Schwarze Haare (bei bräunlichen (rojas) Brauen) wallen breit, locker, tief um das Antlitz herab, über der Stirn sich aufbäumend, die Ohren zudeckend. Graue Streifen haben sich bereits eingeschlichen. Etwas durcheinander, wie ein vom Ge- witter getroffenes Aehrenfeld. Dieser Kopf sitzt auf starken Schultern und sehr hoher Brust 1). Die aufgetriebenen Nasen- flügel lassen das Temperament zwischen den Zeilen lesen, denn nicht zu läugnen ist, dass das ruhelose Feuer dieses Geistes in dem Kopf des Gemäldes etwas latent ist, dass nur wer es weiss, die Spuren der darüber hingegangenen Stürme der Leidenschaft, die Gedankenarbeit, den Kampf auf Leben und Tod in diesen scheinbar ausdruckslosen Flächen ahnen wird. Dazu stimmt die Beleuchtung: von ferne sieht man einen nur theil- weis aus dem Dunkel hervortauchenden Kopf, der erst ganz neuerdings durch eine gelungene Restauration uns offenbar ge- worden ist 2).
Mehr an die Oberfläche tritt dieser Charakter in der merk- würdigen Terracottabüste der Nationalbibliothek. Sie hat den Spaniern Kopfzerbrechen verursacht, wer damals von ihren Bild- hauern einen solchen Kopf gemacht haben könnte. Jedermann nennt Alonso Cano; aber seine plastischen Arbeiten haben keine Spur von der Art dieses Werks. Und wenn Cano den Zügen des Dichters so nahegetreten wäre, wie hätte er für jene Zeich- nung das Bildniss eines andern zu Grund gelegt? Die Büste soll im Palast gewesen und von Philipp V der Bibliothek ge- schenkt sein. Warum sollte Philipp IV, der sich mit Buffonenbild- nissen umgab, den Satiriker verbannt haben? Wäre er empfind- lich gewesen wegen der bittern Wahrheiten, so war er Lieb- haber genug, der Kunst wegen an diesem Thonbild Freude zu haben. Meiner Ueberzeugung nach stammt es von einem Italiener, und wurde wahrscheinlich von Quevedo aus Neapel mitge- bracht. Es ist etwas darin von dem Geist der Köpfe Lorenzo Bernini's. Die freie italienische Auffassung erscheint uns hier im Gegensatz zu der immer wo nicht ceremoniösen, doch ver- schlossenen des Spaniers. Es ist das einzige Beispiel, wo Ve-
1) Pecho -- alto, y en generosa compostura, donde pueden caber honra y provecho.
2) Von Colnaghi. Früher musste man sich gestehn, dass nach einer Weg- nahme der dunklen Decke möglicher Weise eine ganz andre Hand zum Vorschein kommen könne.
Fünftes Buch.
Schwarze Haare (bei bräunlichen (rojas) Brauen) wallen breit, locker, tief um das Antlitz herab, über der Stirn sich aufbäumend, die Ohren zudeckend. Graue Streifen haben sich bereits eingeschlichen. Etwas durcheinander, wie ein vom Ge- witter getroffenes Aehrenfeld. Dieser Kopf sitzt auf starken Schultern und sehr hoher Brust 1). Die aufgetriebenen Nasen- flügel lassen das Temperament zwischen den Zeilen lesen, denn nicht zu läugnen ist, dass das ruhelose Feuer dieses Geistes in dem Kopf des Gemäldes etwas latent ist, dass nur wer es weiss, die Spuren der darüber hingegangenen Stürme der Leidenschaft, die Gedankenarbeit, den Kampf auf Leben und Tod in diesen scheinbar ausdruckslosen Flächen ahnen wird. Dazu stimmt die Beleuchtung: von ferne sieht man einen nur theil- weis aus dem Dunkel hervortauchenden Kopf, der erst ganz neuerdings durch eine gelungene Restauration uns offenbar ge- worden ist 2).
