der Empfindung und Würde, Einfalt und Ebenmass, ernste Musik der Farbe.
Er verfuhr daher wie Raphael, der in der Verklärung die malerisch-dramatische Kompositionsweise der Cartons verliess und die strenge Symmetrie des Byzantinismus in die Bergscene aufnahm. Die Himmelskönigin thront in der Mitte; höher auf etwas zurückliegendem Plan, Christus und der ewige Vater. Eine un- malerische, der Bühne entlehnte Aufstellung also, wo die Ge- feierte, um der Andacht ganz sichtbar zu sein, den himmlischen Majestäten den Rücken wendet. Alle mittelalterliche Kirchen- garderobe hat er jedoch beseitigt: die Gewänder sind von dunklem schmucklosem Zeug, statt der Goldkrone wird ihr ein Kranz von Röschen aufgesetzt.
Adel der Frauenerscheinung hat er in dieser Madonna sicht- lich erstrebt. Sie ist von vornehmeren Zügen als in den Jugend- bildern der Hirten und Magier, ihr Blick stolz, ihre Gesten von vornehmer Grazie. Freilich vermisst man selige Freude, Ueber- raschung, Dankbarkeit. Aber so würde sich eine Castilierin in dieser Lage benehmen; standesgemässe Miene und Haltung wäre ihr Hauptgedanke: sie nimmt den Stolz ihrer neuen Würde an. Die gesenkten beschattenden Wimpern erinnern wol an Holdseligkeiten früherer Zeiten, aber sie erinnern nur daran, um ihre Abwesenheit fühlbar zu machen. Näher besehn hat sie so- gar etwas von Porträtcharakter, aber keinen italienischen, wie Jemand gesagt hat. Die starken Brauen und die grossen Augen, das Stumpfnäschen, der schmollende Mund, die schwarzen locker gewellten Haare, die so tief über die Schläfen gezogen sind und das Oval halbmondförmig einrahmen, geben dem Kopf doch einen Modellgeschmack. Aber kein Italiener oder Germane würde das für ein Madonnenmodell erklären. Ihr fehlt jenes Etwas, das auch die hausbacknen und hässlichen Typen des fünf- zehnten Jahrhunderts z. B. zu Madonnen geweiht hat, dies Zu- trauen erweckende Weibliche, dem sie ja ihre Mitregentschaft von Volkes Gnaden verdankt. Denkt man an Tizians Asunta etwa, wie deutlich erscheint hier der Abstand des italienischen und spanischen Kunstgeists, der die frostige Etikette selbst mit hinauf in den Himmel nimmt.
Der Ausdruck ist ausschliesslich den Händen überlassen. Die Rechte berührt die Brust, die Linke ist waagerecht ausge- streckt, in der Erwartung des grossen Augenblicks. Uns würde diese Mimik bei aller Anmuth kalt und melodramatisch erschei-
Siebentes Buch.
der Empfindung und Würde, Einfalt und Ebenmass, ernste Musik der Farbe.
Er verfuhr daher wie Raphael, der in der Verklärung die malerisch-dramatische Kompositionsweise der Cartons verliess und die strenge Symmetrie des Byzantinismus in die Bergscene aufnahm. Die Himmelskönigin thront in der Mitte; höher auf etwas zurückliegendem Plan, Christus und der ewige Vater. Eine un- malerische, der Bühne entlehnte Aufstellung also, wo die Ge- feierte, um der Andacht ganz sichtbar zu sein, den himmlischen Majestäten den Rücken wendet. Alle mittelalterliche Kirchen- garderobe hat er jedoch beseitigt: die Gewänder sind von dunklem schmucklosem Zeug, statt der Goldkrone wird ihr ein Kranz von Röschen aufgesetzt.
