Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.III. Von der bei den Japanern üblichen Kur der Kolik so höret in einem Augenblick die heftige und schmerzhafte Empfindung der Ausdehnung auf,welche man im Lateinischen gemeiniglich mit Unrecht Colik nent, weil der Darm, *) wovon diese Benennung herkömt, sehr oft unschuldig an dem Uebel ist. Diese Gymnosophisten ge- ben ihr nach der Meinung der Japaner und Sineser, mit besserer Unterscheidung aller Fälle, den Namen eines Krampfes im Bauche und in den Eingeweiden. Diese Krankheit ist in Japan noch mit einigen besondern Zusällen verbunden. Ehe wir zu Beschreibung der Nadelcur bei dieser Krankheit übergehn, muß ich dicin *) [Spaltenumbruch]
Dieser Darm ist das Colon. **) Mich dünkt, Kämpfer läßt sich hier wie-
der von dem Fehler hiureißen, den ich schon bei der vorhergehenden Abhandlung bemerkt habe, näm- lich die Einrichtungen und Gewohnheiten des frem- den Landes auf Kosten des unsrigen zu erheben. Freilich hat sich die Chirurgie seit hundert Jahren[Spaltenumbruch] sehr verbessert, und es wäre also unmöglich, daß der Zustand dieser Wissenschaft zu Kämpfers Zeit seinen Vorwurf rechtfertigte, welches nur Männer vom Fach beurtheilen können. Aber es scheint mir doch kaum glaublich, daß die europäischen Wund- ärzte so grausame Mittel anwenden solten, wo sie nicht nothwendig und überwiegend heilsam sind, und III. Von der bei den Japanern uͤblichen Kur der Kolik ſo hoͤret in einem Augenblick die heftige und ſchmerzhafte Empfindung der Ausdehnung auf,welche man im Lateiniſchen gemeiniglich mit Unrecht Colik nent, weil der Darm, *) wovon dieſe Benennung herkoͤmt, ſehr oft unſchuldig an dem Uebel iſt. Dieſe Gymnoſophiſten ge- ben ihr nach der Meinung der Japaner und Sineſer, mit beſſerer Unterſcheidung aller Faͤlle, den Namen eines Krampfes im Bauche und in den Eingeweiden. Dieſe Krankheit iſt in Japan noch mit einigen beſondern Zuſaͤllen verbunden. Ehe wir zu Beſchreibung der Nadelcur bei dieſer Krankheit uͤbergehn, muß ich dicin *) [Spaltenumbruch]
Dieſer Darm iſt das Colon. **) Mich duͤnkt, Kaͤmpfer laͤßt ſich hier wie-
der von dem Fehler hiureißen, den ich ſchon bei der vorhergehenden Abhandlung bemerkt habe, naͤm- lich die Einrichtungen und Gewohnheiten des frem- den Landes auf Koſten des unſrigen zu erheben. Freilich hat ſich die Chirurgie ſeit hundert Jahren[Spaltenumbruch] ſehr verbeſſert, und es waͤre alſo unmoͤglich, daß der Zuſtand dieſer Wiſſenſchaft zu Kaͤmpfers Zeit ſeinen Vorwurf rechtfertigte, welches nur Maͤnner vom Fach beurtheilen koͤnnen. Aber es ſcheint mir doch kaum glaublich, daß die europaͤiſchen Wund- aͤrzte ſo grauſame Mittel anwenden ſolten, wo ſie nicht nothwendig und uͤberwiegend heilſam ſind, und <TEI> <text> <back> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0480" n="424"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Von der bei den Japanern uͤblichen Kur der Kolik</hi></fw><lb/> ſo hoͤret in einem Augenblick die heftige und ſchmerzhafte Empfindung der Ausdehnung auf,<lb/> welche man im Lateiniſchen gemeiniglich mit Unrecht Colik nent, weil der Darm, <note place="foot" n="*)"><cb/> Dieſer Darm iſt das Colon.</note> wovon<lb/> dieſe Benennung herkoͤmt, ſehr oft unſchuldig an dem Uebel iſt. Dieſe Gymnoſophiſten ge-<lb/> ben ihr nach der Meinung der Japaner und Sineſer, mit beſſerer Unterſcheidung aller Faͤlle,<lb/> den Namen eines Krampfes im Bauche und in den Eingeweiden.</p><lb/> <p>Dieſe Krankheit iſt in Japan noch mit einigen beſondern Zuſaͤllen verbunden.