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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Siebent. K. Von der Dsjuto oder der Lehre der Philosohen etc.
in ihren eignen Häusern das Biossu der Eltern, oder den Charakter gelehrter Männer.
Doch regieren dies Alles jezt die Priester, unter deren Joch diese Philosophen sich beugen
müssen. Ehemals wurden die Wissenschaften und Künste unter dieser Sekte mit großem
Eifer getrieben, und fanden hier fast ihren einzigen Zufluchtsort. Sie war auch damals
ungemein zahlreich; jezt aber vermindert sie sich von Jahr zu Jahr, da diese Philosophen
verdächtig geworden und mit in die grausame Verfolgung der Christen gezogen sind. Jhre
Moralbücher sind dadurch auch verschrieen, und werden nicht ohne Furcht gelesen; da sie
vormals bey allen Glaubensgenossen dieses Landes in so großem Ansehn standen, wie bei uns
die Schriften eines Plato, Seneka und andrer heidnischen Philosophen.

Vor etwa dreißig Jahren lebte ein Fürst von Bisen und Jnaba, der ein vortref-
licher Sjudo Sja und Gönner der Wissenschaften dieser Sekte und ihres stoischen Lebens-
wandels war. Er suchte sie in seine Lande wieder einzuführen, und von neuen zu beleben.
Er stiftete in dieser Absicht eine Akademie, zu der er von allen Orten gelehrte Männer als
Lehrer berief, und sie mit reichlichem Unterhalt versah. Der vortrefliche Fürst erreichte sei-
nen Zwek. Das Volk wurde mehr erleuchtet, gebrauchte nach dem Muster seiner Gro-
ßen seine eigne Vernunft, und wolte den unbegreiflichen Revelationen und Erzählungen
von Wundern u. dgl. nicht mehr glauben. Es hatte auch nun nicht mehr Lust dem Pöbel
unwissender Pfaffen, die meistens von Almosen leben, so reichlichen Unterhalt wie bisher
zu geben. Diese (von denen das ganze Reich allenthalben wimmelt) kamen daher in sehr
traurige Umstände, und wären beinahe vor Hunger in diesem philosophischem Lande gestorben.
Aber sowohl der Mikaddo als der weltliche Kaiser nahm dieses sehr übel auf, und wolten
den edeldenkenden Patrioten seiner Erblande entsetzen. Dieser trat aber die Regierung
an seinen Sohn ab, und kam durch diese kluge Vorsicht den Folgen der Kaiserlichen Ungnade
und dem Fal seiner Familie zuvor. Dieser Sohn, der noch jezt (1692) regiert, beweist
durch seinen stoischen Lebenswandel, daß auch er noch die väterliche Denkungsart beibehal-
ten habe. Jch wil eine kleine Geschichte von demselben anführen, die zu meiner Zeit vor-
fiel. Sie gehört zwar nicht zu dieser Materie, kan aber doch bey dem Beschlus derselben
den Leser vergnügen.

An dem großen Fest Soaguatz, oder dem Neujahrstage, finden sich nach Lan-
desgebrauch alle Cavalliers und Damen, mit kostbaren Kleidern geschmükt, am Hofe die-
ses Fürsten ein, der sie dann zu einem großen Gastmahl zog. Unter andern Geschenken,
die an diesem Tage dem Fürsten gemacht wurden, befanden sich auch ein paar ungemein

schöne
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Siebent. K. Von der Dſjuto oder der Lehre der Philoſohen ꝛc.
in ihren eignen Haͤuſern das Bioſſu der Eltern, oder den Charakter gelehrter Maͤnner.
Doch regieren dies Alles jezt die Prieſter, unter deren Joch dieſe Philoſophen ſich beugen
muͤſſen. Ehemals wurden die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte unter dieſer Sekte mit großem
Eifer getrieben, und fanden hier faſt ihren einzigen Zufluchtsort. Sie war auch damals
ungemein zahlreich; jezt aber vermindert ſie ſich von Jahr zu Jahr, da dieſe Philoſophen
verdaͤchtig geworden und mit in die grauſame Verfolgung der Chriſten gezogen ſind. Jhre
Moralbuͤcher ſind dadurch auch verſchrieen, und werden nicht ohne Furcht geleſen; da ſie
vormals bey allen Glaubensgenoſſen dieſes Landes in ſo großem Anſehn ſtanden, wie bei uns
die Schriften eines Plato, Seneka und andrer heidniſchen Philoſophen.

