Heute und in den vorigen Tagen zogen die 20 lezten Chinesischen Jonken aus dem Hafen ab.
Den 9 Sontags machten uns die drei Stadtgouverneurs nach jährlicher Gewohn- heit auf Desima einen Besuch, nachdem sie bei den Chinesern ein gleiches gethan.
Den 10 geschahe es, daß uns der Tsino Cami nach seiner Wiederkunft gleich das erste Merkmahl von seinem Has und Ungunst gegen die Holländer fühlen lies, indem uns auf seinen Befehl früh Morgens angesagt wurde, daß wir uns in Bereitschaft zu halten hätten, um auf unserer Jnsel die Hinrichtung der beiden Delinquenten, die, wie unterm 5 No- vember gedacht worden, den verbotenen Kampherhandel getrieben, mit anzusehen, als welche unserthalben das Leben verlieren müsten. Es gieng selbige auch ohngefähr in einer Stunde würklich vor sich. So heftig wir uns auch zu verschiedenen malen gegen einen solchen Befehl sezten, so brachte es dennoch der Wille unsers Residenten mit sich, daß wir Folge leisteten; er selbst aber erschien dabei nicht, ob man ihn gleich ebenfals dazu aufge- fordert hatte.
Auf dem Richtplatze *) saßen zwei Oberbenjosen und Sekretärs auf kleinen Bänken, die dritte Bank war leer; die Schaar der ordentlichen sowol als außerordentlichen Dolmet- scher, mit ihren Lehrlingen, Wirthen und übrigen mit ihnen in Verbindung stehenden Per- sonen auf dem Eilande erstrekte sich etwa auf 200, nebst noch einigen nahe bei als Gerichts- diener sich befindenden Kuli oder Häschern. Die beiden Delinquenten knieten hinter ein- ander, die Hände waren ihnen auf den bloßen Rücken gebunden, und jeder hatte seinen Henker hinter sich; kaum daß man uns herzugeführt, und daß wir die Augen auf die De- linquenten gerichtet, lag das Haupt ohne weitere Umstände und ohne ein einziges Wort da- bei zu reden vor ihnen: jeder Körper wurde besonders in eine Strohmatte, so wie beide Köpfe besonders in eine andere zusammen gewickelt, und auf Tragbäumen von der Jnsel ab- geschikt. Sowol vor als nach dieser Enthauptung trug man vor den Uebelthätern ein Bret her, auf welchem die Ursach des tödlichen Verbrechens geschrieben stand, desgleichen eine Art von einem eisernen Haken und einem sogenanten scharfen halben Mond; jener ist mit scharfen Zacken besezt, und dient, um einen Flüchtigen, wenn man ihn nur irgends damit erreichen kan, fest zu halten; dieser, um ihn nieder zu stoßen und wider etwas zu drücken: beide Arten von Gewehren findet man vor allen Wachten. Gleich darauf giengen beide Benjosen und Sekretärs in zwei Partheien, so wie die übrigen, nach und nach aus einander.
Den
*) Kämpfer hat schon oben im achten Kapitel des vierten Buchs von dieser Erekution umständliche Nachricht gegeben.
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Fuͤnftes Buch.
Heute und in den vorigen Tagen zogen die 20 lezten Chineſiſchen Jonken aus dem Hafen ab.
Den 9 Sontags machten uns die drei Stadtgouverneurs nach jaͤhrlicher Gewohn- heit auf Deſima einen Beſuch, nachdem ſie bei den Chineſern ein gleiches gethan.
Den 10 geſchahe es, daß uns der Tſino Cami nach ſeiner Wiederkunft gleich das erſte Merkmahl von ſeinem Has und Ungunſt gegen die Hollaͤnder fuͤhlen lies, indem uns auf ſeinen Befehl fruͤh Morgens angeſagt wurde, daß wir uns in Bereitſchaft zu halten haͤtten, um auf unſerer Jnſel die Hinrichtung der beiden Delinquenten, die, wie unterm 5 No- vember gedacht worden, den verbotenen Kampherhandel getrieben, mit anzuſehen, als welche unſerthalben das Leben verlieren muͤſten. Es gieng ſelbige auch ohngefaͤhr in einer Stunde wuͤrklich vor ſich. So heftig wir uns auch zu verſchiedenen malen gegen einen ſolchen Befehl ſezten, ſo brachte es dennoch der Wille unſers Reſidenten mit ſich, daß wir Folge leiſteten; er ſelbſt aber erſchien dabei nicht, ob man ihn gleich ebenfals dazu aufge- fordert hatte.