Mehr an die Oberfläche tritt dieser Charakter in der merk- würdigen Terracottabüste der Nationalbibliothek. Sie hat den Spaniern Kopfzerbrechen verursacht, wer damals von ihren Bild- hauern einen solchen Kopf gemacht haben könnte. Jedermann nennt Alonso Cano; aber seine plastischen Arbeiten haben keine Spur von der Art dieses Werks. Und wenn Cano den Zügen des Dichters so nahegetreten wäre, wie hätte er für jene Zeich- nung das Bildniss eines andern zu Grund gelegt? Die Büste soll im Palast gewesen und von Philipp V der Bibliothek ge- schenkt sein. Warum sollte Philipp IV, der sich mit Buffonenbild- nissen umgab, den Satiriker verbannt haben? Wäre er empfind- lich gewesen wegen der bittern Wahrheiten, so war er Lieb- haber genug, der Kunst wegen an diesem Thonbild Freude zu haben. Meiner Ueberzeugung nach stammt es von einem Italiener, und wurde wahrscheinlich von Quevedo aus Neapel mitge- bracht. Es ist etwas darin von dem Geist der Köpfe Lorenzo Bernini’s. Die freie italienische Auffassung erscheint uns hier im Gegensatz zu der immer wo nicht ceremoniösen, doch ver- schlossenen des Spaniers. Es ist das einzige Beispiel, wo Ve-
1) Pecho — alto, y en generosa compostura, donde pueden caber honra y provecho.
2) Von Colnaghi. Früher musste man sich gestehn, dass nach einer Weg- nahme der dunklen Decke möglicher Weise eine ganz andre Hand zum Vorschein kommen könne.
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Fünftes Buch.
Schwarze Haare (bei bräunlichen (rojas) Brauen) wallen
breit, locker, tief um das Antlitz herab, über der Stirn sich
aufbäumend, die Ohren zudeckend. Graue Streifen haben sich
bereits eingeschlichen. Etwas durcheinander, wie ein vom Ge-
witter getroffenes Aehrenfeld. Dieser Kopf sitzt auf starken
Schultern und sehr hoher Brust 1). Die aufgetriebenen Nasen-
flügel lassen das Temperament zwischen den Zeilen lesen,
denn nicht zu läugnen ist, dass das ruhelose Feuer dieses Geistes
in dem Kopf des Gemäldes etwas latent ist, dass nur wer es
weiss, die Spuren der darüber hingegangenen Stürme der
Leidenschaft, die Gedankenarbeit, den Kampf auf Leben und Tod
in diesen scheinbar ausdruckslosen Flächen ahnen wird. Dazu
stimmt die Beleuchtung: von ferne sieht man einen nur theil-
weis aus dem Dunkel hervortauchenden Kopf, der erst ganz
neuerdings durch eine gelungene Restauration uns offenbar ge-
worden ist 2).
Mehr an die Oberfläche tritt dieser Charakter in der merk-
würdigen Terracottabüste der Nationalbibliothek. Sie hat den
Spaniern Kopfzerbrechen verursacht, wer damals von ihren Bild-
hauern einen solchen Kopf gemacht haben könnte. Jedermann
nennt Alonso Cano; aber seine plastischen Arbeiten haben keine
Spur von der Art dieses Werks. Und wenn Cano den Zügen
des Dichters so nahegetreten wäre, wie hätte er für jene Zeich-
nung das Bildniss eines andern zu Grund gelegt? Die Büste
soll im Palast gewesen und von Philipp V der Bibliothek ge-
schenkt sein. Warum sollte Philipp IV, der sich mit Buffonenbild-
nissen umgab, den Satiriker verbannt haben? Wäre er empfind-
lich gewesen wegen der bittern Wahrheiten, so war er Lieb-
haber genug, der Kunst wegen an diesem Thonbild Freude zu
haben. Meiner Ueberzeugung nach stammt es von einem Italiener,
und wurde wahrscheinlich von Quevedo aus Neapel mitge-
bracht. Es ist etwas darin von dem Geist der Köpfe Lorenzo
Bernini’s. Die freie italienische Auffassung erscheint uns hier
im Gegensatz zu der immer wo nicht ceremoniösen, doch ver-
schlossenen des Spaniers. Es ist das einzige Beispiel, wo Ve-
1) Pecho — alto, y en generosa compostura, donde pueden caber honra y
provecho.
2) Von Colnaghi. Früher musste man sich gestehn, dass nach einer Weg-
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/68>, abgerufen am 04.12.2024.
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