Dargestellt ist der Besuch, welchen der neunzigjährige Antonius dem 113 jährigen, ihm bis dahin unbekannten Kollegen Paulus auf höheren Wink abstattete. "In der herrlichen Arm- seligkeit dieses Lebens wurde ihm offenbart, wo einer lebe voll- kommener als er. Paulus von Theben hatte seit der Verfolgung Diokletians in einer Höhle gewohnt; eine Palme gab ihm Nahrung, Schatten und Kleidung. Neunzig Jahre waren vergangen ohne dass die Menschen von ihm wussten ... Antonius kam nur zu seinem Tode" 1). -- Beide sitzen vor der Höhle auf Steinblöcken, in der Nähe der Quelle. Ihr Seelenaustausch wird eben unterbrochen durch die Erscheinung des Raben, mit dem Brot im Schnabel, das er seit sechzig Jahren täglich dem Heiligen zu Füssen legte; diessmal war es ein doppeltes. Dieser Rabe stammte von dem des Elias ab. In der verknöcherten Gestalt des heil. Paulus liest man das höhere Alter und die verwildernde Einsamkeit; der h. Antonius ist, wie auch sein Kostüm zeigt, der Civilisation näher geblieben; er ist auch der weniger Begnadigte. Aus den mühsam erhobenen müden Armen und zusammengeschlossenen Händen, dem Glanz der Augen spricht Dankbarkeit und zu- gleich Hunger; der andre breitet erstaunt die Hände aus. Velazquez bleibt immer der Meister sachgemässer Geberden- sprache, die nie zu wenig noch zu viel giebt; Spagnoletto's heftige wenn auch malerische Attituden im Geist Michelangelo's er- scheinen neben ihm konventionell. Nur im Kostüm ist er nicht korrekt. Paulus, der hier in weissem ärmellosem Kittel mit Strick gegürtet sitzt, trug ein Kleid von Palmblättern (was Don Quixote wusste, II, 24), Antonius, hier in braunem Rock und schwarzem Mantel, besass ein Hemd von Schafpelz und eine dunkle Kutte von rauhem Zeug.
In Mittel- und Hintergrund ist nach der Weise des Mittel- alters (auch ein Beweis wie wenig Velazquez Pedant war) die Wanderung des letztern zu der heiligen Höhle und das Ende der Geschichte über die Landschaft verstreut. Er begegnete auf dieser pfadlosen Reise Geschöpfen der Wüste, Halbmenschen, welche die blinde Heidenwelt als Halbgötter verehrt hatte. Zuerst einem Centauren, den er um den Weg fragte; sodann einem Männchen mit Ziegenfüssen, Geiernase und Hörnern, das sich ihm als Faun vorstellte und eine Mission für seinen Stamm erbat. Darauf sieht man ihn vor der Lattenthür der Höhle stehn und
1) K. Hase, Kirchengeschichte 74.
Siebentes Buch.
Dargestellt ist der Besuch, welchen der neunzigjährige Antonius dem 113 jährigen, ihm bis dahin unbekannten Kollegen Paulus auf höheren Wink abstattete. „In der herrlichen Arm- seligkeit dieses Lebens wurde ihm offenbart, wo einer lebe voll- kommener als er. Paulus von Theben hatte seit der Verfolgung Diokletians in einer Höhle gewohnt; eine Palme gab ihm Nahrung, Schatten und Kleidung. Neunzig Jahre waren vergangen ohne dass die Menschen von ihm wussten … Antonius kam nur zu seinem Tode“ 1). — Beide sitzen vor der Höhle auf Steinblöcken, in der Nähe der Quelle. Ihr Seelenaustausch wird eben unterbrochen durch die Erscheinung des Raben, mit dem Brot im Schnabel, das er seit sechzig Jahren täglich dem Heiligen zu Füssen legte; diessmal war es ein doppeltes. Dieser Rabe stammte von dem des Elias ab. In der verknöcherten Gestalt des heil. Paulus liest man das höhere Alter und die verwildernde Einsamkeit; der h. Antonius ist, wie auch sein Kostüm zeigt, der Civilisation näher geblieben; er ist auch der weniger Begnadigte. Aus den mühsam erhobenen müden Armen und zusammengeschlossenen Händen, dem Glanz der Augen spricht Dankbarkeit und zu- gleich Hunger; der andre breitet erstaunt die Hände aus. Velazquez bleibt immer der Meister sachgemässer Geberden- sprache, die nie zu wenig noch zu viel giebt; Spagnoletto’s heftige wenn auch malerische Attituden im Geist Michelangelo’s er- scheinen neben ihm konventionell. Nur im Kostüm ist er nicht korrekt. Paulus, der hier in weissem ärmellosem Kittel mit Strick gegürtet sitzt, trug ein Kleid von Palmblättern (was Don Quixote wusste, II, 24), Antonius, hier in braunem Rock und schwarzem Mantel, besass ein Hemd von Schafpelz und eine dunkle Kutte von rauhem Zeug.
