Wenn man Moralität gründen will: so muß man nicht strafen. Moralität ist etwas so Heiliges und Erhabenes, daß man sie nicht so wegwerfen und mit Disciplin in einen Rang setzen darf. Die erste Bemühung bey der moralischen Erziehung ist,<note xml:id="ID_12" prev="ID_11" place="foot" n="*)"> diese, mit Charakterlosigkeit bestehen können. Dazu kommt, daß Ehre etwas ganz Conventionelles ist, was erst gewissermaßen entlernt werden muß, und wozu es der Erfahrung bedarf. Auf diesem Wege läßt sich daher erst spät an die Bildung des Charakters denken, oder vielmehr, sie wird erst spät möglich. Dagegen liegt die Vorstellung von Recht tief in der Seele jedes, auch des zartesten Kindes, und man thäte daher sehr wohl, statt dem Kinde zuzurufen: <hi rendition="#g">Ey, so schäme dich doch</hi>! es immer auf die Frage zurückzuführen: <hi rendition="#g">Ist das auch recht</hi>?<lb/><hi rendition="#right">A. d. H.</hi></note>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0071] Wenn das Kind z. E. lügt, muß man es nicht bestrafen, sondern ihm mit Verachtung begegnen, ihm sagen, daß man ihm in Zukunft nicht glauben werde, u. dergl. Bestraft man das Kind aber, wenn es Böses thut, und belohnt es, wenn es Gutes thut, so thut es Gutes, um es gut zu haben. Kommt es nachher in die Welt, wo es nicht so zugeht, wo es Gutes thun kann, ohne eine Belohnung, und Böses, ohne Strafe zu empfangen: so wird aus ihm ein Mensch, der nur sieht, wie er gut in der Welt fortkommen kann, und gut oder böse ist, je nachdem er es am zuträglichsten findet. – Die Maximen müssen aus dem Menschen selbst entstehen. Bey der moralischen Kultur soll man frühe den Kindern Begriffe beyzubringen suchen, von dem, was gut oder böse ist. Wenn man Moralität gründen will: so muß man nicht strafen. Moralität ist etwas so Heiliges und Erhabenes, daß man sie nicht so wegwerfen und mit Disciplin in einen Rang setzen darf. Die erste Bemühung bey der moralischen Erziehung ist, *) *) diese, mit Charakterlosigkeit bestehen können. Dazu kommt, daß Ehre etwas ganz Conventionelles ist, was erst gewissermaßen entlernt werden muß, und wozu es der Erfahrung bedarf. Auf diesem Wege läßt sich daher erst spät an die Bildung des Charakters denken, oder vielmehr, sie wird erst spät möglich. Dagegen liegt die Vorstellung von Recht tief in der Seele jedes, auch des zartesten Kindes, und man thäte daher sehr wohl, statt dem Kinde zuzurufen: Ey, so schäme dich doch! es immer auf die Frage zurückzuführen: Ist das auch recht? A. d. H.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-05T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-05T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-05T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/71
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/71>, abgerufen am 25.11.2024.