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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Fünftes Buch.
und recken den andern freien Arm mit der flachen Hand horizontal aus, womit sie samt kur-
zen Tritten und steifen Knien eine lächerliche Furcht und Vorsichtigkeit affektiren.

Wil etwa ein großer Herr hie und da einen Trunk Thee zu sich nehmen, oder
rauchen, oder trit er zu Verrichtung seiner Nothdurft in eine dazu überal vorhandene grüne
Hütte oder Bauerhäuschen auf eine kurze Zeit ab, so giebt er dem Wirthe jedesmal einen
Cobang zur Belohnung, in den Mittags- und Nachtherbergen aber weit mehr.

Die Personen, die eine Bätfahrt nach Jsje unternehmen, haben gleichfalls, aus
was für einer Provinz sie auch kommen mögen, einen Theil der großen Landstraßen zu be-
rühren. Diese Bätfahrt wird das ganze Jahr durch, fürnehmlich aber im Frühlinge,
unternommen, daher denn der Weg um diese Zeit vorzüglich von solchen Wandersleuten vol
ist. Alte und junge, reiche und arme aus beiden Geschlechten, machen sich eine Andacht
und Verdienst aus dieser Reise, und suchen sich zu Fuße, und so gut sie können, durchzu-
bringen. Die Vielheit derer, die ihre Kost und Zehrgeld unter Wegs erbetteln müssen,
fält dann den nach Hofe Reisenden nicht wenig verdrüslich, da sie alle Augenblik angegan-
gen werden, welches jedoch nicht anhaltend, sondern nur einmal, in bloßem Haupte und
demüthiger Stimme, mit diesen Worten geschiehet: Großer Herr, gebt dem Bätfah-
renden nach Jsje einen Heller zur Reise.
Die Einwohner der Stadt Jedo und der
Provinz Osju haben vor allen andern die Gewohnheit, diese Walfahrt, auch wol ohne Er-
laubnis ihrer Obrigkeit, zu unternehmen, ja so gar die Kinder, denen begangener Uebel-
that halber eine Züchtigung bevorstehet, laufen nach ihrem eigenen Sinne von hier vielmals
ihren Eltern weg, gehen nach Jsje und holen Ablas, der ihnen denn zur Absolution gültig
seyn mus. Da des Volks auf diesem Wege so viel ist, daß es in den Herbergen nicht alle
unterkommen kan, so findet man viele sowol aus diesem Grunde als auch aus Armuth öfters
im Felde übernachten, andere bisweilen am Wege krank und tod liegen: die solchermaßen
verlorne Ablasschachteln werden von den Findern aufgehoben, und in die Zweige des näch-
sten Baums oder Strauchs gestekt. Es giebt auch lose Vögel, die unter dem Schein der
Walfahrt den größesten Theil des Jahres alhier mit Betteln zubringen, so lange sie sich
wohl dabei befinden; andere wissen diese Fahrt auf eine komische Weise zu einer Bettelfahrt
zu machen, und das Auge und Geld andrer Leute leichter und mit Kurzweile an sich zu ziehen.
Es gesellen sich zu diesem Zwek gemeiniglich vier Personen zusammen, die sich wie die Hof-
bedienten eines Kuge oder Dairi in ein weites weißes Leinwand bekleiden; ihrer zween
tragen mit langsamen Schritten, und öfters stilstehend, eine mit tannenen Zweigen und zer-
schnittenem weißen Papier ausgezierte und behangene Bare, und auf derselben eine aus
leichter Materie gemachte große Glocke, Kessel oder etwas anderes, so aus den alten Fa-
beln ihrer Vorfahren und Götter etwas abbilden oder vorstellen sol; der dritte trit aus
Hochachtung gegen die heilige Vorstellung mit einem Commandostabe in der Hand, der

oben

Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Fuͤnftes Buch.
und recken den andern freien Arm mit der flachen Hand horizontal aus, womit ſie ſamt kur-
zen Tritten und ſteifen Knien eine laͤcherliche Furcht und Vorſichtigkeit affektiren.

