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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Drittes Buch.
anzusehn ist) zu thun und zu unterlassen vorschreiben. Außer diesem Gesez von der äußern
Reinigkeit haben weder die Götter noch die geistlichen Lehrer ihnen Gebote oder Verbote ge-
geben. Daher scheint es, müsse den Sintoisten alle Art von Wollust und Ueppigkeit völlig
erlaubt seyn, da sie durch keine Art von göttlicher Strafe zurükgehalten werden; und das
Gesez der Natur ist auch nicht so mächtig in ihnen, daß es sie allein in den Wegen der Tu-
gend ohne höhere Kraft und Belohnung solte erhalten können.*) Die weltliche Obrigkeit
hat daher die Gelindigkeit der Götter durch äußerst harte Strafen ersetzen müssen, mit denen
jezt alle Arten von Verbrechen belegt sind. Man hat aber bei ihrer Festsetzung meistens
nur politische Grundsätze befolgt. Die innerliche Reinigkeit der Japaner wird also nur
nach der Beobachtung dieser Gesetze der Obrigkeit und der des Lichts der Natur geschäzt.

Die äusserliche Reinigkeit erfordert eine Strenge Enthaltung von Blut, vom
Fleischessen und von Leichen. Wer sich mit einem dieser Dinge verunreinigt, darf vor der
Auslöschung dieser Unreinigkeit keine heilige Stätte besuchen, oder vor den Göttern erschei-
nen. Wer sich mit seinem eignen oder fremden Blute beflekt, ist sieben Tage lang Fusjo,
d. i.
er darf in sieben Tagen vor keine Götter treten. Wenn einer an einer Mia bauet,
und sich dabei bis aufs Blut beschädigt; so ist er mit Unglük behaftet, und so unrein, daß
er an einem so heiligen Gebäude ferner nicht arbeiten darf. Wenn sich ein solcher Unfal
bei der Erbauung oder Ausbesserung eines der Tempel von Tensio Daisin in Jsie ereig-
net; so wird dadurch das ganze Gebäude entweihet und mus nothwendig wieder abgenom-
men werden. Eine Frau, die ihre monathliche Reinigung hat, darf sich keiner Mia nä-
hern. Man erzählt auch als eine zuverlässige Sache, daß auf der heiligen Walfarth nach
Jsie den Weibern ihre Zeit allemal ausbliebe. Vermuthlich ist dies wirklich zuweilen

eine
*) [Spaltenumbruch]
Scheuchzer mus hier sein Original ganz
falsch verstanden haben, da er K. hier gerade das
Gegentheil von dem sagen läst, was ich in meinen
beiden Handschriften einstimmig finde. Nach ihm
ist das Gesez der Natur stark genug in den Sin-
toisten, sie vor zu großen Ausschweifungen zu be-
wahren. Hier ist die ganze Stelle in Scheuch-
zers sehr umschreibender Uebersetzung: Hence it
would be but natural to think, that they should
abandon themselves to all manner of voluptuousness
aud sinful pleasures and allow themselves without
restraint, whatever can gratify their wishes and de-
[Spaltenumbruch] sires, as being free from fear of acting contrary to
the will of the gods, and little apprehenfive of
the effects of their anger aud displeasure. And theis
perhaps would be the misetable case of a nation
in this condition, were it not for a more powersul
ruler within their hearts, natural reason, wich here
exerts itself with full force, and is of itself capable
enough to restrain from indulging their vices, and to
win over to the dominion of virtue all those, that
will but haarken to its dictates.
-- Man sieht
schon, daß die Natur der Sache selbst mehr für die
Leseart meiner Mascpte spricht.

Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
anzuſehn iſt) zu thun und zu unterlaſſen vorſchreiben. Außer dieſem Geſez von der aͤußern
Reinigkeit haben weder die Goͤtter noch die geiſtlichen Lehrer ihnen Gebote oder Verbote ge-
geben. Daher ſcheint es, muͤſſe den Sintoiſten alle Art von Wolluſt und Ueppigkeit voͤllig
erlaubt ſeyn, da ſie durch keine Art von goͤttlicher Strafe zuruͤkgehalten werden; und das
Geſez der Natur iſt auch nicht ſo maͤchtig in ihnen, daß es ſie allein in den Wegen der Tu-
gend ohne hoͤhere Kraft und Belohnung ſolte erhalten koͤnnen.*) Die weltliche Obrigkeit
hat daher die Gelindigkeit der Goͤtter durch aͤußerſt harte Strafen erſetzen muͤſſen, mit denen
jezt alle Arten von Verbrechen belegt ſind. Man hat aber bei ihrer Feſtſetzung meiſtens
nur politiſche Grundſaͤtze befolgt. Die innerliche Reinigkeit der Japaner wird alſo nur
nach der Beobachtung dieſer Geſetze der Obrigkeit und der des Lichts der Natur geſchaͤzt.

Die aͤuſſerliche Reinigkeit erfordert eine Strenge Enthaltung von Blut, vom
Fleiſcheſſen und von Leichen. Wer ſich mit einem dieſer Dinge verunreinigt, darf vor der
Ausloͤſchung dieſer Unreinigkeit keine heilige Staͤtte beſuchen, oder vor den Goͤttern erſchei-
nen. Wer ſich mit ſeinem eignen oder fremden Blute beflekt, iſt ſieben Tage lang Fusjo,
d. i.
er darf in ſieben Tagen vor keine Goͤtter treten. Wenn einer an einer Mia bauet,
und ſich dabei bis aufs Blut beſchaͤdigt; ſo iſt er mit Ungluͤk behaftet, und ſo unrein, daß
er an einem ſo heiligen Gebaͤude ferner nicht arbeiten darf. Wenn ſich ein ſolcher Unfal
bei der Erbauung oder Ausbeſſerung eines der Tempel von Tenſio Daiſin in Jsie ereig-
net; ſo wird dadurch das ganze Gebaͤude entweihet und mus nothwendig wieder abgenom-
men werden. Eine Frau, die ihre monathliche Reinigung hat, darf ſich keiner Mia naͤ-
hern. Man erzaͤhlt auch als eine zuverlaͤſſige Sache, daß auf der heiligen Walfarth nach
Jsie den Weibern ihre Zeit allemal ausbliebe. Vermuthlich iſt dies wirklich zuweilen

