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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Drittes Buch.
ewig, und Menschen und Vieh aus Jn Jo des Himmels und den fünf Elementen hervor-
gekommen sind.

Diese Philosophen halten zwar nichts von Tempeln und Göttern; doch feiern sie aus
politischen Gründen und nach altem Gebrauche das Gedächtnis ihrer verstorbenen Freunde
eben so, wie die Budsdo und Sinsja. Sie nennen dies Go Bio Sio d. i. Gedächt-
nistafelplaz
oder der beste Plaz in ihrem Erbe; und feiern es besonders mit Vorsetzung
der Speisen von allerley geschlachtetem rohem oder gekochtem Vieh, mit Anzündung der Ker-
zen, und Bückung bis zur Erde, da sie die Verstorbnen als Lebendige verehren und com-
plimentiren. Diese Gedächtnistage begehn sie erstlich alle sieben Tage, hernach jeden Monat
und endlich jedes Jahr mit einem feierlichen Todtenmahl, zu dem sie auch die Verwandten
der großen Männer einladen. Man mus sich auch dazu drey Tage vorher durch Enthal-
tung vom Beischlaf und allen sündlichen Dingen auch durch Reinigung des Körpers und
Anlegung schöner Kleider wohl bereiten und geschikt machen. Man kan dieses alles als
die Folge eines dankbaren und gutgesinten Herzens nicht tadeln; auch ist der Selbstmord
bey ihnen nur in einem Falle erlaubt, der einem Manne, welcher ein tugendvolles Leben
führt, nicht leicht begegnen wird, nemlich, wenn man dadurch einer schändlichen That
oder einem siegenden Feinde zuvorkömt. Jn diesem Fal aber wird der Selbstmord als eine
tapfere und ruhmvolle Handlung empfohlen.

Die Todten verbrennen sie nicht, sondern lassen ihre Leichen drey Tage über der
Erde stehn, in Todtenkasten, wie unsre europäischen Särge. Sie sind darin plat auf den
Rücken gelegt, mit dem Kopf etwas hoch zurükgelehnt. Zur Erhaltung des Leichnams
werden einige Spezereien und wohlriechende Kräuter beigelegt; auch dem Verstorbnen zu
Ehren einige Lichter angezündet.

Diese atheistischen Weltweisen wollen keine heidnische Feier zugeben, keine Reli-
gionspflichten ihren Abgöttern leisten, außer die, welche der Wohlstand und die bürgerliche
Höflichkeit nothwendig macht. Sie begnügen sich, nach der Lehre eines Seneka, oder
nach unserm Dekalogus, tugendhaft zu leben, gutes zu thun und ein ehrliches Gewissen zu
haben. Sie haben sogar wohl die zum Feuer und Kreuz verdamte Christenlehre begünstigt;
und sie sind deswegen immer in Verdacht. Nach Verbannung des Christenthums hat man
daher das Gesez gemacht, daß sie in ihren Häusern einen Abgott oder dessen Character auf-
setzen und ankleben müssen, welches ganz wider ihren Willen geschieht. Auch müssen sie
diese Götter mit vorgeseztem Rauchfas und Blumentöpfen verehren. Es pflegt gemeinig-
lich das Bild des Quanwons oder Amida's zu seyn, welchem sie nach Landessitte hinter
dem Feuerheerde seinen Plaz anweisen. An öffentlichen Orten, ihren Schulen und Akade-
mien haben sie aus eignem Belieben das Bild des Confutius aufgestelt; und so auch wohl

in

Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
ewig, und Menſchen und Vieh aus Jn Jo des Himmels und den fuͤnf Elementen hervor-
gekommen ſind.

Dieſe Philoſophen halten zwar nichts von Tempeln und Goͤttern; doch feiern ſie aus
politiſchen Gruͤnden und nach altem Gebrauche das Gedaͤchtnis ihrer verſtorbenen Freunde
eben ſo, wie die Budsdo und Sinsja. Sie nennen dies Go Bio Sio d. i. Gedaͤcht-
nistafelplaz
oder der beſte Plaz in ihrem Erbe; und feiern es beſonders mit Vorſetzung
der Speiſen von allerley geſchlachtetem rohem oder gekochtem Vieh, mit Anzuͤndung der Ker-
zen, und Buͤckung bis zur Erde, da ſie die Verſtorbnen als Lebendige verehren und com-
plimentiren. Dieſe Gedaͤchtnistage begehn ſie erſtlich alle ſieben Tage, hernach jeden Monat
und endlich jedes Jahr mit einem feierlichen Todtenmahl, zu dem ſie auch die Verwandten
der großen Maͤnner einladen. Man mus ſich auch dazu drey Tage vorher durch Enthal-
tung vom Beiſchlaf und allen ſuͤndlichen Dingen auch durch Reinigung des Koͤrpers und
Anlegung ſchoͤner Kleider wohl bereiten und geſchikt machen. Man kan dieſes alles als
die Folge eines dankbaren und gutgeſinten Herzens nicht tadeln; auch iſt der Selbſtmord
bey ihnen nur in einem Falle erlaubt, der einem Manne, welcher ein tugendvolles Leben
fuͤhrt, nicht leicht begegnen wird, nemlich, wenn man dadurch einer ſchaͤndlichen That
oder einem ſiegenden Feinde zuvorkoͤmt. Jn dieſem Fal aber wird der Selbſtmord als eine
tapfere und ruhmvolle Handlung empfohlen.

