Zweites Kapitel. Von den sintoschen Tempeln, Glauben und Götterdienst.
Die Sinsju (so heißen die Anhänger der Sintoreligion) nennen ihre Götzenhäuser Mia, welches heist, Gedächtnishäuser oder Fana der Römer, oder auch Jas- jiro und Sja oder Sinssia, welches aber eigentlich den ganzen Umfang oder Hof der Mia mit allen dazu gehörenden Gebäuden bedeutet. Jhre Götter nennen sie Sin und Came, welches eigentlich so viel als Seele oder Geist bedeutet, denen sie noch die Beiwörter geben Miosin d. i. durchlauchtig, heilig; und Gengen, d. i. gerecht, strenge. Andere Religionsgenossen pflegen ihre Klöster, Bet -und Götzenhäuser, Si Sja, Tira, und ihre Götzen selbst Fotoye zu nennen. Alle Arten von ausländischen Nebengöttern heißen Bosatz oder Buds.
Die Mia sind eben so, wie die Tempel andrer Religionsverwandten, allemal in den angenehmsten Gegenden des Landes, selten innerhalb und gemeiniglich ausser den be- wohnten Orten, Flecken und Städten angelegt. Von dem Heerwege dieser Orte führt dann eine gerade, ebne Breite und mit inländischen Cypresbäumen besezte Allee zu der Mia oder deren Hof (area), der öfters mit vielen andern Gebäuden und Tempeln versehen ist. Die Allee ist aber allemal auf die Vorderseite der vornehmsten Mia gerichtet.
Diese Tempel liegen entweder in einem schattigen Lustwäldchen, oder am Abhange eines grünen Hügels. Eine ansehnliche steinerne Treppe führt hinan. Wo sich die Tem- pelallee von der Heerstraaße trent, steht allemahl (zur Unterscheidung von gemeinen Wegen) eine ansehnliche weite Ehrenpforte, die einen besondern Nahmen hat: Torii. Sie ist sehr einfach gebauet, und bestehet blos aus steinernen oder hölzernen Pfosten, oben mit
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Zweites Kapitel. Von den ſintoſchen Tempeln, Glauben und Goͤtterdienſt.
Die Sinsju (ſo heißen die Anhaͤnger der Sintoreligion) nennen ihre Goͤtzenhaͤuſer Mia, welches heiſt, Gedaͤchtnishaͤuſer oder Fana der Roͤmer, oder auch Jas- jiro und Sja oder Sinsſia, welches aber eigentlich den ganzen Umfang oder Hof der Mia mit allen dazu gehoͤrenden Gebaͤuden bedeutet. Jhre Goͤtter nennen ſie Sin und Came, welches eigentlich ſo viel als Seele oder Geiſt bedeutet, denen ſie noch die Beiwoͤrter geben Mioſin d. i. durchlauchtig, heilig; und Gengen, d. i. gerecht, ſtrenge. Andere Religionsgenoſſen pflegen ihre Kloͤſter, Bet -und Goͤtzenhaͤuſer, Si Sja, Tira, und ihre Goͤtzen ſelbſt Fotoye zu nennen. Alle Arten von auslaͤndiſchen Nebengoͤttern heißen Boſatz oder Buds.
Die Mia ſind eben ſo, wie die Tempel andrer Religionsverwandten, allemal in den angenehmſten Gegenden des Landes, ſelten innerhalb und gemeiniglich auſſer den be- wohnten Orten, Flecken und Staͤdten angelegt. Von dem Heerwege dieſer Orte fuͤhrt dann eine gerade, ebne Breite und mit inlaͤndiſchen Cypresbaͤumen beſezte Allee zu der Mia oder deren Hof (area), der oͤfters mit vielen andern Gebaͤuden und Tempeln verſehen iſt. Die Allee iſt aber allemal auf die Vorderſeite der vornehmſten Mia gerichtet.
Dieſe Tempel liegen entweder in einem ſchattigen Luſtwaͤldchen, oder am Abhange eines gruͤnen Huͤgels. Eine anſehnliche ſteinerne Treppe fuͤhrt hinan. Wo ſich die Tem- pelallee von der Heerſtraaße trent, ſteht allemahl (zur Unterſcheidung von gemeinen Wegen) eine anſehnliche weite Ehrenpforte, die einen beſondern Nahmen hat: Torii. Sie iſt ſehr einfach gebauet, und beſtehet blos aus ſteinernen oder hoͤlzernen Pfoſten, oben mit
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Zweites Kapitel.
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Die Sinsju (ſo heißen die Anhaͤnger der Sintoreligion) nennen ihre Goͤtzenhaͤuſer
Mia, welches heiſt, Gedaͤchtnishaͤuſer oder Fana der Roͤmer, oder auch Jas-
jiro und Sja oder Sinsſia, welches aber eigentlich den ganzen Umfang oder Hof der
Mia mit allen dazu gehoͤrenden Gebaͤuden bedeutet. Jhre Goͤtter nennen ſie Sin und Came,
welches eigentlich ſo viel als Seele oder Geiſt bedeutet, denen ſie noch die Beiwoͤrter geben
Mioſin d. i. durchlauchtig, heilig; und Gengen, d. i. gerecht, ſtrenge. Andere
Religionsgenoſſen pflegen ihre Kloͤſter, Bet -und Goͤtzenhaͤuſer, Si Sja, Tira, und
ihre Goͤtzen ſelbſt Fotoye zu nennen. Alle Arten von auslaͤndiſchen Nebengoͤttern heißen
Boſatz oder Buds.
Die Mia ſind eben ſo, wie die Tempel andrer Religionsverwandten, allemal in
den angenehmſten Gegenden des Landes, ſelten innerhalb und gemeiniglich auſſer den be-
wohnten Orten, Flecken und Staͤdten angelegt. Von dem Heerwege dieſer Orte fuͤhrt dann
eine gerade, ebne Breite und mit inlaͤndiſchen Cypresbaͤumen beſezte Allee zu der Mia
oder deren Hof (area), der oͤfters mit vielen andern Gebaͤuden und Tempeln verſehen iſt.
Die Allee iſt aber allemal auf die Vorderſeite der vornehmſten Mia gerichtet.
Dieſe Tempel liegen entweder in einem ſchattigen Luſtwaͤldchen, oder am Abhange
eines gruͤnen Huͤgels. Eine anſehnliche ſteinerne Treppe fuͤhrt hinan. Wo ſich die Tem-
pelallee von der Heerſtraaße trent, ſteht allemahl (zur Unterſcheidung von gemeinen Wegen)
eine anſehnliche weite Ehrenpforte, die einen beſondern Nahmen hat: Torii. Sie iſt
ſehr einfach gebauet, und beſtehet blos aus ſteinernen oder hoͤlzernen Pfoſten, oben mit
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/362>, abgerufen am 28.02.2025.
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