Wil etwa ein großer Herr hie und da einen Trunk Thee zu ſich nehmen, oder
rauchen, oder trit er zu Verrichtung ſeiner Nothdurft in eine dazu uͤberal vorhandene gruͤne
Huͤtte oder Bauerhaͤuschen auf eine kurze Zeit ab, ſo giebt er dem Wirthe jedesmal einen
Cobang zur Belohnung, in den Mittags- und Nachtherbergen aber weit mehr.

Die Perſonen, die eine Baͤtfahrt nach Jſje unternehmen, haben gleichfalls, aus
was fuͤr einer Provinz ſie auch kommen moͤgen, einen Theil der großen Landſtraßen zu be-
ruͤhren. Dieſe Baͤtfahrt wird das ganze Jahr durch, fuͤrnehmlich aber im Fruͤhlinge,
unternommen, daher denn der Weg um dieſe Zeit vorzuͤglich von ſolchen Wandersleuten vol
iſt. Alte und junge, reiche und arme aus beiden Geſchlechten, machen ſich eine Andacht
und Verdienſt aus dieſer Reiſe, und ſuchen ſich zu Fuße, und ſo gut ſie koͤnnen, durchzu-
bringen. Die Vielheit derer, die ihre Koſt und Zehrgeld unter Wegs erbetteln muͤſſen,
faͤlt dann den nach Hofe Reiſenden nicht wenig verdruͤslich, da ſie alle Augenblik angegan-
gen werden, welches jedoch nicht anhaltend, ſondern nur einmal, in bloßem Haupte und
demuͤthiger Stimme, mit dieſen Worten geſchiehet: Großer Herr, gebt dem Baͤtfah-
renden nach Jſje einen Heller zur Reiſe.
Die Einwohner der Stadt Jedo und der
Provinz Oſju haben vor allen andern die Gewohnheit, dieſe Walfahrt, auch wol ohne Er-
laubnis ihrer Obrigkeit, zu unternehmen, ja ſo gar die Kinder, denen begangener Uebel-
that halber eine Zuͤchtigung bevorſtehet, laufen nach ihrem eigenen Sinne von hier vielmals
ihren Eltern weg, gehen nach Jſje und holen Ablas, der ihnen denn zur Abſolution guͤltig
ſeyn mus. Da des Volks auf dieſem Wege ſo viel iſt, daß es in den Herbergen nicht alle
unterkommen kan, ſo findet man viele ſowol aus dieſem Grunde als auch aus Armuth oͤfters
im Felde uͤbernachten, andere bisweilen am Wege krank und tod liegen: die ſolchermaßen
verlorne Ablasſchachteln werden von den Findern aufgehoben, und in die Zweige des naͤch-
ſten Baums oder Strauchs geſtekt. Es giebt auch loſe Voͤgel, die unter dem Schein der
Walfahrt den groͤßeſten Theil des Jahres alhier mit Betteln zubringen, ſo lange ſie ſich
wohl dabei befinden; andere wiſſen dieſe Fahrt auf eine komiſche Weiſe zu einer Bettelfahrt
zu machen, und das Auge und Geld andrer Leute leichter und mit Kurzweile an ſich zu ziehen.
Es geſellen ſich zu dieſem Zwek gemeiniglich vier Perſonen zuſammen, die ſich wie die Hof-
bedienten eines Kuge oder Dairi in ein weites weißes Leinwand bekleiden; ihrer zween
tragen mit langſamen Schritten, und oͤfters ſtilſtehend, eine mit tannenen Zweigen und zer-
ſchnittenem weißen Papier ausgezierte und behangene Bare, und auf derſelben eine aus
leichter Materie gemachte große Glocke, Keſſel oder etwas anderes, ſo aus den alten Fa-
beln ihrer Vorfahren und Goͤtter etwas abbilden oder vorſtellen ſol; der dritte trit aus
Hochachtung gegen die heilige Vorſtellung mit einem Commandoſtabe in der Hand, der

