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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Sechst. Kap. Ueber den Ursprung der Japaner.
Tanais (Don) und Wolga fortzogen, wollen wir immer diesen Flüssen nachgehn las-
sen, bis sie ihren Auffenthaltsort werden gefunden haben. Wir haben es hier vornemlich
mit denen zu thun, die sich an das östliche Ufer des kaspischen Meers wandten. Einige
Haufen, die hier dem großen Flus Oxus oder Dsjehuun bis zu seiner Quelle nachgiengen,
kamen natürlich in das Herz des herlichen und fruchtbaren Jndiens, und vermuthlich auch
ohne große Mühe bis an den Ursprung des großen Ganges. Hier durften sie nur den
verschiednen und sich weit verbreitenden Armen dieses Strohms nachgehn, um in Benga-
len, Pegu, Siam
und alle diese Länder eher einzudringen, als wenn sie die noch bis auf
den heutigen Tag wüste und ungebahnte maharinnische Gebirge hätten übersteigen, oder
auch die dürren Sandwüsten Siftuun oder Sablistuun durchwandern müssen, So
pflegt man noch jezt von Jspahan nach Candahar lieber über Mesjhed 375 Meilen in
die Krümme, als den geraden Weg von 250 Meilen durch die erwähnten Wüsten
zu reisen.

Ehe ich nun aber unsre nach Japan bestimte Kolonie abführe, mus ich noch vor-
her erwähnen, daß an der Ostseite des kaspischen Meers sich gleich anfangs eine sehr an-
sehnliche Nation der jezt sogenanten Türken und Yusbeken niedergelassen habe. Turk
heist ein Viehhirt, und Turkestaan ein Hirtenland; Yusbeck aber bedeutet hundert
Herrn,
daher Usbeck ein Land, das von vielen großen Herrn regiert wird. Diese beide
Völker haben eine Natur, Character, Religion und Sprache und sind daher ohne Zweifel
ursprünglich auch nur ein Volk. Man kan dasselbe mit gutem Recht eine Scheidung und
Trennung vieler Nationen, eine Mutter tapferer Helden, einen Stambaum großer Monar-
chen nennen. Dieses Volk hat sich von den Ufern des kaspischen Meers bis an die Grän-
zen von Kitaija (Sina) zwischen dem 40 und 50 sten Grad N. Br. weit ausgebreitet;
sich in viele Heerden und republikanische Staaten vertheilt, und sich allenthalben mit der Le-
bensart beschäftigt, die mit dem Namen zusammenstimt. Von diesen Türken oder
Turkmannen sind nun ausgegangen die dagestansche und nagayische Tataren; die
tatarische Einwohner des Reichs Casan; hinter denselben die boskarische Tataren;
auch die Einwohner der Provinz Mogestaan in Persien, und endlich die in diesem Reiche
mit schwarzen Zelten umherziehende Hirten. Auch alle Kisilbaschen, d. i. die Edelleute
und vornehmste Familien des persischen Reichs rühmen sich durchgehends, daß sie aus tur-
kistanischem Geblüt
abstammen. Eben so mus man auch die krimmischen Tataren,
welche sich am schwarzen Meere zwischen dem Dnieper und Don*) niedergelassen haben,

hieher
*) [Spaltenumbruch]
Das eine meiner Mascpte (nemlich das des
Oheims) hat hier Donau, und Scheuchzer hat in
[Spaltenumbruch] dem feinigen auch so gelesen. Es ist aber ohne
Zweifel ein Schreibfehler, da die krimmischen Ta-
taren

Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner.
Tanais (Don) und Wolga fortzogen, wollen wir immer dieſen Fluͤſſen nachgehn laſ-
ſen, bis ſie ihren Auffenthaltsort werden gefunden haben. Wir haben es hier vornemlich
mit denen zu thun, die ſich an das oͤſtliche Ufer des kaſpiſchen Meers wandten. Einige
Haufen, die hier dem großen Flus Oxus oder Dſjehuun bis zu ſeiner Quelle nachgiengen,
kamen natuͤrlich in das Herz des herlichen und fruchtbaren Jndiens, und vermuthlich auch
ohne große Muͤhe bis an den Urſprung des großen Ganges. Hier durften ſie nur den
verſchiednen und ſich weit verbreitenden Armen dieſes Strohms nachgehn, um in Benga-
len, Pegu, Siam
und alle dieſe Laͤnder eher einzudringen, als wenn ſie die noch bis auf
den heutigen Tag wuͤſte und ungebahnte maharinniſche Gebirge haͤtten uͤberſteigen, oder
auch die duͤrren Sandwuͤſten Siftuun oder Sablistuun durchwandern muͤſſen, So
pflegt man noch jezt von Jspahan nach Candahar lieber uͤber Meſjhed 375 Meilen in
die Kruͤmme, als den geraden Weg von 250 Meilen durch die erwaͤhnten Wuͤſten
zu reiſen.

