sen wil so viel sagen, als ein inneres Nachsinnen geistlicher Dinge und Verborgenheiten, das so tief und inbrünstig geschiehet, daß die sinlichen Empfindungen durch die Stärke des Verstandes ganz entkräftet werden, um nicht irgend etwas von dem Verborgenen außer Acht zu lassen.
Nach des Jngen Ueberkunft sind viele von den Sjuto oder den philosophischen Sekten, nicht weniger von der Sinto oder einheimischem Heidenthum zur Bugo oder Budsdo über- gegangen: und weil damals die Austilgung der lezten Spuren des Christenthums, das sich unter besagten beiden Sekten bequem verbergen konte, beeifert wurde, so durfte kein Haus im ganzen Reiche übrig bleiben, welches nicht ein Dsusi, d. i. einen Plaz oder kleinen mit ein oder dem andern Fotoge oder Götzen dieser Religion ausgezierten Altar hielte: ein jeder, der seine Wohnung etwa mit einer andern verwechselt, kramt am allerersten sein Dsusi aus, und lässet es seinen Nachbar sehen, weil einer für den andern in diesem Stük haften und bü- ßen mus, wenn das etwa nicht befolgt würde.
Dieser Jngen aber, aller seiner Hoheit, und, wie man glaubt, unvergleichlichen Gelehrsamkeit ungeachtet, hat es doch nicht dahin bringen können, daß sich weder die Kleri- sey, die unter so vielen strittigen Sekten vertheilt stand, noch auch selbst die hartnäckigen Eingebohrnen seiner eigenen Sekte, unter seinen Schuz begeben und ihn als das oberste Haupt anerkant hätten.
Nach seinem Absterben war ein gewisser So kuffi sein Nachfolger, ein Man von wenigerem Eindruk, Ansehen und Gelehrsamkeit.
Nach dessen Abgang wurde das Kloster Oobaku mit einem eingebornen Japaner als Generalprior der drei vorhin benahmten sinesischen Klöster versehen.
Die Klerisey aller Sekten und Orden sowohl in Nagasacki als im ganzen Reiche haben demnach ihr Oberhaupt, das zu Miaco residirt und von dem Kaiser geduldet und ge- schüzt wird. Alles leistet einem solchen Oberhaupte oder Generalprior Gehorsam und lebt seinen Vorschriften gemäs: er selbst aber macht es sich mit vieler Herablassung zu einem Ge- schäfte, die Gunst der weltlichen Obrigkeit sich zu erwerben, jedoch aus einem andern Bewe- gungsgrunde, als nur, um im nothdürftigen Falle ihrer Hülfe und Schutzes versichert zu seyn.
Die Klosterprioren haben außer dem, daß sie ihren Klosterbrüdern gültige Reise- pässe ertheilen können, in allen politischen Sachen wenig zu sagen, und stehen unter dem Kaiser, oder vielmehr unter besondern weltlichen Aufsichtern, Beschützern und Richtern, die der Kaiser der ganzen Klerisey in seinen Staaten, sie seyn von was für einer Religion
und
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Viertes Buch.
ſen wil ſo viel ſagen, als ein inneres Nachſinnen geiſtlicher Dinge und Verborgenheiten, das ſo tief und inbruͤnſtig geſchiehet, daß die ſinlichen Empfindungen durch die Staͤrke des Verſtandes ganz entkraͤftet werden, um nicht irgend etwas von dem Verborgenen außer Acht zu laſſen.
Nach des Jngen Ueberkunft ſind viele von den Sjuto oder den philoſophiſchen Sekten, nicht weniger von der Sinto oder einheimiſchem Heidenthum zur Bugo oder Budsdo uͤber- gegangen: und weil damals die Austilgung der lezten Spuren des Chriſtenthums, das ſich unter beſagten beiden Sekten bequem verbergen konte, beeifert wurde, ſo durfte kein Haus im ganzen Reiche uͤbrig bleiben, welches nicht ein Dſuſi, d. i. einen Plaz oder kleinen mit ein oder dem andern Fotoge oder Goͤtzen dieſer Religion ausgezierten Altar hielte: ein jeder, der ſeine Wohnung etwa mit einer andern verwechſelt, kramt am allererſten ſein Dſuſi aus, und laͤſſet es ſeinen Nachbar ſehen, weil einer fuͤr den andern in dieſem Stuͤk haften und buͤ- ßen mus, wenn das etwa nicht befolgt wuͤrde.
Dieſer Jngen aber, aller ſeiner Hoheit, und, wie man glaubt, unvergleichlichen Gelehrſamkeit ungeachtet, hat es doch nicht dahin bringen koͤnnen, daß ſich weder die Kleri- ſey, die unter ſo vielen ſtrittigen Sekten vertheilt ſtand, noch auch ſelbſt die hartnaͤckigen Eingebohrnen ſeiner eigenen Sekte, unter ſeinen Schuz begeben und ihn als das oberſte Haupt anerkant haͤtten.
Nach ſeinem Abſterben war ein gewiſſer So kuffi ſein Nachfolger, ein Man von wenigerem Eindruk, Anſehen und Gelehrſamkeit.