eine
*) [Spaltenumbruch]
Scheuchzer mus hier ſein Original ganz
falſch verſtanden haben, da er K. hier gerade das
Gegentheil von dem ſagen laͤſt, was ich in meinen
beiden Handſchriften einſtimmig finde. Nach ihm
iſt das Geſez der Natur ſtark genug in den Sin-
toiſten, ſie vor zu großen Ausſchweifungen zu be-
wahren. Hier iſt die ganze Stelle in Scheuch-
zers ſehr umſchreibender Ueberſetzung: Hence it
would be but natural to think, that they ſhould
abandon themſelves to all manner of voluptuouſneſſ
aud ſinful pleaſures and allow themſelves without
reſtraint, whatever can gratify their wiſhes and de-
[Spaltenumbruch] ſires, as being free from fear of acting contrary to
the will of the gods, and little apprehenfive of
the effects of their anger aud diſpleaſure. And theis
perhaps would be the miſetable caſe of a nation
in this condition, were it not for a more powerſul
ruler within their hearts, natural reaſon, wich here
exerts itſelf with full force, and is of itſelf capable
enough to reſtrain from indulging their vices, and to
win over to the dominion of virtue all thoſe, that
will but haarken to its dictates.
— Man ſieht
ſchon, daß die Natur der Sache ſelbſt mehr fuͤr die
Leſeart meiner Maſcpte ſpricht.
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[264/0370] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. anzuſehn iſt) zu thun und zu unterlaſſen vorſchreiben. Außer dieſem Geſez von der aͤußern Reinigkeit haben weder die Goͤtter noch die geiſtlichen Lehrer ihnen Gebote oder Verbote ge- geben. Daher ſcheint es, muͤſſe den Sintoiſten alle Art von Wolluſt und Ueppigkeit voͤllig erlaubt ſeyn, da ſie durch keine Art von goͤttlicher Strafe zuruͤkgehalten werden; und das Geſez der Natur iſt auch nicht ſo maͤchtig in ihnen, daß es ſie allein in den Wegen der Tu- gend ohne hoͤhere Kraft und Belohnung ſolte erhalten koͤnnen. *) Die weltliche Obrigkeit hat daher die Gelindigkeit der Goͤtter durch aͤußerſt harte Strafen erſetzen muͤſſen, mit denen jezt alle Arten von Verbrechen belegt ſind. Man hat aber bei ihrer Feſtſetzung meiſtens nur politiſche Grundſaͤtze befolgt. Die innerliche Reinigkeit der Japaner wird alſo nur nach der Beobachtung dieſer Geſetze der Obrigkeit und der des Lichts der Natur geſchaͤzt. Die aͤuſſerliche Reinigkeit erfordert eine Strenge Enthaltung von Blut, vom Fleiſcheſſen und von Leichen. Wer ſich mit einem dieſer Dinge verunreinigt, darf vor der Ausloͤſchung dieſer Unreinigkeit keine heilige Staͤtte beſuchen, oder vor den Goͤttern erſchei- nen. Wer ſich mit ſeinem eignen oder fremden Blute beflekt, iſt ſieben Tage lang Fusjo, d. i. er darf in ſieben Tagen vor keine Goͤtter treten. Wenn einer an einer Mia bauet, und ſich dabei bis aufs Blut beſchaͤdigt; ſo iſt er mit Ungluͤk behaftet, und ſo unrein, daß er an einem ſo heiligen Gebaͤude ferner nicht arbeiten darf. Wenn ſich ein ſolcher Unfal bei der Erbauung oder Ausbeſſerung eines der Tempel von Tenſio Daiſin in Jsie ereig- net; ſo wird dadurch das ganze Gebaͤude entweihet und mus nothwendig wieder abgenom- men werden. Eine Frau, die ihre monathliche Reinigung hat, darf ſich keiner Mia naͤ- hern. Man erzaͤhlt auch als eine zuverlaͤſſige Sache, daß auf der heiligen Walfarth nach Jsie den Weibern ihre Zeit allemal ausbliebe. Vermuthlich iſt dies wirklich zuweilen eine *) Scheuchzer mus hier ſein Original ganz falſch verſtanden haben, da er K. hier gerade das Gegentheil von dem ſagen laͤſt, was ich in meinen beiden Handſchriften einſtimmig finde. Nach ihm iſt das Geſez der Natur ſtark genug in den Sin- toiſten, ſie vor zu großen Ausſchweifungen zu be- wahren. Hier iſt die ganze Stelle in Scheuch- zers ſehr umſchreibender Ueberſetzung: Hence it would be but natural to think, that they ſhould abandon themſelves to all manner of voluptuouſneſſ aud ſinful pleaſures and allow themſelves without reſtraint, whatever can gratify their wiſhes and de- ſires, as being free from fear of acting contrary to the will of the gods, and little apprehenfive of the effects of their anger aud diſpleaſure. And theis perhaps would be the miſetable caſe of a nation in this condition, were it not for a more powerſul ruler within their hearts, natural reaſon, wich here exerts itſelf with full force, and is of itſelf capable enough to reſtrain from indulging their vices, and to win over to the dominion of virtue all thoſe, that will but haarken to its dictates. — Man ſieht ſchon, daß die Natur der Sache ſelbſt mehr fuͤr die Leſeart meiner Maſcpte ſpricht.

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/370>, abgerufen am 24.11.2024.