<lb/> Sie bringt, gerade wie das hyſteriſche Uebel, den Kranken oft in Gefahr, zu erſticken, da<lb/> ſie den ganzen Koͤrper von den Weichen bis an die falſchen Rippen oder bis an die Spitze des<lb/> Bruſtbeins anfaͤlt. Wenn ſie lange gewuͤtet hat, endigt ſie endlich mit Geſchwulſten, die<lb/> hin und wieder am Koͤrper hervorgehn, und ſehr oft endigt ſie auf eine ſehr ſchreckliche Art.<lb/> Bei den Maͤnnern pflegt gemeiniglich eine der Hoden ſehr ſtark aufzuſchwellen, daraus oft<lb/> ein Fiſtelgeſchwuͤr wird. Bei den Weibern aber findet ſich eine Menge heslicher Klumpen<lb/> am Hintern und der Schaam, gemeiniglich pflegen die Haare um dieſe Theile abzufallen.<lb/> Aber dieſe Fleiſchbruͤche, (welche die Japaner <hi rendition="#fr">Sobi,</hi> und den daran leidenden Kranken<lb/><hi rendition="#fr">Sobimotz</hi> nennen) und Feigwarzengeſchwuͤre ſind auch ohne die Kolik in Japan ſehr haͤufig<lb/> und endemiſch.</p><lb/> <p>Ehe wir zu Beſchreibung der Nadelcur bei dieſer Krankheit uͤbergehn, muß ich<lb/> vorher erinnern, daß man in Japan zwei chirurgiſche Haupt- uud Univerſalmittel hat, zu<lb/> denen, ſowohl die Geſundheit zu erhalten, als wenn ſie verlohren iſt, ſie wieder herzuſtellen,<lb/> Alle und Jede ihre Zuflucht nehmen, die Geſunden und die Kranken, die Aerzte und die<lb/> Quakſalber, die Leute vom Stande und aus dem Poͤbel. Und dieſe Mittel ſind ſchon lange<lb/> vor Erfindung der Arzneiwiſſenſchaft in Koraͤa, Sina und Japan ſehr beruͤhmt geweſen,<lb/> und haben eben durch das lange Alterthum noch mehr heilige Ehrwuͤrdigkeit erhalten. Dieſe<lb/> Mittel ſind dem Namen nach etwas fuͤrchterlich, naͤmlich <hi rendition="#fr">Feuer</hi> und <hi rendition="#fr">Metall.</hi> Aber unter<lb/> dieſen Worten darf man nicht einen grauſamen verwundenden Stahl, noch das Feuer eines<lb/> gluͤhenden Eiſens verſtehn, mit denen die unmenſchliche Chirurgie unſers weſilichen Erdtheils<lb/> die armen Sterblichen auf eine Art martert, die von allen verabſcheuet werden muß, die noch<lb/> Menſchlichkeit und Mitleiden zu fuͤhlen faͤhig ſind. <note xml:id="a09" next="#a10" place="foot" n="**)">Mich duͤnkt, Kaͤmpfer laͤßt ſich hier wie-<lb/> der von dem Fehler hiureißen, den ich ſchon bei der<lb/> vorhergehenden Abhandlung bemerkt habe, naͤm-<lb/> lich die Einrichtungen und Gewohnheiten des frem-<lb/> den Landes auf Koſten des unſrigen zu erheben.<lb/> Freilich hat ſich die Chirurgie ſeit hundert Jahren<cb/><lb/> ſehr verbeſſert, und es waͤre alſo unmoͤglich, daß<lb/> der Zuſtand dieſer Wiſſenſchaft zu Kaͤmpfers Zeit<lb/> ſeinen Vorwurf rechtfertigte, welches nur Maͤnner<lb/> vom Fach beurtheilen koͤnnen. Aber es ſcheint mir<lb/> doch kaum glaublich, daß die europaͤiſchen Wund-<lb/> aͤrzte ſo grauſame Mittel anwenden ſolten, wo ſie<lb/> nicht nothwendig und uͤberwiegend heilſam ſind,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw></note> Das Feuer der Japaniſchen Me-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dicin</fw><lb/></p> </div> </div> </back> </text> </TEI> [424/0480]
III. Von der bei den Japanern uͤblichen Kur der Kolik
ſo hoͤret in einem Augenblick die heftige und ſchmerzhafte Empfindung der Ausdehnung auf,
welche man im Lateiniſchen gemeiniglich mit Unrecht Colik nent, weil der Darm, *) wovon
dieſe Benennung herkoͤmt, ſehr oft unſchuldig an dem Uebel iſt. Dieſe Gymnoſophiſten ge-
ben ihr nach der Meinung der Japaner und Sineſer, mit beſſerer Unterſcheidung aller Faͤlle,
den Namen eines Krampfes im Bauche und in den Eingeweiden.
