Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925."Es ist aber klar," sagte K., "und deine erste Deutung war ganz richtig. Der Türhüter hat die erlösende Mitteilung erst dann gemacht, als sie dem Manne nicht mehr helfen konnte." "Er wurde nicht früher gefragt," sagte der Geistliche, "bedenke auch, daß er nur Türhüter war und als solcher hat er seine Pflicht erfüllt." "Warum glaubst du, daß er seine Pflicht erfüllt hat?" fragte K., "Er hat sie nicht erfüllt. Seine Pflicht war es vielleicht, alle Fremden abzuwehren, diesen Mann aber, für den der Eingang bestimmt war, hätte er einlassen müssen." "Du hast nicht genug Achtung vor der Schrift und veränderst die Geschichte," sagte der Geistliche. "Die Geschichte enthält über den Einlaß ins Gesetz zwei wichtige Erklärungen des Türhüters, eine am Anfang, eine am Ende. Die eine Stelle lautet: daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne und die andere: dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Bestände zwischen diesen beiden Erklärungen ein Widerspruch, dann hättest du recht und der Türhüter hätte den Mann getäuscht. Nun besteht aber kein Widerspruch. Im Gegenteil, die erste Erklärung deutet sogar auf die zweite hin. Man könnte fast sagen, „Es ist aber klar,“ sagte K., „und deine erste Deutung war ganz richtig. Der Türhüter hat die erlösende Mitteilung erst dann gemacht, als sie dem Manne nicht mehr helfen konnte.“ „Er wurde nicht früher gefragt,“ sagte der Geistliche, „bedenke auch, daß er nur Türhüter war und als solcher hat er seine Pflicht erfüllt.“ „Warum glaubst du, daß er seine Pflicht erfüllt hat?“ fragte K., „Er hat sie nicht erfüllt. Seine Pflicht war es vielleicht, alle Fremden abzuwehren, diesen Mann aber, für den der Eingang bestimmt war, hätte er einlassen müssen.“ „Du hast nicht genug Achtung vor der Schrift und veränderst die Geschichte,“ sagte der Geistliche. „Die Geschichte enthält über den Einlaß ins Gesetz zwei wichtige Erklärungen des Türhüters, eine am Anfang, eine am Ende. Die eine Stelle lautet: daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne und die andere: dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Bestände zwischen diesen beiden Erklärungen ein Widerspruch, dann hättest du recht und der Türhüter hätte den Mann getäuscht. Nun besteht aber kein Widerspruch. Im Gegenteil, die erste Erklärung deutet sogar auf die zweite hin. Man könnte fast sagen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0381" n="379"/> „Es ist aber klar,“ sagte K., „und deine erste Deutung war ganz richtig. Der Türhüter hat die erlösende Mitteilung erst dann gemacht, als sie dem Manne nicht mehr helfen konnte.“ „Er wurde nicht früher gefragt,“ sagte der Geistliche, „bedenke auch, daß er nur Türhüter war und als solcher hat er seine Pflicht erfüllt.“ „Warum glaubst du, daß er seine Pflicht erfüllt hat?“ fragte K., „Er hat sie nicht erfüllt. Seine Pflicht war es vielleicht, alle Fremden abzuwehren, diesen Mann aber, für den der Eingang bestimmt war, hätte er einlassen müssen.“ „Du hast nicht genug Achtung vor der Schrift und veränderst die Geschichte,“ sagte der Geistliche. „Die Geschichte enthält über den Einlaß ins Gesetz zwei wichtige Erklärungen des Türhüters, eine am Anfang, eine am Ende. Die eine Stelle lautet: daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne und die andere: dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Bestände zwischen diesen beiden Erklärungen ein Widerspruch, dann hättest du recht und der Türhüter hätte den Mann getäuscht. Nun besteht aber kein Widerspruch. Im Gegenteil, die erste Erklärung deutet sogar auf die zweite hin. Man könnte fast sagen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [379/0381]
„Es ist aber klar,“ sagte K., „und deine erste Deutung war ganz richtig. Der Türhüter hat die erlösende Mitteilung erst dann gemacht, als sie dem Manne nicht mehr helfen konnte.“ „Er wurde nicht früher gefragt,“ sagte der Geistliche, „bedenke auch, daß er nur Türhüter war und als solcher hat er seine Pflicht erfüllt.“ „Warum glaubst du, daß er seine Pflicht erfüllt hat?“ fragte K., „Er hat sie nicht erfüllt. Seine Pflicht war es vielleicht, alle Fremden abzuwehren, diesen Mann aber, für den der Eingang bestimmt war, hätte er einlassen müssen.“ „Du hast nicht genug Achtung vor der Schrift und veränderst die Geschichte,“ sagte der Geistliche. „Die Geschichte enthält über den Einlaß ins Gesetz zwei wichtige Erklärungen des Türhüters, eine am Anfang, eine am Ende. Die eine Stelle lautet: daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne und die andere: dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Bestände zwischen diesen beiden Erklärungen ein Widerspruch, dann hättest du recht und der Türhüter hätte den Mann getäuscht. Nun besteht aber kein Widerspruch. Im Gegenteil, die erste Erklärung deutet sogar auf die zweite hin. Man könnte fast sagen,
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