Auf dem Richtplatze *) ſaßen zwei Oberbenjoſen und Sekretaͤrs auf kleinen Baͤnken, die dritte Bank war leer; die Schaar der ordentlichen ſowol als außerordentlichen Dolmet- ſcher, mit ihren Lehrlingen, Wirthen und uͤbrigen mit ihnen in Verbindung ſtehenden Per- ſonen auf dem Eilande erſtrekte ſich etwa auf 200, nebſt noch einigen nahe bei als Gerichts- diener ſich befindenden Kuli oder Haͤſchern. Die beiden Delinquenten knieten hinter ein- ander, die Haͤnde waren ihnen auf den bloßen Ruͤcken gebunden, und jeder hatte ſeinen Henker hinter ſich; kaum daß man uns herzugefuͤhrt, und daß wir die Augen auf die De- linquenten gerichtet, lag das Haupt ohne weitere Umſtaͤnde und ohne ein einziges Wort da- bei zu reden vor ihnen: jeder Koͤrper wurde beſonders in eine Strohmatte, ſo wie beide Koͤpfe beſonders in eine andere zuſammen gewickelt, und auf Tragbaͤumen von der Jnſel ab- geſchikt. Sowol vor als nach dieſer Enthauptung trug man vor den Uebelthaͤtern ein Bret her, auf welchem die Urſach des toͤdlichen Verbrechens geſchrieben ſtand, desgleichen eine Art von einem eiſernen Haken und einem ſogenanten ſcharfen halben Mond; jener iſt mit ſcharfen Zacken beſezt, und dient, um einen Fluͤchtigen, wenn man ihn nur irgends damit erreichen kan, feſt zu halten; dieſer, um ihn nieder zu ſtoßen und wider etwas zu druͤcken: beide Arten von Gewehren findet man vor allen Wachten. Gleich darauf giengen beide Benjoſen und Sekretaͤrs in zwei Partheien, ſo wie die uͤbrigen, nach und nach aus einander.
Den
*) Kaͤmpfer hat ſchon oben im achten Kapitel des vierten Buchs von dieſer Erekution umſtaͤndliche Nachricht gegeben.
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Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Fuͤnftes Buch.
Heute und in den vorigen Tagen zogen die 20 lezten Chineſiſchen Jonken aus dem
Hafen ab.
Den 9 Sontags machten uns die drei Stadtgouverneurs nach jaͤhrlicher Gewohn-
heit auf Deſima einen Beſuch, nachdem ſie bei den Chineſern ein gleiches gethan.
Den 10 geſchahe es, daß uns der Tſino Cami nach ſeiner Wiederkunft gleich das
erſte Merkmahl von ſeinem Has und Ungunſt gegen die Hollaͤnder fuͤhlen lies, indem uns
auf ſeinen Befehl fruͤh Morgens angeſagt wurde, daß wir uns in Bereitſchaft zu halten haͤtten,
um auf unſerer Jnſel die Hinrichtung der beiden Delinquenten, die, wie unterm 5 No-
vember gedacht worden, den verbotenen Kampherhandel getrieben, mit anzuſehen, als
welche unſerthalben das Leben verlieren muͤſten. Es gieng ſelbige auch ohngefaͤhr in einer
Stunde wuͤrklich vor ſich. So heftig wir uns auch zu verſchiedenen malen gegen einen
ſolchen Befehl ſezten, ſo brachte es dennoch der Wille unſers Reſidenten mit ſich, daß wir
Folge leiſteten; er ſelbſt aber erſchien dabei nicht, ob man ihn gleich ebenfals dazu aufge-
fordert hatte.
Auf dem Richtplatze *) ſaßen zwei Oberbenjoſen und Sekretaͤrs auf kleinen Baͤnken,
die dritte Bank war leer; die Schaar der ordentlichen ſowol als außerordentlichen Dolmet-
ſcher, mit ihren Lehrlingen, Wirthen und uͤbrigen mit ihnen in Verbindung ſtehenden Per-
ſonen auf dem Eilande erſtrekte ſich etwa auf 200, nebſt noch einigen nahe bei als Gerichts-
diener ſich befindenden Kuli oder Haͤſchern. Die beiden Delinquenten knieten hinter ein-
ander, die Haͤnde waren ihnen auf den bloßen Ruͤcken gebunden, und jeder hatte ſeinen
Henker hinter ſich; kaum daß man uns herzugefuͤhrt, und daß wir die Augen auf die De-
linquenten gerichtet, lag das Haupt ohne weitere Umſtaͤnde und ohne ein einziges Wort da-
bei zu reden vor ihnen: jeder Koͤrper wurde beſonders in eine Strohmatte, ſo wie beide
Koͤpfe beſonders in eine andere zuſammen gewickelt, und auf Tragbaͤumen von der Jnſel ab-
geſchikt. Sowol vor als nach dieſer Enthauptung trug man vor den Uebelthaͤtern ein Bret
her, auf welchem die Urſach des toͤdlichen Verbrechens geſchrieben ſtand, desgleichen eine
Art von einem eiſernen Haken und einem ſogenanten ſcharfen halben Mond; jener iſt mit
ſcharfen Zacken beſezt, und dient, um einen Fluͤchtigen, wenn man ihn nur irgends damit
erreichen kan, feſt zu halten; dieſer, um ihn nieder zu ſtoßen und wider etwas zu druͤcken:
beide Arten von Gewehren findet man vor allen Wachten. Gleich darauf giengen beide
Benjoſen und Sekretaͤrs in zwei Partheien, ſo wie die uͤbrigen, nach und nach
aus einander.
Den
*) Kaͤmpfer hat ſchon oben im achten Kapitel des vierten Buchs von dieſer Erekution umſtaͤndliche
Nachricht gegeben.
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/372>, abgerufen am 26.11.2024.
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