In Mittel- und Hintergrund ist nach der Weise des Mittel- alters (auch ein Beweis wie wenig Velazquez Pedant war) die Wanderung des letztern zu der heiligen Höhle und das Ende der Geschichte über die Landschaft verstreut. Er begegnete auf dieser pfadlosen Reise Geschöpfen der Wüste, Halbmenschen, welche die blinde Heidenwelt als Halbgötter verehrt hatte. Zuerst einem Centauren, den er um den Weg fragte; sodann einem Männchen mit Ziegenfüssen, Geiernase und Hörnern, das sich ihm als Faun vorstellte und eine Mission für seinen Stamm erbat. Darauf sieht man ihn vor der Lattenthür der Höhle stehn und
1) K. Hase, Kirchengeschichte 74.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0404"n="378"/><fwplace="top"type="header">Siebentes Buch.</fw><lb/><p>Dargestellt ist der Besuch, welchen der neunzigjährige<lb/>
Antonius dem 113 jährigen, ihm bis dahin unbekannten Kollegen<lb/>
Paulus auf höheren Wink abstattete. „In der herrlichen Arm-<lb/>
seligkeit dieses Lebens wurde ihm offenbart, wo einer lebe voll-<lb/>
kommener als er. Paulus von Theben hatte seit der Verfolgung<lb/>
Diokletians in einer Höhle gewohnt; eine Palme gab ihm Nahrung,<lb/>
Schatten und Kleidung. Neunzig Jahre waren vergangen ohne dass<lb/>
die Menschen von ihm wussten … Antonius kam nur zu seinem<lb/>
Tode“<noteplace="foot"n="1)">K. Hase, Kirchengeschichte 74.</note>. — Beide sitzen vor der Höhle auf Steinblöcken, in der<lb/>
Nähe der Quelle. Ihr Seelenaustausch wird eben unterbrochen<lb/>
durch die Erscheinung des Raben, mit dem Brot im Schnabel, das<lb/>
er seit sechzig Jahren täglich dem Heiligen zu Füssen legte;<lb/>
diessmal war es ein doppeltes. Dieser Rabe stammte von dem<lb/>
des Elias ab. In der verknöcherten Gestalt des heil. Paulus liest<lb/>
man das höhere Alter und die verwildernde Einsamkeit; der<lb/>
h. Antonius ist, wie auch sein Kostüm zeigt, der Civilisation<lb/>
näher geblieben; er ist auch der weniger Begnadigte. Aus den<lb/>
mühsam erhobenen müden Armen und zusammengeschlossenen<lb/>
Händen, dem Glanz der Augen spricht Dankbarkeit und zu-<lb/>
gleich Hunger; der andre breitet erstaunt die Hände aus.<lb/>
Velazquez bleibt immer der Meister sachgemässer Geberden-<lb/>
sprache, die nie zu wenig noch zu viel giebt; Spagnoletto’s heftige<lb/>
wenn auch malerische Attituden im Geist Michelangelo’s er-<lb/>
scheinen neben ihm konventionell. Nur im Kostüm ist er nicht<lb/>
korrekt. Paulus, der hier in weissem ärmellosem Kittel mit Strick<lb/>
gegürtet sitzt, trug ein Kleid von Palmblättern (was Don Quixote<lb/>
wusste, II, 24), Antonius, hier in braunem Rock und schwarzem<lb/>
Mantel, besass ein Hemd von Schafpelz und eine dunkle Kutte<lb/>
von rauhem Zeug.</p><lb/><p>In Mittel- und Hintergrund ist nach der Weise des Mittel-<lb/>
alters (auch ein Beweis wie wenig Velazquez Pedant war) die<lb/>
Wanderung des letztern zu der heiligen Höhle und das Ende der<lb/>
Geschichte über die Landschaft verstreut. Er begegnete auf dieser<lb/>
pfadlosen Reise Geschöpfen der Wüste, Halbmenschen, welche<lb/>
die blinde Heidenwelt als Halbgötter verehrt hatte. Zuerst<lb/>
einem Centauren, den er um den Weg fragte; sodann einem<lb/>
Männchen mit Ziegenfüssen, Geiernase und Hörnern, das sich ihm<lb/>
als Faun vorstellte und eine Mission für seinen Stamm erbat.<lb/>
Darauf sieht man ihn vor der Lattenthür der Höhle stehn und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[378/0404]
Siebentes Buch.
