Erst. Kap. Namen der Götter, Gottmenschen und Kaiser etc.
Die Rechte, welche das Geschlecht der geistlichen Erbkaiser in Japan zur Krone und Regierung berufen, und welcher sie sich frei und ungehindert während einer viele Jahre fortdauernden Erbfolge erfreuet haben, sind auf eine in gerader Linie von Ten sio Dai dsin des Jsanagi erstgebornem Sohn und Erben, und immer dessen ältestem Sohn, und so weiter herunter herrührenden Abstammung gegründet. Es ist daher kaum eine Stadt oder Dorf im ganzen Kaiserthum, worin nicht ein oder etliche Tempel zu seinem Andenken auf- gerichtet wären, und wird besonders seiner Residenz, dem Vorgeben nach in der Provinz Jsje, solche Heiligkeit zugeschrieben, daß zu gewisser Jahrszeit das Volk von allerlei Range, Hohe und Niedrige, Reiche und Arme, dahin wie Pilgrimme walfahrten, wovon ich im vierten Kapitel des dritten Buchs ausführlicher reden werde.
Was die zweite und zweifelhafte Epoche betrift, so ist wenig bekant von dem Zustande dieser Länder und der Lebensart der Einwohner von Anfang der Schöpfung, da nach der Beschreibung des großen Gesezgebers Mosis das allerhöchste Wesen diese unsere Erdkugel aus nichts hervorgebracht hat, bis zur Zeit ihres ersten Monarchen Sin Mu Ten Oo, dessen Regierung sich im 660ten Jahre vor unsers Heilands Christi Geburt sol angefangen haben. Wenigstens ist wahrscheinlich, daß sie in dieser langen Zeit, oben und unten im Lande, wie die scytischen Einwohner der großen Tatarei noch heutiges Tages, zerstreuet in Horden, und von den übrigen Völkern der Welt durch ein felsichtes und unge- stümes Meer, so ihre Jnsuln umgiebt, ganz abgesondert im Stande der Natur und Freiheit ohne festgesezte Regierungsform und ohne alle Künste und Wissenschaften, ge- lebt haben.
Das benachbarte Königreich oder Kaiserthum China war damals bereits zu einer beträchtlichen Macht und Aufklärung angewachsen. Es blühete in Künsten und Wissen- schaften, welche auch nach Japan durch die Chineser überbracht wurden, und die Ja- paner verdanken es allerdings diesen, daß sie schon bei Zeiten cultivirt und civilisirt wurden.
Da sie nun auch von diesen ihren Nachbaren in den Grundsätzen einer monarchi- schen Regierung unterrichtet waren, so ist wahrscheinlich, daß sie sich mit destomehr Wil- ligkeit unterworfen haben, als Sin Mu Ten Oo über sie zu regieren anfieng, insonderheit da dieser Prinz von einer unter ihnen beliebten und heilig gehaltenen Familie entsprossen war. Zu eben dieser Zeit, damit eine so ansehnliche Periode in ihren chronologischen Büchern nicht leer bliebe, haben sie die Lücke mit denen Namen der ansehnlichsten Monarchen ange- füllet, welche nach der von Katsura Kuki niedergelegten Regierung nebst fünf andern von der Familie auf dem Thron von China gesessen haben sollen.
Der
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Erſt. Kap. Namen der Goͤtter, Gottmenſchen und Kaiſer ꝛc.
Die Rechte, welche das Geſchlecht der geiſtlichen Erbkaiſer in Japan zur Krone und Regierung berufen, und welcher ſie ſich frei und ungehindert waͤhrend einer viele Jahre fortdauernden Erbfolge erfreuet haben, ſind auf eine in gerader Linie von Ten ſio Dai dſin des Jſanagi erſtgebornem Sohn und Erben, und immer deſſen aͤlteſtem Sohn, und ſo weiter herunter herruͤhrenden Abſtammung gegruͤndet. Es iſt daher kaum eine Stadt oder Dorf im ganzen Kaiſerthum, worin nicht ein oder etliche Tempel zu ſeinem Andenken auf- gerichtet waͤren, und wird beſonders ſeiner Reſidenz, dem Vorgeben nach in der Provinz Jſje, ſolche Heiligkeit zugeſchrieben, daß zu gewiſſer Jahrszeit das Volk von allerlei Range, Hohe und Niedrige, Reiche und Arme, dahin wie Pilgrimme walfahrten, wovon ich im vierten Kapitel des dritten Buchs ausfuͤhrlicher reden werde.
Was die zweite und zweifelhafte Epoche betrift, ſo iſt wenig bekant von dem Zuſtande dieſer Laͤnder und der Lebensart der Einwohner von Anfang der Schoͤpfung, da nach der Beſchreibung des großen Geſezgebers Moſis das allerhoͤchſte Weſen dieſe unſere Erdkugel aus nichts hervorgebracht hat, bis zur Zeit ihres erſten Monarchen Sin Mu Ten Oo, deſſen Regierung ſich im 660ten Jahre vor unſers Heilands Chriſti Geburt ſol angefangen haben. Wenigſtens iſt wahrſcheinlich, daß ſie in dieſer langen Zeit, oben und unten im Lande, wie die ſcytiſchen Einwohner der großen Tatarei noch heutiges Tages, zerſtreuet in Horden, und von den uͤbrigen Voͤlkern der Welt durch ein felſichtes und unge- ſtuͤmes Meer, ſo ihre Jnſuln umgiebt, ganz abgeſondert im Stande der Natur und Freiheit ohne feſtgeſezte Regierungsform und ohne alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, ge- lebt haben.
