Der jetzige Kubo oder weltliche Kaiser heist Tsinajos. Er ist im vierten Ge- schlecht ein Nachkomme des Jjejas, ersten Kaisers aus dieser Familie, der sich im An- fang des sechzehnten Jahrhunderts auf den Thron von Japan sezte.
Tsinagos ist ein kluger, gerechter und strenger Herr. Er übt, wie seine Vorfah- ren, eine ganz unumschränkte Gewalt aus, und verfährt mit den Ländern seiner Fürsten nach ganz wilkührlichem Belieben. Er vertheilt, vertauscht sie, entsezt auch wol gar diese klei- nen Regenten ihrer Würde, wie er es ihren Verdiensten oder dem Vortheil des Reichs ge- mäs findet, oder wenigstens gemäs zu finden vorgiebt.
Die benanten Fürstenthümer werden von ihren Erbfürsten, die man Dai Mjo, d. i. Hochbenamt oder große Landesherrn nent, beherscht. Einigen derselben hat in vorigen Zeiten das Glük der Waffen noch mehr Länder gegeben. So besizt der Fürst von Satzuma auch die benachbarte beide Reichsprovinzen Osymi und Fjuga, der Herr von Canga, auch die angränzende Provinz Rsoto. Diese beide Fürsten werden daher auch für die mächtigsten des Reichs gehalten.
Die Herren kleiner Landschaften heißen Sjo Mjo oder Wohlbenamte, d. i. kleine Landesherren. Jhre Besitzungen sind theils kleine Jnseln, als Goto, Firando, Ama- kusa, Matsaki, theils festes Land auf den drei großen Jnseln. Sie werden im alge- meinen Reichscataster der 68. Provinzen, jede unter diejenige Provinz gebracht und ge- zählt, in deren Umkreis sie liegt. Diese Regenten sind in den neuern Zeiten dem Despotis- mus der Kaiser so sehr unterworfen worden, daß sie auch nur sechs Monat des Jahrs in ihren Erblanden zubringen dürfen, und die andere Hälfte des Jahrs am Hofe bei ihrer Fa- milie sich aufhalten müssen, welche daselbst beständig, als Geisel, bleibt.
Zu den kleinern Landschaften gehören auch noch kaiserliche Damaingüter. Diese waren entweder von Anfang zu Unterhaltung des obersten Monarchen bestimt; oder sie wer- den nach und nach denen in Ungnade gefalnen Fürsten abgenommen. Denn die Regie- rungskunst des kaiserlichen Hofes hat es immer zum Zwek gehabt, durch Vertheilung der größern Herschaften die Macht der Fürsten zu brechen, um für derselben ihren Thron zu sichern.
Die größern unter diesen Domainen werden durch Stathalter, welche Bugjo, d. i. hohe Bevolmächtigte, und die kleinern durch Rentmeister oder Amtmänner, Daiquan regiert. Die Einkünfte dieser Güter gehn unmittelbar in die kaiserliche Kammer.
Sech-
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Der jetzige Kubo oder weltliche Kaiſer heiſt Tſinajos. Er iſt im vierten Ge- ſchlecht ein Nachkomme des Jjejas, erſten Kaiſers aus dieſer Familie, der ſich im An- fang des ſechzehnten Jahrhunderts auf den Thron von Japan ſezte.
Tſinagos iſt ein kluger, gerechter und ſtrenger Herr. Er uͤbt, wie ſeine Vorfah- ren, eine ganz unumſchraͤnkte Gewalt aus, und verfaͤhrt mit den Laͤndern ſeiner Fuͤrſten nach ganz wilkuͤhrlichem Belieben. Er vertheilt, vertauſcht ſie, entſezt auch wol gar dieſe klei- nen Regenten ihrer Wuͤrde, wie er es ihren Verdienſten oder dem Vortheil des Reichs ge- maͤs findet, oder wenigſtens gemaͤs zu finden vorgiebt.
Die benanten Fuͤrſtenthuͤmer werden von ihren Erbfuͤrſten, die man Dai Mjo, d. i. Hochbenamt oder große Landesherrn nent, beherſcht. Einigen derſelben hat in vorigen Zeiten das Gluͤk der Waffen noch mehr Laͤnder gegeben. So beſizt der Fuͤrſt von Satzuma auch die benachbarte beide Reichsprovinzen Oſymi und Fjuga, der Herr von Canga, auch die angraͤnzende Provinz Rſoto. Dieſe beide Fuͤrſten werden daher auch fuͤr die maͤchtigſten des Reichs gehalten.