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[182/0200] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Fuͤnftes Buch. und recken den andern freien Arm mit der flachen Hand horizontal aus, womit ſie ſamt kur- zen Tritten und ſteifen Knien eine laͤcherliche Furcht und Vorſichtigkeit affektiren. Wil etwa ein großer Herr hie und da einen Trunk Thee zu ſich nehmen, oder rauchen, oder trit er zu Verrichtung ſeiner Nothdurft in eine dazu uͤberal vorhandene gruͤne Huͤtte oder Bauerhaͤuschen auf eine kurze Zeit ab, ſo giebt er dem Wirthe jedesmal einen Cobang zur Belohnung, in den Mittags- und Nachtherbergen aber weit mehr. Die Perſonen, die eine Baͤtfahrt nach Jſje unternehmen, haben gleichfalls, aus was fuͤr einer Provinz ſie auch kommen moͤgen, einen Theil der großen Landſtraßen zu be- ruͤhren. Dieſe Baͤtfahrt wird das ganze Jahr durch, fuͤrnehmlich aber im Fruͤhlinge, unternommen, daher denn der Weg um dieſe Zeit vorzuͤglich von ſolchen Wandersleuten vol iſt. Alte und junge, reiche und arme aus beiden Geſchlechten, machen ſich eine Andacht und Verdienſt aus dieſer Reiſe, und ſuchen ſich zu Fuße, und ſo gut ſie koͤnnen, durchzu- bringen. Die Vielheit derer, die ihre Koſt und Zehrgeld unter Wegs erbetteln muͤſſen, faͤlt dann den nach Hofe Reiſenden nicht wenig verdruͤslich, da ſie alle Augenblik angegan- gen werden, welches jedoch nicht anhaltend, ſondern nur einmal, in bloßem Haupte und demuͤthiger Stimme, mit dieſen Worten geſchiehet: Großer Herr, gebt dem Baͤtfah- renden nach Jſje einen Heller zur Reiſe. Die Einwohner der Stadt Jedo und der Provinz Oſju haben vor allen andern die Gewohnheit, dieſe Walfahrt, auch wol ohne Er- laubnis ihrer Obrigkeit, zu unternehmen, ja ſo gar die Kinder, denen begangener Uebel- that halber eine Zuͤchtigung bevorſtehet, laufen nach ihrem eigenen Sinne von hier vielmals ihren Eltern weg, gehen nach Jſje und holen Ablas, der ihnen denn zur Abſolution guͤltig ſeyn mus. Da des Volks auf dieſem Wege ſo viel iſt, daß es in den Herbergen nicht alle unterkommen kan, ſo findet man viele ſowol aus dieſem Grunde als auch aus Armuth oͤfters im Felde uͤbernachten, andere bisweilen am Wege krank und tod liegen: die ſolchermaßen verlorne Ablasſchachteln werden von den Findern aufgehoben, und in die Zweige des naͤch- ſten Baums oder Strauchs geſtekt. Es giebt auch loſe Voͤgel, die unter dem Schein der Walfahrt den groͤßeſten Theil des Jahres alhier mit Betteln zubringen, ſo lange ſie ſich wohl dabei befinden; andere wiſſen dieſe Fahrt auf eine komiſche Weiſe zu einer Bettelfahrt zu machen, und das Auge und Geld andrer Leute leichter und mit Kurzweile an ſich zu ziehen. Es geſellen ſich zu dieſem Zwek gemeiniglich vier Perſonen zuſammen, die ſich wie die Hof- bedienten eines Kuge oder Dairi in ein weites weißes Leinwand bekleiden; ihrer zween tragen mit langſamen Schritten, und oͤfters ſtilſtehend, eine mit tannenen Zweigen und zer- ſchnittenem weißen Papier ausgezierte und behangene Bare, und auf derſelben eine aus leichter Materie gemachte große Glocke, Keſſel oder etwas anderes, ſo aus den alten Fa- beln ihrer Vorfahren und Goͤtter etwas abbilden oder vorſtellen ſol; der dritte trit aus Hochachtung gegen die heilige Vorſtellung mit einem Commandoſtabe in der Hand, der oben

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/200>, abgerufen am 25.11.2024.