Dieſe Krankheit iſt in Japan noch mit einigen beſondern Zuſaͤllen verbunden.
Sie bringt, gerade wie das hyſteriſche Uebel, den Kranken oft in Gefahr, zu erſticken, da
ſie den ganzen Koͤrper von den Weichen bis an die falſchen Rippen oder bis an die Spitze des
Bruſtbeins anfaͤlt. Wenn ſie lange gewuͤtet hat, endigt ſie endlich mit Geſchwulſten, die
hin und wieder am Koͤrper hervorgehn, und ſehr oft endigt ſie auf eine ſehr ſchreckliche Art.
Bei den Maͤnnern pflegt gemeiniglich eine der Hoden ſehr ſtark aufzuſchwellen, daraus oft
ein Fiſtelgeſchwuͤr wird. Bei den Weibern aber findet ſich eine Menge heslicher Klumpen
am Hintern und der Schaam, gemeiniglich pflegen die Haare um dieſe Theile abzufallen.
Aber dieſe Fleiſchbruͤche, (welche die Japaner Sobi, und den daran leidenden Kranken
Sobimotz nennen) und Feigwarzengeſchwuͤre ſind auch ohne die Kolik in Japan ſehr haͤufig
und endemiſch.
Ehe wir zu Beſchreibung der Nadelcur bei dieſer Krankheit uͤbergehn, muß ich
vorher erinnern, daß man in Japan zwei chirurgiſche Haupt- uud Univerſalmittel hat, zu
denen, ſowohl die Geſundheit zu erhalten, als wenn ſie verlohren iſt, ſie wieder herzuſtellen,
Alle und Jede ihre Zuflucht nehmen, die Geſunden und die Kranken, die Aerzte und die
Quakſalber, die Leute vom Stande und aus dem Poͤbel. Und dieſe Mittel ſind ſchon lange
vor Erfindung der Arzneiwiſſenſchaft in Koraͤa, Sina und Japan ſehr beruͤhmt geweſen,
und haben eben durch das lange Alterthum noch mehr heilige Ehrwuͤrdigkeit erhalten. Dieſe
Mittel ſind dem Namen nach etwas fuͤrchterlich, naͤmlich Feuer und Metall. Aber unter
dieſen Worten darf man nicht einen grauſamen verwundenden Stahl, noch das Feuer eines
gluͤhenden Eiſens verſtehn, mit denen die unmenſchliche Chirurgie unſers weſilichen Erdtheils
die armen Sterblichen auf eine Art martert, die von allen verabſcheuet werden muß, die noch
Menſchlichkeit und Mitleiden zu fuͤhlen faͤhig ſind. **) Das Feuer der Japaniſchen Me-
dicin
*)
Dieſer Darm iſt das Colon.
**) Mich duͤnkt, Kaͤmpfer laͤßt ſich hier wie-
der von dem Fehler hiureißen, den ich ſchon bei der
vorhergehenden Abhandlung bemerkt habe, naͤm-
lich die Einrichtungen und Gewohnheiten des frem-
den Landes auf Koſten des unſrigen zu erheben.
Freilich hat ſich die Chirurgie ſeit hundert Jahren
ſehr verbeſſert, und es waͤre alſo unmoͤglich, daß
der Zuſtand dieſer Wiſſenſchaft zu Kaͤmpfers Zeit
ſeinen Vorwurf rechtfertigte, welches nur Maͤnner
vom Fach beurtheilen koͤnnen. Aber es ſcheint mir
doch kaum glaublich, daß die europaͤiſchen Wund-
aͤrzte ſo grauſame Mittel anwenden ſolten, wo ſie
nicht nothwendig und uͤberwiegend heilſam ſind,
und
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