Das benachbarte Koͤnigreich oder Kaiſerthum China war damals bereits zu einer betraͤchtlichen Macht und Aufklaͤrung angewachſen. Es bluͤhete in Kuͤnſten und Wiſſen- ſchaften, welche auch nach Japan durch die Chineſer uͤberbracht wurden, und die Ja- paner verdanken es allerdings dieſen, daß ſie ſchon bei Zeiten cultivirt und civiliſirt wurden.
Da ſie nun auch von dieſen ihren Nachbaren in den Grundſaͤtzen einer monarchi- ſchen Regierung unterrichtet waren, ſo iſt wahrſcheinlich, daß ſie ſich mit deſtomehr Wil- ligkeit unterworfen haben, als Sin Mu Ten Oo uͤber ſie zu regieren anfieng, inſonderheit da dieſer Prinz von einer unter ihnen beliebten und heilig gehaltenen Familie entſproſſen war. Zu eben dieſer Zeit, damit eine ſo anſehnliche Periode in ihren chronologiſchen Buͤchern nicht leer bliebe, haben ſie die Luͤcke mit denen Namen der anſehnlichſten Monarchen ange- fuͤllet, welche nach der von Katſura Kuki niedergelegten Regierung nebſt fuͤnf andern von der Familie auf dem Thron von China geſeſſen haben ſollen.
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Erſt. Kap. Namen der Goͤtter, Gottmenſchen und Kaiſer ꝛc.
Die Rechte, welche das Geſchlecht der geiſtlichen Erbkaiſer in Japan zur
Krone und Regierung berufen, und welcher ſie ſich frei und ungehindert waͤhrend einer viele
Jahre fortdauernden Erbfolge erfreuet haben, ſind auf eine in gerader Linie von Ten ſio
Dai dſin des Jſanagi erſtgebornem Sohn und Erben, und immer deſſen aͤlteſtem Sohn, und
ſo weiter herunter herruͤhrenden Abſtammung gegruͤndet. Es iſt daher kaum eine Stadt oder
Dorf im ganzen Kaiſerthum, worin nicht ein oder etliche Tempel zu ſeinem Andenken auf-
gerichtet waͤren, und wird beſonders ſeiner Reſidenz, dem Vorgeben nach in der Provinz
Jſje, ſolche Heiligkeit zugeſchrieben, daß zu gewiſſer Jahrszeit das Volk von allerlei Range,
Hohe und Niedrige, Reiche und Arme, dahin wie Pilgrimme walfahrten, wovon ich im
vierten Kapitel des dritten Buchs ausfuͤhrlicher reden werde.
Was die zweite und zweifelhafte Epoche betrift, ſo iſt wenig bekant von dem
Zuſtande dieſer Laͤnder und der Lebensart der Einwohner von Anfang der Schoͤpfung, da
nach der Beſchreibung des großen Geſezgebers Moſis das allerhoͤchſte Weſen dieſe unſere
Erdkugel aus nichts hervorgebracht hat, bis zur Zeit ihres erſten Monarchen Sin Mu
Ten Oo, deſſen Regierung ſich im 660ten Jahre vor unſers Heilands Chriſti Geburt ſol
angefangen haben. Wenigſtens iſt wahrſcheinlich, daß ſie in dieſer langen Zeit, oben und
unten im Lande, wie die ſcytiſchen Einwohner der großen Tatarei noch heutiges Tages,
zerſtreuet in Horden, und von den uͤbrigen Voͤlkern der Welt durch ein felſichtes und unge-
ſtuͤmes Meer, ſo ihre Jnſuln umgiebt, ganz abgeſondert im Stande der Natur und
Freiheit ohne feſtgeſezte Regierungsform und ohne alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, ge-
lebt haben.
Das benachbarte Koͤnigreich oder Kaiſerthum China war damals bereits zu einer
betraͤchtlichen Macht und Aufklaͤrung angewachſen. Es bluͤhete in Kuͤnſten und Wiſſen-
ſchaften, welche auch nach Japan durch die Chineſer uͤberbracht wurden, und die Ja-
paner verdanken es allerdings dieſen, daß ſie ſchon bei Zeiten cultivirt und civiliſirt
wurden.
Da ſie nun auch von dieſen ihren Nachbaren in den Grundſaͤtzen einer monarchi-
ſchen Regierung unterrichtet waren, ſo iſt wahrſcheinlich, daß ſie ſich mit deſtomehr Wil-
ligkeit unterworfen haben, als Sin Mu Ten Oo uͤber ſie zu regieren anfieng, inſonderheit
da dieſer Prinz von einer unter ihnen beliebten und heilig gehaltenen Familie entſproſſen war.
Zu eben dieſer Zeit, damit eine ſo anſehnliche Periode in ihren chronologiſchen Buͤchern
nicht leer bliebe, haben ſie die Luͤcke mit denen Namen der anſehnlichſten Monarchen ange-
fuͤllet, welche nach der von Katſura Kuki niedergelegten Regierung nebſt fuͤnf andern
von der Familie auf dem Thron von China geſeſſen haben ſollen.
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/265>, abgerufen am 16.02.2025.
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