lich mich nach ihrer natürlichen, geistlichen und weltlichen Geschichte und nach Al- lem, was ich wolte, mich erkundigen konte. Keiner weigerte sich, mir nach sei- ner besten Wissenschaft Nachricht zu geben; auch selbst von den verbotensten Din- gen, wenn ich nur mit einem allein war.
Diese von meinen Besuchern täglich eingesamlete Nachrichten haben mir nun zwar sehr viel genüzt; indes waren sie doch nur Stükwerke, und reichten also zu einer volständigen und genauen Beschreibung des japanischen Reichs nicht hin. Ein ungemeines Glük war es also, daß ich an einem sehr gelehrten Jüngling ein recht erwünschtes Werkzeug fand, zu meinem Zwek zu gelangen, und mich zu ei- ner recht reichen Erndte japanischer Notitzen zu führen. Dieser in der japanischen und sinesischen Schrift sehr bewanderte zugleich aber auch nach andern Kentnis- sen ungemein begierige Student von etwa 24 Jahren, wurde mir gleich bey mei- ner Ankunft als ein Diener gegeben, um von mir in der Arzneikunst etwas zu ler- nen. Jch gebrauchte ihn auch bey den Krankheiten des Ottona d. i. des Re- genten unsrer Jnsel, als meinen Handlanger, und dieser wurde von ihm treu- lich bedient, und hatte daher auch die besondre Gewogenheit, während meines zwei- jährigen Aufenthalts den jungen Menschen beständig bey mir zu lassen; auch zu erlauben, daß er zweimal mit mir nach dem Kaiserlichen Hofe reißte. Jch hatte daher das Vergnügen mit ihm beinahe das ganze Reich in die Länge viermahl durchzureisen; da sonst nie erlaubt wird, daß kundige und gescheute Leute so lange bey den Holländern bleiben.
Jch fieng nun gleich damit an, diesem schlauen Kopfe die holländische Sprache (ohne welche ich mit ihm nicht gut reden konte,) grammatisch beizubrin- gen. Jch war auch hierin so glüklich, daß er schon am Ende des ersten Jahrs diese Sprache schreiben und so gut reden konte, als es noch nie ein japanischer Dolmet- scher konte. Hernach unterrichtete ich ihn treulich in der Anatomie und übrigen Medicin; und gab ihm auch noch einen, nach meinem wenigen Vermögen, ganz
ansehn-
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Vorrede des Verfaſſers.
lich mich nach ihrer natuͤrlichen, geiſtlichen und weltlichen Geſchichte und nach Al- lem, was ich wolte, mich erkundigen konte. Keiner weigerte ſich, mir nach ſei- ner beſten Wiſſenſchaft Nachricht zu geben; auch ſelbſt von den verbotenſten Din- gen, wenn ich nur mit einem allein war.
Dieſe von meinen Beſuchern taͤglich eingeſamlete Nachrichten haben mir nun zwar ſehr viel genuͤzt; indes waren ſie doch nur Stuͤkwerke, und reichten alſo zu einer volſtaͤndigen und genauen Beſchreibung des japaniſchen Reichs nicht hin. Ein ungemeines Gluͤk war es alſo, daß ich an einem ſehr gelehrten Juͤngling ein recht erwuͤnſchtes Werkzeug fand, zu meinem Zwek zu gelangen, und mich zu ei- ner recht reichen Erndte japaniſcher Notitzen zu fuͤhren. Dieſer in der japaniſchen und ſineſiſchen Schrift ſehr bewanderte zugleich aber auch nach andern Kentniſ- ſen ungemein begierige Student von etwa 24 Jahren, wurde mir gleich bey mei- ner Ankunft als ein Diener gegeben, um von mir in der Arzneikunſt etwas zu ler- nen. Jch gebrauchte ihn auch bey den Krankheiten des Ottona d. i. des Re- genten unſrer Jnſel, als meinen Handlanger, und dieſer wurde von ihm treu- lich bedient, und hatte daher auch die beſondre Gewogenheit, waͤhrend meines zwei- jaͤhrigen Aufenthalts den jungen Menſchen beſtaͤndig bey mir zu laſſen; auch zu erlauben, daß er zweimal mit mir nach dem Kaiſerlichen Hofe reißte. Jch hatte daher das Vergnuͤgen mit ihm beinahe das ganze Reich in die Laͤnge viermahl durchzureiſen; da ſonſt nie erlaubt wird, daß kundige und geſcheute Leute ſo lange bey den Hollaͤndern bleiben.