Dargestellt ist der Besuch, welchen der neunzigjährige
Antonius dem 113 jährigen, ihm bis dahin unbekannten Kollegen
Paulus auf höheren Wink abstattete. „In der herrlichen Arm-
seligkeit dieses Lebens wurde ihm offenbart, wo einer lebe voll-
kommener als er. Paulus von Theben hatte seit der Verfolgung
Diokletians in einer Höhle gewohnt; eine Palme gab ihm Nahrung,
Schatten und Kleidung. Neunzig Jahre waren vergangen ohne dass
die Menschen von ihm wussten … Antonius kam nur zu seinem
Tode“ 1). — Beide sitzen vor der Höhle auf Steinblöcken, in der
Nähe der Quelle. Ihr Seelenaustausch wird eben unterbrochen
durch die Erscheinung des Raben, mit dem Brot im Schnabel, das
er seit sechzig Jahren täglich dem Heiligen zu Füssen legte;
diessmal war es ein doppeltes. Dieser Rabe stammte von dem
des Elias ab. In der verknöcherten Gestalt des heil. Paulus liest
man das höhere Alter und die verwildernde Einsamkeit; der
h. Antonius ist, wie auch sein Kostüm zeigt, der Civilisation
näher geblieben; er ist auch der weniger Begnadigte. Aus den
mühsam erhobenen müden Armen und zusammengeschlossenen
Händen, dem Glanz der Augen spricht Dankbarkeit und zu-
gleich Hunger; der andre breitet erstaunt die Hände aus.
Velazquez bleibt immer der Meister sachgemässer Geberden-
sprache, die nie zu wenig noch zu viel giebt; Spagnoletto’s heftige
wenn auch malerische Attituden im Geist Michelangelo’s er-
scheinen neben ihm konventionell. Nur im Kostüm ist er nicht
korrekt. Paulus, der hier in weissem ärmellosem Kittel mit Strick
gegürtet sitzt, trug ein Kleid von Palmblättern (was Don Quixote
wusste, II, 24), Antonius, hier in braunem Rock und schwarzem
Mantel, besass ein Hemd von Schafpelz und eine dunkle Kutte
von rauhem Zeug.
In Mittel- und Hintergrund ist nach der Weise des Mittel-
alters (auch ein Beweis wie wenig Velazquez Pedant war) die
Wanderung des letztern zu der heiligen Höhle und das Ende der
Geschichte über die Landschaft verstreut. Er begegnete auf dieser
pfadlosen Reise Geschöpfen der Wüste, Halbmenschen, welche
die blinde Heidenwelt als Halbgötter verehrt hatte. Zuerst
einem Centauren, den er um den Weg fragte; sodann einem
Männchen mit Ziegenfüssen, Geiernase und Hörnern, das sich ihm
als Faun vorstellte und eine Mission für seinen Stamm erbat.
Darauf sieht man ihn vor der Lattenthür der Höhle stehn und
1) K. Hase, Kirchengeschichte 74.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/404>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.