Die Herren kleiner Landſchaften heißen Sjo Mjo oder Wohlbenamte, d. i. kleine Landesherren. Jhre Beſitzungen ſind theils kleine Jnſeln, als Goto, Firando, Ama- kuſa, Matſaki, theils feſtes Land auf den drei großen Jnſeln. Sie werden im alge- meinen Reichscataſter der 68. Provinzen, jede unter diejenige Provinz gebracht und ge- zaͤhlt, in deren Umkreis ſie liegt. Dieſe Regenten ſind in den neuern Zeiten dem Deſpotiſ- mus der Kaiſer ſo ſehr unterworfen worden, daß ſie auch nur ſechs Monat des Jahrs in ihren Erblanden zubringen duͤrfen, und die andere Haͤlfte des Jahrs am Hofe bei ihrer Fa- milie ſich aufhalten muͤſſen, welche daſelbſt beſtaͤndig, als Geiſel, bleibt.
Zu den kleinern Landſchaften gehoͤren auch noch kaiſerliche Damainguͤter. Dieſe waren entweder von Anfang zu Unterhaltung des oberſten Monarchen beſtimt; oder ſie wer- den nach und nach denen in Ungnade gefalnen Fuͤrſten abgenommen. Denn die Regie- rungskunſt des kaiſerlichen Hofes hat es immer zum Zwek gehabt, durch Vertheilung der groͤßern Herſchaften die Macht der Fuͤrſten zu brechen, um fuͤr derſelben ihren Thron zu ſichern.
Die groͤßern unter dieſen Domainen werden durch Stathalter, welche Bugjo, d. i. hohe Bevolmaͤchtigte, und die kleinern durch Rentmeiſter oder Amtmaͤnner, Daiquan regiert. Die Einkuͤnfte dieſer Guͤter gehn unmittelbar in die kaiſerliche Kammer.
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Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
Der jetzige Kubo oder weltliche Kaiſer heiſt Tſinajos. Er iſt im vierten Ge-
ſchlecht ein Nachkomme des Jjejas, erſten Kaiſers aus dieſer Familie, der ſich im An-
fang des ſechzehnten Jahrhunderts auf den Thron von Japan ſezte.
Tſinagos iſt ein kluger, gerechter und ſtrenger Herr. Er uͤbt, wie ſeine Vorfah-
ren, eine ganz unumſchraͤnkte Gewalt aus, und verfaͤhrt mit den Laͤndern ſeiner Fuͤrſten nach
ganz wilkuͤhrlichem Belieben. Er vertheilt, vertauſcht ſie, entſezt auch wol gar dieſe klei-
nen Regenten ihrer Wuͤrde, wie er es ihren Verdienſten oder dem Vortheil des Reichs ge-
maͤs findet, oder wenigſtens gemaͤs zu finden vorgiebt.
Die benanten Fuͤrſtenthuͤmer werden von ihren Erbfuͤrſten, die man Dai Mjo,
d. i. Hochbenamt oder große Landesherrn nent, beherſcht. Einigen derſelben hat in
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Satzuma auch die benachbarte beide Reichsprovinzen Oſymi und Fjuga, der Herr von
Canga, auch die angraͤnzende Provinz Rſoto. Dieſe beide Fuͤrſten werden daher auch fuͤr
die maͤchtigſten des Reichs gehalten.
Die Herren kleiner Landſchaften heißen Sjo Mjo oder Wohlbenamte, d. i. kleine
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meinen Reichscataſter der 68. Provinzen, jede unter diejenige Provinz gebracht und ge-
zaͤhlt, in deren Umkreis ſie liegt. Dieſe Regenten ſind in den neuern Zeiten dem Deſpotiſ-
mus der Kaiſer ſo ſehr unterworfen worden, daß ſie auch nur ſechs Monat des Jahrs in
ihren Erblanden zubringen duͤrfen, und die andere Haͤlfte des Jahrs am Hofe bei ihrer Fa-
milie ſich aufhalten muͤſſen, welche daſelbſt beſtaͤndig, als Geiſel, bleibt.
Zu den kleinern Landſchaften gehoͤren auch noch kaiſerliche Damainguͤter. Dieſe
waren entweder von Anfang zu Unterhaltung des oberſten Monarchen beſtimt; oder ſie wer-
den nach und nach denen in Ungnade gefalnen Fuͤrſten abgenommen. Denn die Regie-
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groͤßern Herſchaften die Macht der Fuͤrſten zu brechen, um fuͤr derſelben ihren Thron zu
ſichern.
Die groͤßern unter dieſen Domainen werden durch Stathalter, welche Bugjo, d. i.
hohe Bevolmaͤchtigte, und die kleinern durch Rentmeiſter oder Amtmaͤnner, Daiquan
regiert. Die Einkuͤnfte dieſer Guͤter gehn unmittelbar in die kaiſerliche Kammer.
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/184>, abgerufen am 16.07.2024.
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