Vor etwa dreißig Jahren lebte ein Fuͤrſt von Biſen und Jnaba, der ein vortref-
licher Sjudo Sja und Goͤnner der Wiſſenſchaften dieſer Sekte und ihres ſtoiſchen Lebens-
wandels war. Er ſuchte ſie in ſeine Lande wieder einzufuͤhren, und von neuen zu beleben.
Er ſtiftete in dieſer Abſicht eine Akademie, zu der er von allen Orten gelehrte Maͤnner als
Lehrer berief, und ſie mit reichlichem Unterhalt verſah. Der vortrefliche Fuͤrſt erreichte ſei-
nen Zwek. Das Volk wurde mehr erleuchtet, gebrauchte nach dem Muſter ſeiner Gro-
ßen ſeine eigne Vernunft, und wolte den unbegreiflichen Revelationen und Erzaͤhlungen
von Wundern u. dgl. nicht mehr glauben. Es hatte auch nun nicht mehr Luſt dem Poͤbel
unwiſſender Pfaffen, die meiſtens von Almoſen leben, ſo reichlichen Unterhalt wie bisher
zu geben. Dieſe (von denen das ganze Reich allenthalben wimmelt) kamen daher in ſehr
traurige Umſtaͤnde, und waͤren beinahe vor Hunger in dieſem philoſophiſchem Lande geſtorben.
Aber ſowohl der Mikaddo als der weltliche Kaiſer nahm dieſes ſehr uͤbel auf, und wolten
den edeldenkenden Patrioten ſeiner Erblande entſetzen. Dieſer trat aber die Regierung
an ſeinen Sohn ab, und kam durch dieſe kluge Vorſicht den Folgen der Kaiſerlichen Ungnade
und dem Fal ſeiner Familie zuvor. Dieſer Sohn, der noch jezt (1692) regiert, beweiſt
durch ſeinen ſtoiſchen Lebenswandel, daß auch er noch die vaͤterliche Denkungsart beibehal-
ten habe. Jch wil eine kleine Geſchichte von demſelben anfuͤhren, die zu meiner Zeit vor-
fiel. Sie gehoͤrt zwar nicht zu dieſer Materie, kan aber doch bey dem Beſchlus derſelben
den Leſer vergnuͤgen.

An dem großen Feſt Soaguatz, oder dem Neujahrstage, finden ſich nach Lan-
desgebrauch alle Cavalliers und Damen, mit koſtbaren Kleidern geſchmuͤkt, am Hofe die-
ſes Fuͤrſten ein, der ſie dann zu einem großen Gaſtmahl zog. Unter andern Geſchenken,
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[307/0415] Siebent. K. Von der Dſjuto oder der Lehre der Philoſohen ꝛc. in ihren eignen Haͤuſern das Bioſſu der Eltern, oder den Charakter gelehrter Maͤnner. Doch regieren dies Alles jezt die Prieſter, unter deren Joch dieſe Philoſophen ſich beugen muͤſſen. Ehemals wurden die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte unter dieſer Sekte mit großem Eifer getrieben, und fanden hier faſt ihren einzigen Zufluchtsort. Sie war auch damals ungemein zahlreich; jezt aber vermindert ſie ſich von Jahr zu Jahr, da dieſe Philoſophen verdaͤchtig geworden und mit in die grauſame Verfolgung der Chriſten gezogen ſind. Jhre Moralbuͤcher ſind dadurch auch verſchrieen, und werden nicht ohne Furcht geleſen; da ſie vormals bey allen Glaubensgenoſſen dieſes Landes in ſo großem Anſehn ſtanden, wie bei uns die Schriften eines Plato, Seneka und andrer heidniſchen Philoſophen. Vor etwa dreißig Jahren lebte ein Fuͤrſt von Biſen und Jnaba, der ein vortref- licher Sjudo Sja und Goͤnner der Wiſſenſchaften dieſer Sekte und ihres ſtoiſchen Lebens- wandels war. Er ſuchte ſie in ſeine Lande wieder einzufuͤhren, und von neuen zu beleben. Er ſtiftete in dieſer Abſicht eine Akademie, zu der er von allen Orten gelehrte Maͤnner als Lehrer berief, und ſie mit reichlichem Unterhalt verſah. Der vortrefliche Fuͤrſt erreichte ſei- nen Zwek. Das Volk wurde mehr erleuchtet, gebrauchte nach dem Muſter ſeiner Gro- ßen ſeine eigne Vernunft, und wolte den unbegreiflichen Revelationen und Erzaͤhlungen von Wundern u. dgl. nicht mehr glauben. Es hatte auch nun nicht mehr Luſt dem Poͤbel unwiſſender Pfaffen, die meiſtens von Almoſen leben, ſo reichlichen Unterhalt wie bisher zu geben. Dieſe (von denen das ganze Reich allenthalben wimmelt) kamen daher in ſehr traurige Umſtaͤnde, und waͤren beinahe vor Hunger in dieſem philoſophiſchem Lande geſtorben. Aber ſowohl der Mikaddo als der weltliche Kaiſer nahm dieſes ſehr uͤbel auf, und wolten den edeldenkenden Patrioten ſeiner Erblande entſetzen. Dieſer trat aber die Regierung an ſeinen Sohn ab, und kam durch dieſe kluge Vorſicht den Folgen der Kaiſerlichen Ungnade und dem Fal ſeiner Familie zuvor. Dieſer Sohn, der noch jezt (1692) regiert, beweiſt durch ſeinen ſtoiſchen Lebenswandel, daß auch er noch die vaͤterliche Denkungsart beibehal- ten habe. Jch wil eine kleine Geſchichte von demſelben anfuͤhren, die zu meiner Zeit vor- fiel. Sie gehoͤrt zwar nicht zu dieſer Materie, kan aber doch bey dem Beſchlus derſelben den Leſer vergnuͤgen. An dem großen Feſt Soaguatz, oder dem Neujahrstage, finden ſich nach Lan- desgebrauch alle Cavalliers und Damen, mit koſtbaren Kleidern geſchmuͤkt, am Hofe die- ſes Fuͤrſten ein, der ſie dann zu einem großen Gaſtmahl zog. Unter andern Geſchenken, die an dieſem Tage dem Fuͤrſten gemacht wurden, befanden ſich auch ein paar ungemein ſchoͤne Q q 2

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/415>, abgerufen am 25.11.2024.