Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

hilft es blos zur Beförderung der Dreistigkeit, und das Deklamiren ist überdem nur eine Sache für Männer *). Hieher gehören auch alle Dinge, die man blos zu einem künftigen Examen oder in Rücksicht auf die futuram oblivionem lernt. Man muß das Gedächtniß nur mit solchen Dingen beschäftigen, an denen uns gelegen ist, daß wir sie behalten, und die auf das würkliche Leben Beziehung haben. Am schädlichsten ist das Romanlesen der Kinder, da sie nämlich weiter keinen Gebrauch davon machen, als daß sie ihnen in dem Augenblicke, indem sie sie lesen, zur Unterhaltung dienen. Das Romanenlesen schwächt das Gedächtniß. Denn es wäre lächerlich, Romane behalten und sie Andern wieder erzählen zu wollen. Man muß daher Kindern alle Romane aus den Händen nehmen. Indem sie sie lesen, bilden sie sich in dem Romane wieder einen neuen Roman, da sie die Umstände sich selbst anders ausbilden, herumschwärmen, und gedankenlos da sitzen.

Zerstreuungen müssen nie, am wenigsten in der Schule gelitten werden, denn sie bringen endlich einen gewissen Hang dazu, eine gewisse Gewohnheit hervor.

*) Freylich giebt es sehr viele verständige und einsichtsvolle Männer, die keiner Deklamation fähig sind, wie es scheint: aber gewiß ist es, daß man leichter behält, was man mit erforderlichem Ausdrucke liest, oder wenigstens lesen könnte, und daß sich der Grund dazu schon frühzeitig und mit Erfolg legen lasse, ist durch die neueste Lesemethode bewiesen. S. Olivier über Karakter und Werth guter Unterrichtsmethoden. Leipz. 1802. und dessen Kunst, lesen und rechtschreiben zu lehren. Desseau 1801.

hilft es blos zur Beförderung der Dreistigkeit, und das Deklamiren ist überdem nur eine Sache für Männer *). Hieher gehören auch alle Dinge, die man blos zu einem künftigen Examen oder in Rücksicht auf die futuram oblivionem lernt. Man muß das Gedächtniß nur mit solchen Dingen beschäftigen, an denen uns gelegen ist, daß wir sie behalten, und die auf das würkliche Leben Beziehung haben. Am schädlichsten ist das Romanlesen der Kinder, da sie nämlich weiter keinen Gebrauch davon machen, als daß sie ihnen in dem Augenblicke, indem sie sie lesen, zur Unterhaltung dienen. Das Romanenlesen schwächt das Gedächtniß. Denn es wäre lächerlich, Romane behalten und sie Andern wieder erzählen zu wollen. Man muß daher Kindern alle Romane aus den Händen nehmen. Indem sie sie lesen, bilden sie sich in dem Romane wieder einen neuen Roman, da sie die Umstände sich selbst anders ausbilden, herumschwärmen, und gedankenlos da sitzen.

Zerstreuungen müssen nie, am wenigsten in der Schule gelitten werden, denn sie bringen endlich einen gewissen Hang dazu, eine gewisse Gewohnheit hervor.

*) Freylich giebt es sehr viele verständige und einsichtsvolle Männer, die keiner Deklamation fähig sind, wie es scheint: aber gewiß ist es, daß man leichter behält, was man mit erforderlichem Ausdrucke liest, oder wenigstens lesen könnte, und daß sich der Grund dazu schon frühzeitig und mit Erfolg legen lasse, ist durch die neueste Lesemethode bewiesen. S. Olivier über Karakter und Werth guter Unterrichtsmethoden. Leipz. 1802. und dessen Kunst, lesen und rechtschreiben zu lehren. Desseau 1801.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0059" n="59"/>
hilft es blos zur Beförderung der Dreistigkeit, und das Deklamiren ist überdem nur eine Sache für Männer <note place="foot" n="*)">Freylich giebt es sehr viele verständige und einsichtsvolle Männer, die keiner Deklamation fähig sind, wie es scheint: aber gewiß ist es, daß man leichter behält, was man mit erforderlichem Ausdrucke liest, oder wenigstens lesen könnte, und daß sich der Grund dazu schon frühzeitig und mit Erfolg legen lasse, ist durch die neueste Lesemethode bewiesen. <hi rendition="#g">S. Olivier über Karakter und Werth guter Unterrichtsmethoden. Leipz.</hi> 1802. und <hi rendition="#g">dessen Kunst, lesen und rechtschreiben zu lehren. Desseau</hi> 1801.</note>. Hieher gehören auch alle Dinge, die man blos zu einem künftigen Examen oder in Rücksicht auf die <hi rendition="#aq">futuram oblivionem</hi> lernt. Man muß das Gedächtniß nur mit solchen Dingen beschäftigen, an denen uns gelegen ist, daß wir sie behalten, und die auf das würkliche Leben Beziehung haben. Am schädlichsten ist das Romanlesen der Kinder, da sie nämlich weiter keinen Gebrauch davon machen, als daß sie ihnen in dem Augenblicke, indem sie sie lesen, zur Unterhaltung dienen. Das Romanenlesen schwächt das Gedächtniß. Denn es wäre lächerlich, Romane behalten und sie Andern wieder erzählen zu wollen. Man muß daher Kindern alle Romane aus den Händen nehmen. Indem sie sie lesen, bilden sie sich in dem Romane wieder einen neuen Roman, da sie die Umstände sich selbst anders ausbilden, herumschwärmen, und gedankenlos da sitzen.</p>
            <p>Zerstreuungen müssen nie, am wenigsten in der Schule gelitten werden, denn sie bringen endlich einen gewissen Hang dazu, eine gewisse Gewohnheit hervor.
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0059] hilft es blos zur Beförderung der Dreistigkeit, und das Deklamiren ist überdem nur eine Sache für Männer *). Hieher gehören auch alle Dinge, die man blos zu einem künftigen Examen oder in Rücksicht auf die futuram oblivionem lernt. Man muß das Gedächtniß nur mit solchen Dingen beschäftigen, an denen uns gelegen ist, daß wir sie behalten, und die auf das würkliche Leben Beziehung haben. Am schädlichsten ist das Romanlesen der Kinder, da sie nämlich weiter keinen Gebrauch davon machen, als daß sie ihnen in dem Augenblicke, indem sie sie lesen, zur Unterhaltung dienen. Das Romanenlesen schwächt das Gedächtniß. Denn es wäre lächerlich, Romane behalten und sie Andern wieder erzählen zu wollen. Man muß daher Kindern alle Romane aus den Händen nehmen. Indem sie sie lesen, bilden sie sich in dem Romane wieder einen neuen Roman, da sie die Umstände sich selbst anders ausbilden, herumschwärmen, und gedankenlos da sitzen. Zerstreuungen müssen nie, am wenigsten in der Schule gelitten werden, denn sie bringen endlich einen gewissen Hang dazu, eine gewisse Gewohnheit hervor. *) Freylich giebt es sehr viele verständige und einsichtsvolle Männer, die keiner Deklamation fähig sind, wie es scheint: aber gewiß ist es, daß man leichter behält, was man mit erforderlichem Ausdrucke liest, oder wenigstens lesen könnte, und daß sich der Grund dazu schon frühzeitig und mit Erfolg legen lasse, ist durch die neueste Lesemethode bewiesen. S. Olivier über Karakter und Werth guter Unterrichtsmethoden. Leipz. 1802. und dessen Kunst, lesen und rechtschreiben zu lehren. Desseau 1801.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-05T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-05T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-05T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/59
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/59>, abgerufen am 26.11.2024.