Ehe ich nun aber unſre nach Japan beſtimte Kolonie abfuͤhre, mus ich noch vor-
her erwaͤhnen, daß an der Oſtſeite des kaspiſchen Meers ſich gleich anfangs eine ſehr an-
ſehnliche Nation der jezt ſogenanten Tuͤrken und Yusbeken niedergelaſſen habe. Turk
heiſt ein Viehhirt, und Turkeſtaan ein Hirtenland; Yusbeck aber bedeutet hundert
Herrn,
daher Usbeck ein Land, das von vielen großen Herrn regiert wird. Dieſe beide
Voͤlker haben eine Natur, Character, Religion und Sprache und ſind daher ohne Zweifel
urſpruͤnglich auch nur ein Volk. Man kan daſſelbe mit gutem Recht eine Scheidung und
Trennung vieler Nationen, eine Mutter tapferer Helden, einen Stambaum großer Monar-
chen nennen. Dieſes Volk hat ſich von den Ufern des kaſpiſchen Meers bis an die Graͤn-
zen von Kitaija (Sina) zwiſchen dem 40 und 50 ſten Grad N. Br. weit ausgebreitet;
ſich in viele Heerden und republikaniſche Staaten vertheilt, und ſich allenthalben mit der Le-
bensart beſchaͤftigt, die mit dem Namen zuſammenſtimt. Von dieſen Tuͤrken oder
Turkmannen ſind nun ausgegangen die dageſtanſche und nagayiſche Tataren; die
tatariſche Einwohner des Reichs Caſan; hinter denſelben die boskariſche Tataren;
auch die Einwohner der Provinz Mogeſtaan in Perſien, und endlich die in dieſem Reiche
mit ſchwarzen Zelten umherziehende Hirten. Auch alle Kiſilbaſchen, d. i. die Edelleute
und vornehmſte Familien des perſiſchen Reichs ruͤhmen ſich durchgehends, daß ſie aus tur-
kiſtaniſchem Gebluͤt
abſtammen. Eben ſo mus man auch die krimmiſchen Tataren,
welche ſich am ſchwarzen Meere zwiſchen dem Dnieper und Don*) niedergelaſſen haben,

hieher
*) [Spaltenumbruch]
Das eine meiner Maſcpte (nemlich das des
Oheims) hat hier Donau, und Scheuchzer hat in
[Spaltenumbruch] dem feinigen auch ſo geleſen. Es iſt aber ohne
Zweifel ein Schreibfehler, da die krimmiſchen Ta-
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[103/0191] Sechſt. Kap. Ueber den Urſprung der Japaner. Tanais (Don) und Wolga fortzogen, wollen wir immer dieſen Fluͤſſen nachgehn laſ- ſen, bis ſie ihren Auffenthaltsort werden gefunden haben. Wir haben es hier vornemlich mit denen zu thun, die ſich an das oͤſtliche Ufer des kaſpiſchen Meers wandten. Einige Haufen, die hier dem großen Flus Oxus oder Dſjehuun bis zu ſeiner Quelle nachgiengen, kamen natuͤrlich in das Herz des herlichen und fruchtbaren Jndiens, und vermuthlich auch ohne große Muͤhe bis an den Urſprung des großen Ganges. Hier durften ſie nur den verſchiednen und ſich weit verbreitenden Armen dieſes Strohms nachgehn, um in Benga- len, Pegu, Siam und alle dieſe Laͤnder eher einzudringen, als wenn ſie die noch bis auf den heutigen Tag wuͤſte und ungebahnte maharinniſche Gebirge haͤtten uͤberſteigen, oder auch die duͤrren Sandwuͤſten Siftuun oder Sablistuun durchwandern muͤſſen, So pflegt man noch jezt von Jspahan nach Candahar lieber uͤber Meſjhed 375 Meilen in die Kruͤmme, als den geraden Weg von 250 Meilen durch die erwaͤhnten Wuͤſten zu reiſen. Ehe ich nun aber unſre nach Japan beſtimte Kolonie abfuͤhre, mus ich noch vor- her erwaͤhnen, daß an der Oſtſeite des kaspiſchen Meers ſich gleich anfangs eine ſehr an- ſehnliche Nation der jezt ſogenanten Tuͤrken und Yusbeken niedergelaſſen habe. Turk heiſt ein Viehhirt, und Turkeſtaan ein Hirtenland; Yusbeck aber bedeutet hundert Herrn, daher Usbeck ein Land, das von vielen großen Herrn regiert wird. Dieſe beide Voͤlker haben eine Natur, Character, Religion und Sprache und ſind daher ohne Zweifel urſpruͤnglich auch nur ein Volk. Man kan daſſelbe mit gutem Recht eine Scheidung und Trennung vieler Nationen, eine Mutter tapferer Helden, einen Stambaum großer Monar- chen nennen. Dieſes Volk hat ſich von den Ufern des kaſpiſchen Meers bis an die Graͤn- zen von Kitaija (Sina) zwiſchen dem 40 und 50 ſten Grad N. Br. weit ausgebreitet; ſich in viele Heerden und republikaniſche Staaten vertheilt, und ſich allenthalben mit der Le- bensart beſchaͤftigt, die mit dem Namen zuſammenſtimt. Von dieſen Tuͤrken oder Turkmannen ſind nun ausgegangen die dageſtanſche und nagayiſche Tataren; die tatariſche Einwohner des Reichs Caſan; hinter denſelben die boskariſche Tataren; auch die Einwohner der Provinz Mogeſtaan in Perſien, und endlich die in dieſem Reiche mit ſchwarzen Zelten umherziehende Hirten. Auch alle Kiſilbaſchen, d. i. die Edelleute und vornehmſte Familien des perſiſchen Reichs ruͤhmen ſich durchgehends, daß ſie aus tur- kiſtaniſchem Gebluͤt abſtammen. Eben ſo mus man auch die krimmiſchen Tataren, welche ſich am ſchwarzen Meere zwiſchen dem Dnieper und Don *) niedergelaſſen haben, hieher *) Das eine meiner Maſcpte (nemlich das des Oheims) hat hier Donau, und Scheuchzer hat in dem feinigen auch ſo geleſen. Es iſt aber ohne Zweifel ein Schreibfehler, da die krimmiſchen Ta- taren

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/191>, abgerufen am 24.11.2024.