Die Todten verbrennen ſie nicht, ſondern laſſen ihre Leichen drey Tage uͤber der
Erde ſtehn, in Todtenkaſten, wie unſre europaͤiſchen Saͤrge. Sie ſind darin plat auf den
Ruͤcken gelegt, mit dem Kopf etwas hoch zuruͤkgelehnt. Zur Erhaltung des Leichnams
werden einige Spezereien und wohlriechende Kraͤuter beigelegt; auch dem Verſtorbnen zu
Ehren einige Lichter angezuͤndet.

Dieſe atheiſtiſchen Weltweiſen wollen keine heidniſche Feier zugeben, keine Reli-
gionspflichten ihren Abgoͤttern leiſten, außer die, welche der Wohlſtand und die buͤrgerliche
Hoͤflichkeit nothwendig macht. Sie begnuͤgen ſich, nach der Lehre eines Seneka, oder
nach unſerm Dekalogus, tugendhaft zu leben, gutes zu thun und ein ehrliches Gewiſſen zu
haben. Sie haben ſogar wohl die zum Feuer und Kreuz verdamte Chriſtenlehre beguͤnſtigt;
und ſie ſind deswegen immer in Verdacht. Nach Verbannung des Chriſtenthums hat man
daher das Geſez gemacht, daß ſie in ihren Haͤuſern einen Abgott oder deſſen Character auf-
ſetzen und ankleben muͤſſen, welches ganz wider ihren Willen geſchieht. Auch muͤſſen ſie
dieſe Goͤtter mit vorgeſeztem Rauchfas und Blumentoͤpfen verehren. Es pflegt gemeinig-
lich das Bild des Quanwons oder Amida’s zu ſeyn, welchem ſie nach Landesſitte hinter
dem Feuerheerde ſeinen Plaz anweiſen. An oͤffentlichen Orten, ihren Schulen und Akade-
mien haben ſie aus eignem Belieben das Bild des Confutius aufgeſtelt; und ſo auch wohl

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[306/0414] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. ewig, und Menſchen und Vieh aus Jn Jo des Himmels und den fuͤnf Elementen hervor- gekommen ſind. Dieſe Philoſophen halten zwar nichts von Tempeln und Goͤttern; doch feiern ſie aus politiſchen Gruͤnden und nach altem Gebrauche das Gedaͤchtnis ihrer verſtorbenen Freunde eben ſo, wie die Budsdo und Sinsja. Sie nennen dies Go Bio Sio d. i. Gedaͤcht- nistafelplaz oder der beſte Plaz in ihrem Erbe; und feiern es beſonders mit Vorſetzung der Speiſen von allerley geſchlachtetem rohem oder gekochtem Vieh, mit Anzuͤndung der Ker- zen, und Buͤckung bis zur Erde, da ſie die Verſtorbnen als Lebendige verehren und com- plimentiren. Dieſe Gedaͤchtnistage begehn ſie erſtlich alle ſieben Tage, hernach jeden Monat und endlich jedes Jahr mit einem feierlichen Todtenmahl, zu dem ſie auch die Verwandten der großen Maͤnner einladen. Man mus ſich auch dazu drey Tage vorher durch Enthal- tung vom Beiſchlaf und allen ſuͤndlichen Dingen auch durch Reinigung des Koͤrpers und Anlegung ſchoͤner Kleider wohl bereiten und geſchikt machen. Man kan dieſes alles als die Folge eines dankbaren und gutgeſinten Herzens nicht tadeln; auch iſt der Selbſtmord bey ihnen nur in einem Falle erlaubt, der einem Manne, welcher ein tugendvolles Leben fuͤhrt, nicht leicht begegnen wird, nemlich, wenn man dadurch einer ſchaͤndlichen That oder einem ſiegenden Feinde zuvorkoͤmt. Jn dieſem Fal aber wird der Selbſtmord als eine tapfere und ruhmvolle Handlung empfohlen. Die Todten verbrennen ſie nicht, ſondern laſſen ihre Leichen drey Tage uͤber der Erde ſtehn, in Todtenkaſten, wie unſre europaͤiſchen Saͤrge. Sie ſind darin plat auf den Ruͤcken gelegt, mit dem Kopf etwas hoch zuruͤkgelehnt. Zur Erhaltung des Leichnams werden einige Spezereien und wohlriechende Kraͤuter beigelegt; auch dem Verſtorbnen zu Ehren einige Lichter angezuͤndet. Dieſe atheiſtiſchen Weltweiſen wollen keine heidniſche Feier zugeben, keine Reli- gionspflichten ihren Abgoͤttern leiſten, außer die, welche der Wohlſtand und die buͤrgerliche Hoͤflichkeit nothwendig macht. Sie begnuͤgen ſich, nach der Lehre eines Seneka, oder nach unſerm Dekalogus, tugendhaft zu leben, gutes zu thun und ein ehrliches Gewiſſen zu haben. Sie haben ſogar wohl die zum Feuer und Kreuz verdamte Chriſtenlehre beguͤnſtigt; und ſie ſind deswegen immer in Verdacht. Nach Verbannung des Chriſtenthums hat man daher das Geſez gemacht, daß ſie in ihren Haͤuſern einen Abgott oder deſſen Character auf- ſetzen und ankleben muͤſſen, welches ganz wider ihren Willen geſchieht. Auch muͤſſen ſie dieſe Goͤtter mit vorgeſeztem Rauchfas und Blumentoͤpfen verehren. Es pflegt gemeinig- lich das Bild des Quanwons oder Amida’s zu ſeyn, welchem ſie nach Landesſitte hinter dem Feuerheerde ſeinen Plaz anweiſen. An oͤffentlichen Orten, ihren Schulen und Akade- mien haben ſie aus eignem Belieben das Bild des Confutius aufgeſtelt; und ſo auch wohl in

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/414>, abgerufen am 25.11.2024.