Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

Bild:
<< vorherige Seite

es müsse gut enden," sagte K., "jetzt zweifle ich daran manchmal selbst. Ich weiß nicht, wie es enden wird. Weißt du es?" "Nein," sagte der Geistliche, "aber ich fürchte, es wird schlecht enden. Man hält dich für schuldig. Dein Prozeß wird vielleicht über ein niedriges Gericht gar nicht hinauskommen. Man hält wenigstens vorläufig deine Schuld für erwiesen." "Ich bin aber nicht schuldig," sagte K. "Es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere." "Das ist richtig," sagte der Geistliche, "aber so pflegen die Schuldigen zu reden." "Hast auch du ein Vorurteil gegen mich?" fragte K. "Ich habe kein Vorurteil gegen dich," sagte der Geistliche. "Ich danke dir," sagte K. "Alle andern aber, die an dem Verfahren beteiligt sind, haben ein Vorurteil gegen mich. Sie flößen es auch den Unbeteiligten ein. Meine Stellung wird immer schwieriger." "Du mißverstehst die Tatsachen," sagte der Geistliche. "Das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allmählich ins Urteil über." "So ist es also," sagte K. und senkte den Kopf. "Was willst du nächstens in deiner

es müsse gut enden,“ sagte K., „jetzt zweifle ich daran manchmal selbst. Ich weiß nicht, wie es enden wird. Weißt du es?“ „Nein,“ sagte der Geistliche, „aber ich fürchte, es wird schlecht enden. Man hält dich für schuldig. Dein Prozeß wird vielleicht über ein niedriges Gericht gar nicht hinauskommen. Man hält wenigstens vorläufig deine Schuld für erwiesen.“ „Ich bin aber nicht schuldig,“ sagte K. „Es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.“ „Das ist richtig,“ sagte der Geistliche, „aber so pflegen die Schuldigen zu reden.“ „Hast auch du ein Vorurteil gegen mich?“ fragte K. „Ich habe kein Vorurteil gegen dich,“ sagte der Geistliche. „Ich danke dir,“ sagte K. „Alle andern aber, die an dem Verfahren beteiligt sind, haben ein Vorurteil gegen mich. Sie flößen es auch den Unbeteiligten ein. Meine Stellung wird immer schwieriger.“ „Du mißverstehst die Tatsachen,“ sagte der Geistliche. „Das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allmählich ins Urteil über.“ „So ist es also,“ sagte K. und senkte den Kopf. „Was willst du nächstens in deiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0373" n="371"/>
es müsse gut enden,&#x201C; sagte K., &#x201E;jetzt zweifle ich daran manchmal selbst. Ich weiß nicht, wie es enden wird. Weißt du es?&#x201C; &#x201E;Nein,&#x201C; sagte der Geistliche, &#x201E;aber ich fürchte, es wird schlecht enden. Man hält dich für schuldig. Dein Prozeß wird vielleicht über ein niedriges Gericht gar nicht hinauskommen. Man hält wenigstens vorläufig deine Schuld für erwiesen.&#x201C; &#x201E;Ich bin aber nicht schuldig,&#x201C; sagte K. &#x201E;Es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.&#x201C; &#x201E;Das ist richtig,&#x201C; sagte der Geistliche, &#x201E;aber so pflegen die Schuldigen zu reden.&#x201C; &#x201E;Hast auch du ein Vorurteil gegen mich?&#x201C; fragte K. &#x201E;Ich habe kein Vorurteil gegen dich,&#x201C; sagte der Geistliche. &#x201E;Ich danke dir,&#x201C; sagte K. &#x201E;Alle andern aber, die an dem Verfahren beteiligt sind, haben ein Vorurteil gegen mich. Sie flößen es auch den Unbeteiligten ein. Meine Stellung wird immer schwieriger.&#x201C; &#x201E;Du mißverstehst die Tatsachen,&#x201C; sagte der Geistliche. &#x201E;Das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allmählich ins Urteil über.&#x201C; &#x201E;So ist es also,&#x201C; sagte K. und senkte den Kopf. &#x201E;Was willst du nächstens in deiner
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[371/0373] es müsse gut enden,“ sagte K., „jetzt zweifle ich daran manchmal selbst. Ich weiß nicht, wie es enden wird. Weißt du es?“ „Nein,“ sagte der Geistliche, „aber ich fürchte, es wird schlecht enden. Man hält dich für schuldig. Dein Prozeß wird vielleicht über ein niedriges Gericht gar nicht hinauskommen. Man hält wenigstens vorläufig deine Schuld für erwiesen.“ „Ich bin aber nicht schuldig,“ sagte K. „Es ist ein Irrtum. Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.“ „Das ist richtig,“ sagte der Geistliche, „aber so pflegen die Schuldigen zu reden.“ „Hast auch du ein Vorurteil gegen mich?“ fragte K. „Ich habe kein Vorurteil gegen dich,“ sagte der Geistliche. „Ich danke dir,“ sagte K. „Alle andern aber, die an dem Verfahren beteiligt sind, haben ein Vorurteil gegen mich. Sie flößen es auch den Unbeteiligten ein. Meine Stellung wird immer schwieriger.“ „Du mißverstehst die Tatsachen,“ sagte der Geistliche. „Das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allmählich ins Urteil über.“ „So ist es also,“ sagte K. und senkte den Kopf. „Was willst du nächstens in deiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-28T19:24:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-28T19:24:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat (2012-11-28T19:24:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Trennungen am Zeilen- und am Seitenende werden aufgelöst, der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/373
Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/373>, abgerufen am 24.11.2024.