Nach deſſen Abgang wurde das Kloſter Oobaku mit einem eingebornen Japaner als Generalprior der drei vorhin benahmten ſineſiſchen Kloͤſter verſehen.
Die Kleriſey aller Sekten und Orden ſowohl in Nagaſacki als im ganzen Reiche haben demnach ihr Oberhaupt, das zu Miaco reſidirt und von dem Kaiſer geduldet und ge- ſchuͤzt wird. Alles leiſtet einem ſolchen Oberhaupte oder Generalprior Gehorſam und lebt ſeinen Vorſchriften gemaͤs: er ſelbſt aber macht es ſich mit vieler Herablaſſung zu einem Ge- ſchaͤfte, die Gunſt der weltlichen Obrigkeit ſich zu erwerben, jedoch aus einem andern Bewe- gungsgrunde, als nur, um im nothduͤrftigen Falle ihrer Huͤlfe und Schutzes verſichert zu ſeyn.
Die Kloſterprioren haben außer dem, daß ſie ihren Kloſterbruͤdern guͤltige Reiſe- paͤſſe ertheilen koͤnnen, in allen politiſchen Sachen wenig zu ſagen, und ſtehen unter dem Kaiſer, oder vielmehr unter beſondern weltlichen Aufſichtern, Beſchuͤtzern und Richtern, die der Kaiſer der ganzen Kleriſey in ſeinen Staaten, ſie ſeyn von was fuͤr einer Religion
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[56/0070]
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Viertes Buch.
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das ſo tief und inbruͤnſtig geſchiehet, daß die ſinlichen Empfindungen durch die Staͤrke des
Verſtandes ganz entkraͤftet werden, um nicht irgend etwas von dem Verborgenen außer Acht
zu laſſen.
Nach des Jngen Ueberkunft ſind viele von den Sjuto oder den philoſophiſchen Sekten,
nicht weniger von der Sinto oder einheimiſchem Heidenthum zur Bugo oder Budsdo uͤber-
gegangen: und weil damals die Austilgung der lezten Spuren des Chriſtenthums, das ſich
unter beſagten beiden Sekten bequem verbergen konte, beeifert wurde, ſo durfte kein Haus
im ganzen Reiche uͤbrig bleiben, welches nicht ein Dſuſi, d. i. einen Plaz oder kleinen mit
ein oder dem andern Fotoge oder Goͤtzen dieſer Religion ausgezierten Altar hielte: ein jeder,
der ſeine Wohnung etwa mit einer andern verwechſelt, kramt am allererſten ſein Dſuſi aus,
und laͤſſet es ſeinen Nachbar ſehen, weil einer fuͤr den andern in dieſem Stuͤk haften und buͤ-
ßen mus, wenn das etwa nicht befolgt wuͤrde.
Dieſer Jngen aber, aller ſeiner Hoheit, und, wie man glaubt, unvergleichlichen
Gelehrſamkeit ungeachtet, hat es doch nicht dahin bringen koͤnnen, daß ſich weder die Kleri-
ſey, die unter ſo vielen ſtrittigen Sekten vertheilt ſtand, noch auch ſelbſt die hartnaͤckigen
Eingebohrnen ſeiner eigenen Sekte, unter ſeinen Schuz begeben und ihn als das oberſte
Haupt anerkant haͤtten.
Nach ſeinem Abſterben war ein gewiſſer So kuffi ſein Nachfolger, ein Man von
wenigerem Eindruk, Anſehen und Gelehrſamkeit.
Nach deſſen Abgang wurde das Kloſter Oobaku mit einem eingebornen Japaner
als Generalprior der drei vorhin benahmten ſineſiſchen Kloͤſter verſehen.
Die Kleriſey aller Sekten und Orden ſowohl in Nagaſacki als im ganzen Reiche
haben demnach ihr Oberhaupt, das zu Miaco reſidirt und von dem Kaiſer geduldet und ge-
ſchuͤzt wird. Alles leiſtet einem ſolchen Oberhaupte oder Generalprior Gehorſam und lebt
ſeinen Vorſchriften gemaͤs: er ſelbſt aber macht es ſich mit vieler Herablaſſung zu einem Ge-
ſchaͤfte, die Gunſt der weltlichen Obrigkeit ſich zu erwerben, jedoch aus einem andern Bewe-
gungsgrunde, als nur, um im nothduͤrftigen Falle ihrer Huͤlfe und Schutzes verſichert
zu ſeyn.
Die Kloſterprioren haben außer dem, daß ſie ihren Kloſterbruͤdern guͤltige Reiſe-
paͤſſe ertheilen koͤnnen, in allen politiſchen Sachen wenig zu ſagen, und ſtehen unter dem
Kaiſer, oder vielmehr unter beſondern weltlichen Aufſichtern, Beſchuͤtzern und Richtern,
die der Kaiſer der ganzen Kleriſey in ſeinen Staaten, ſie ſeyn von was fuͤr einer Religion
und
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/70>, abgerufen am 03.07.2024.
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