Fünft. Kap. Von den Jammabos oder Bergpriestern etc.
Der Jammabo verfertigt alsdann aus diesem Papier Pillen, von denen der Pa- tient alle Morgen eine niederschlucken und Wasser dazu trinken mus, welches aber gleich- fals mit gewissen geheimnisvollen Ceremonien und gegen die Weltgegend gewandt, die der Priester angiebt, mus geschöpft werden. Diese Charakterenpillen heißen Goof. Jn jeder Krankheit mus noch auf besondre Art verfahren werden. Selten nimt man zu diesem geheimnisvollen Mittel seine Zuflucht, außer in den allergefährlichsten Krankheiten, wenn schon alle Hofnung von natürlichen Mitteln aufgegeben ist.
Die Entdeckung der Schuld oder Unschuld solcher Personen, die im Verdacht ei- nes Verbrechens sind, geschieht theils durch das Aussprechen gewisser heiligen und bestim- ten Worte, theils und vorzüglich durch die Gegenwart eines in rothen Flammen sitzenden Götzens Fudo. Diese Probe wird aber nur insgeheim und meistens nur bey Bedienten, nicht aber gerichtlich vorgenommen, wie bey den Siamern, den Brachmanen und andern Heiden die Wasserprobe üblich ist, die auch wol unter uns Christen bey der Hexenbrennerey gebraucht wird. Sie geschieht entweder nur durch eine Art von Beschwörung, oder durch die Feuerprobe, oder durch das Trinken von Khumano no Goo. Wenn das erste, oder das bloße Beschwören sich kraftlos beweist; so versucht man es mit der Feuerprobe. Man macht nemlich ein Kohlfeuer in der Länge einer Klafter, durch welches die beschuldigte Person dreimal durchgehn mus. Bleibt sie alsdan ganz unbeschädigt, so wird sie für un- bezweifelt unschuldig erkant.
Das Trinken von Khumano no goo ist ein Beweis der Unschuld und auch das Mittel, das Bekäntnis von einem für schuldig schon Erkanten herauszubringen. Goo ist ein Papier, das mit verschiednen Charaktern beschrieben, mit einigen schwarzen Vögeln z. E. Raben, besezt, und mit den Petschafts der Jammabos bekräftigt ist. Der Aberglaube macht von diesem heiligen Papier mancherlei Gebrauch, unter andern pflegt man es an die Hauspfosten zu kleben, um böse Geister abzuwehren. Diese Papiere werden von den Jammabos aller Art verfertigt, aber die kräftigsten kommen aus Khumano, daher der Name. Von diesem Papier wird ein abgerissenes Stük dem Beschuldigten in Wasser zu trinken gegeben, welcher dann dadurch so grausam gequält wird, daß er sich nicht anders, als durch ein aufrichtiges Bekäntnis, fals er schuldig ist, helfen kan.
Die Jammabos können noch viel mehr Dinge mit diesem wunderbaren Papier machen. Sie behandeln damit glüende Kohlen und Eisen, ohne sich die mindeste Verletzung zu zu ziehn; sie löschen das stärkste Feuer damit aus; sie machen kalt Wasser siedend, und siedendes kalt; sie wissen den Säbel eines tollen Menschen in seiner Scheide so zu bevestigen, daß er ihn nicht heraus bringen kan; sie pariren damit den stärksten Hieben aus, u. s. w. Alles dieses machen sie entweder durch Verblendung ihrer Zuschauer, oder es sind wirkliche Geheimnisse
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Fuͤnft. Kap. Von den Jammabos oder Bergprieſtern ꝛc.
Der Jammabo verfertigt alsdann aus dieſem Papier Pillen, von denen der Pa- tient alle Morgen eine niederſchlucken und Waſſer dazu trinken mus, welches aber gleich- fals mit gewiſſen geheimnisvollen Ceremonien und gegen die Weltgegend gewandt, die der Prieſter angiebt, mus geſchoͤpft werden. Dieſe Charakterenpillen heißen Goof. Jn jeder Krankheit mus noch auf beſondre Art verfahren werden. Selten nimt man zu dieſem geheimnisvollen Mittel ſeine Zuflucht, außer in den allergefaͤhrlichſten Krankheiten, wenn ſchon alle Hofnung von natuͤrlichen Mitteln aufgegeben iſt.
Die Entdeckung der Schuld oder Unſchuld ſolcher Perſonen, die im Verdacht ei- nes Verbrechens ſind, geſchieht theils durch das Ausſprechen gewiſſer heiligen und beſtim- ten Worte, theils und vorzuͤglich durch die Gegenwart eines in rothen Flammen ſitzenden Goͤtzens Fudo. Dieſe Probe wird aber nur insgeheim und meiſtens nur bey Bedienten, nicht aber gerichtlich vorgenommen, wie bey den Siamern, den Brachmanen und andern Heiden die Waſſerprobe uͤblich iſt, die auch wol unter uns Chriſten bey der Hexenbrennerey gebraucht wird. Sie geſchieht entweder nur durch eine Art von Beſchwoͤrung, oder durch die Feuerprobe, oder durch das Trinken von Khumano no Goo. Wenn das erſte, oder das bloße Beſchwoͤren ſich kraftlos beweiſt; ſo verſucht man es mit der Feuerprobe. Man macht nemlich ein Kohlfeuer in der Laͤnge einer Klafter, durch welches die beſchuldigte Perſon dreimal durchgehn mus. Bleibt ſie alsdan ganz unbeſchaͤdigt, ſo wird ſie fuͤr un- bezweifelt unſchuldig erkant.