Jch fieng nun gleich damit an, dieſem ſchlauen Kopfe die hollaͤndiſche Sprache (ohne welche ich mit ihm nicht gut reden konte,) grammatiſch beizubrin- gen. Jch war auch hierin ſo gluͤklich, daß er ſchon am Ende des erſten Jahrs dieſe Sprache ſchreiben und ſo gut reden konte, als es noch nie ein japaniſcher Dolmet- ſcher konte. Hernach unterrichtete ich ihn treulich in der Anatomie und uͤbrigen Medicin; und gab ihm auch noch einen, nach meinem wenigen Vermoͤgen, ganz
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[LXVII/0071]
Vorrede des Verfaſſers.
lich mich nach ihrer natuͤrlichen, geiſtlichen und weltlichen Geſchichte und nach Al-
lem, was ich wolte, mich erkundigen konte. Keiner weigerte ſich, mir nach ſei-
ner beſten Wiſſenſchaft Nachricht zu geben; auch ſelbſt von den verbotenſten Din-
gen, wenn ich nur mit einem allein war.
Dieſe von meinen Beſuchern taͤglich eingeſamlete Nachrichten haben mir
nun zwar ſehr viel genuͤzt; indes waren ſie doch nur Stuͤkwerke, und reichten alſo
zu einer volſtaͤndigen und genauen Beſchreibung des japaniſchen Reichs nicht hin.
Ein ungemeines Gluͤk war es alſo, daß ich an einem ſehr gelehrten Juͤngling ein
recht erwuͤnſchtes Werkzeug fand, zu meinem Zwek zu gelangen, und mich zu ei-
ner recht reichen Erndte japaniſcher Notitzen zu fuͤhren. Dieſer in der japaniſchen
und ſineſiſchen Schrift ſehr bewanderte zugleich aber auch nach andern Kentniſ-
ſen ungemein begierige Student von etwa 24 Jahren, wurde mir gleich bey mei-
ner Ankunft als ein Diener gegeben, um von mir in der Arzneikunſt etwas zu ler-
nen. Jch gebrauchte ihn auch bey den Krankheiten des Ottona d. i. des Re-
genten unſrer Jnſel, als meinen Handlanger, und dieſer wurde von ihm treu-
lich bedient, und hatte daher auch die beſondre Gewogenheit, waͤhrend meines zwei-
jaͤhrigen Aufenthalts den jungen Menſchen beſtaͤndig bey mir zu laſſen; auch zu
erlauben, daß er zweimal mit mir nach dem Kaiſerlichen Hofe reißte. Jch hatte
daher das Vergnuͤgen mit ihm beinahe das ganze Reich in die Laͤnge viermahl
durchzureiſen; da ſonſt nie erlaubt wird, daß kundige und geſcheute Leute ſo lange
bey den Hollaͤndern bleiben.
Jch fieng nun gleich damit an, dieſem ſchlauen Kopfe die hollaͤndiſche
Sprache (ohne welche ich mit ihm nicht gut reden konte,) grammatiſch beizubrin-
gen. Jch war auch hierin ſo gluͤklich, daß er ſchon am Ende des erſten Jahrs dieſe
Sprache ſchreiben und ſo gut reden konte, als es noch nie ein japaniſcher Dolmet-
ſcher konte. Hernach unterrichtete ich ihn treulich in der Anatomie und uͤbrigen
Medicin; und gab ihm auch noch einen, nach meinem wenigen Vermoͤgen, ganz
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. LXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/71>, abgerufen am 16.07.2024.
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