Adel der Frauenerscheinung hat er in dieser Madonna sicht- lich erstrebt. Sie ist von vornehmeren Zügen als in den Jugend- bildern der Hirten und Magier, ihr Blick stolz, ihre Gesten von vornehmer Grazie. Freilich vermisst man selige Freude, Ueber- raschung, Dankbarkeit. Aber so würde sich eine Castilierin in dieser Lage benehmen; standesgemässe Miene und Haltung wäre ihr Hauptgedanke: sie nimmt den Stolz ihrer neuen Würde an. Die gesenkten beschattenden Wimpern erinnern wol an Holdseligkeiten früherer Zeiten, aber sie erinnern nur daran, um ihre Abwesenheit fühlbar zu machen. Näher besehn hat sie so- gar etwas von Porträtcharakter, aber keinen italienischen, wie Jemand gesagt hat. Die starken Brauen und die grossen Augen, das Stumpfnäschen, der schmollende Mund, die schwarzen locker gewellten Haare, die so tief über die Schläfen gezogen sind und das Oval halbmondförmig einrahmen, geben dem Kopf doch einen Modellgeschmack. Aber kein Italiener oder Germane würde das für ein Madonnenmodell erklären. Ihr fehlt jenes Etwas, das auch die hausbacknen und hässlichen Typen des fünf- zehnten Jahrhunderts z. B. zu Madonnen geweiht hat, dies Zu- trauen erweckende Weibliche, dem sie ja ihre Mitregentschaft von Volkes Gnaden verdankt. Denkt man an Tizians Asunta etwa, wie deutlich erscheint hier der Abstand des italienischen und spanischen Kunstgeists, der die frostige Etikette selbst mit hinauf in den Himmel nimmt.
Der Ausdruck ist ausschliesslich den Händen überlassen. Die Rechte berührt die Brust, die Linke ist waagerecht ausge- streckt, in der Erwartung des grossen Augenblicks. Uns würde diese Mimik bei aller Anmuth kalt und melodramatisch erschei-
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Siebentes Buch.
der Empfindung und Würde, Einfalt und Ebenmass, ernste Musik
der Farbe.
Er verfuhr daher wie Raphael, der in der Verklärung die
malerisch-dramatische Kompositionsweise der Cartons verliess
und die strenge Symmetrie des Byzantinismus in die Bergscene
aufnahm. Die Himmelskönigin thront in der Mitte; höher auf etwas
zurückliegendem Plan, Christus und der ewige Vater. Eine un-
malerische, der Bühne entlehnte Aufstellung also, wo die Ge-
feierte, um der Andacht ganz sichtbar zu sein, den himmlischen
Majestäten den Rücken wendet. Alle mittelalterliche Kirchen-
garderobe hat er jedoch beseitigt: die Gewänder sind von dunklem
schmucklosem Zeug, statt der Goldkrone wird ihr ein Kranz von
Röschen aufgesetzt.
Adel der Frauenerscheinung hat er in dieser Madonna sicht-
lich erstrebt. Sie ist von vornehmeren Zügen als in den Jugend-
bildern der Hirten und Magier, ihr Blick stolz, ihre Gesten von
vornehmer Grazie. Freilich vermisst man selige Freude, Ueber-
raschung, Dankbarkeit. Aber so würde sich eine Castilierin
in dieser Lage benehmen; standesgemässe Miene und Haltung
wäre ihr Hauptgedanke: sie nimmt den Stolz ihrer neuen Würde
an. Die gesenkten beschattenden Wimpern erinnern wol an
Holdseligkeiten früherer Zeiten, aber sie erinnern nur daran, um
ihre Abwesenheit fühlbar zu machen. Näher besehn hat sie so-
gar etwas von Porträtcharakter, aber keinen italienischen, wie
Jemand gesagt hat. Die starken Brauen und die grossen Augen,
das Stumpfnäschen, der schmollende Mund, die schwarzen locker
gewellten Haare, die so tief über die Schläfen gezogen sind
und das Oval halbmondförmig einrahmen, geben dem Kopf doch
einen Modellgeschmack. Aber kein Italiener oder Germane
würde das für ein Madonnenmodell erklären. Ihr fehlt jenes
Etwas, das auch die hausbacknen und hässlichen Typen des fünf-
zehnten Jahrhunderts z. B. zu Madonnen geweiht hat, dies Zu-
trauen erweckende Weibliche, dem sie ja ihre Mitregentschaft
von Volkes Gnaden verdankt. Denkt man an Tizians Asunta
etwa, wie deutlich erscheint hier der Abstand des italienischen
und spanischen Kunstgeists, der die frostige Etikette selbst mit
hinauf in den Himmel nimmt.
Der Ausdruck ist ausschliesslich den Händen überlassen.
Die Rechte berührt die Brust, die Linke ist waagerecht ausge-
streckt, in der Erwartung des grossen Augenblicks. Uns würde
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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