Das Trinken von Khumano no goo iſt ein Beweis der Unſchuld und auch das Mittel, das Bekaͤntnis von einem fuͤr ſchuldig ſchon Erkanten herauszubringen. Goo iſt ein Papier, das mit verſchiednen Charaktern beſchrieben, mit einigen ſchwarzen Voͤgeln z. E. Raben, beſezt, und mit den Petſchafts der Jammabos bekraͤftigt iſt. Der Aberglaube macht von dieſem heiligen Papier mancherlei Gebrauch, unter andern pflegt man es an die Hauspfoſten zu kleben, um boͤſe Geiſter abzuwehren. Dieſe Papiere werden von den Jammabos aller Art verfertigt, aber die kraͤftigſten kommen aus Khumano, daher der Name. Von dieſem Papier wird ein abgeriſſenes Stuͤk dem Beſchuldigten in Waſſer zu trinken gegeben, welcher dann dadurch ſo grauſam gequaͤlt wird, daß er ſich nicht anders, als durch ein aufrichtiges Bekaͤntnis, fals er ſchuldig iſt, helfen kan.
Die Jammabos koͤnnen noch viel mehr Dinge mit dieſem wunderbaren Papier machen. Sie behandeln damit gluͤende Kohlen und Eiſen, ohne ſich die mindeſte Verletzung zu zu ziehn; ſie loͤſchen das ſtaͤrkſte Feuer damit aus; ſie machen kalt Waſſer ſiedend, und ſiedendes kalt; ſie wiſſen den Saͤbel eines tollen Menſchen in ſeiner Scheide ſo zu beveſtigen, daß er ihn nicht heraus bringen kan; ſie pariren damit den ſtaͤrkſten Hieben aus, u. ſ. w. Alles dieſes machen ſie entweder durch Verblendung ihrer Zuſchauer, oder es ſind wirkliche Geheimniſſe
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Fuͤnft. Kap. Von den Jammabos oder Bergprieſtern ꝛc.
Der Jammabo verfertigt alsdann aus dieſem Papier Pillen, von denen der Pa-
tient alle Morgen eine niederſchlucken und Waſſer dazu trinken mus, welches aber gleich-
fals mit gewiſſen geheimnisvollen Ceremonien und gegen die Weltgegend gewandt, die der
Prieſter angiebt, mus geſchoͤpft werden. Dieſe Charakterenpillen heißen Goof. Jn
jeder Krankheit mus noch auf beſondre Art verfahren werden. Selten nimt man zu dieſem
geheimnisvollen Mittel ſeine Zuflucht, außer in den allergefaͤhrlichſten Krankheiten, wenn
ſchon alle Hofnung von natuͤrlichen Mitteln aufgegeben iſt.
Die Entdeckung der Schuld oder Unſchuld ſolcher Perſonen, die im Verdacht ei-
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ten Worte, theils und vorzuͤglich durch die Gegenwart eines in rothen Flammen ſitzenden
Goͤtzens Fudo. Dieſe Probe wird aber nur insgeheim und meiſtens nur bey Bedienten,
nicht aber gerichtlich vorgenommen, wie bey den Siamern, den Brachmanen und andern
Heiden die Waſſerprobe uͤblich iſt, die auch wol unter uns Chriſten bey der Hexenbrennerey
gebraucht wird. Sie geſchieht entweder nur durch eine Art von Beſchwoͤrung, oder durch
die Feuerprobe, oder durch das Trinken von Khumano no Goo. Wenn das erſte, oder
das bloße Beſchwoͤren ſich kraftlos beweiſt; ſo verſucht man es mit der Feuerprobe. Man
macht nemlich ein Kohlfeuer in der Laͤnge einer Klafter, durch welches die beſchuldigte
Perſon dreimal durchgehn mus. Bleibt ſie alsdan ganz unbeſchaͤdigt, ſo wird ſie fuͤr un-
bezweifelt unſchuldig erkant.
Das Trinken von Khumano no goo iſt ein Beweis der Unſchuld und auch das
Mittel, das Bekaͤntnis von einem fuͤr ſchuldig ſchon Erkanten herauszubringen. Goo iſt ein
Papier, das mit verſchiednen Charaktern beſchrieben, mit einigen ſchwarzen Voͤgeln z. E.
Raben, beſezt, und mit den Petſchafts der Jammabos bekraͤftigt iſt. Der Aberglaube
macht von dieſem heiligen Papier mancherlei Gebrauch, unter andern pflegt man es an die
Hauspfoſten zu kleben, um boͤſe Geiſter abzuwehren. Dieſe Papiere werden von den
Jammabos aller Art verfertigt, aber die kraͤftigſten kommen aus Khumano, daher der
Name. Von dieſem Papier wird ein abgeriſſenes Stuͤk dem Beſchuldigten in Waſſer zu
trinken gegeben, welcher dann dadurch ſo grauſam gequaͤlt wird, daß er ſich nicht anders,
als durch ein aufrichtiges Bekaͤntnis, fals er ſchuldig iſt, helfen kan.
Die Jammabos koͤnnen noch viel mehr Dinge mit dieſem wunderbaren Papier machen.
Sie behandeln damit gluͤende Kohlen und Eiſen, ohne ſich die mindeſte Verletzung zu zu ziehn;
ſie loͤſchen das ſtaͤrkſte Feuer damit aus; ſie machen kalt Waſſer ſiedend, und ſiedendes kalt;
ſie wiſſen den Saͤbel eines tollen Menſchen in ſeiner Scheide ſo zu beveſtigen, daß er ihn
nicht heraus bringen kan; ſie pariren damit den ſtaͤrkſten Hieben aus, u. ſ. w. Alles dieſes
machen ſie entweder durch Verblendung ihrer Zuſchauer, oder es ſind wirkliche Geheimniſſe
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/397>, abgerufen am 16.07.2024.
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