humoristische Abtheilung: es sind die Narren der absoluten Frei- heit, erhaben über Rücksichten der Eitelkeit und Pflichten des Amts, oder wie Lichtenberg sagte, "frei herumgehende Philosophen".
Diese Specialität scheint Jusepe Ribera aufgebracht zu haben; er entdeckte sie in dem frühern Paradies der Bedürf- nisslosigkeit, Neapel. Die seinigen sind Candidaten der Galere und des presidio, aufgegriffen in den Vicoli des Mercato und der Porta Capuana, und zur Ergötzung eines Gelages von Werbe- officieren als Philosophen und Mathematiker kostümirt. Aber die Komik kommt kaum auf unter dem Druck der Rohheit. Dennoch müssen diese mächtig gebauten, harten, finstern, übel- duftenden Rüpel grossen Beifall gefunden haben, denn sie be- gegnen uns sehr oft in Galerien, und sind in Italien von Gior- dano, in Spanien von Esteban March nachgeahmt worden. --
Hier steht ein grauer Mann mit seltsam eingetrocknetem breitem Gesicht und trübseliger Miene. Die niedrige enge Stirn, die platte Nase, die kleinen geschwollenen Augen, der saure Mund mit der hängenden Unterlippe geben eine sonderbare, fast äffische Hässlichkeit. Er verachtet den Luxus des Leinens; den weiten Schlafrock hält etwas, das vielleicht der Rest des letzten Hemdes ist, zusammen, und dient zugleich der unter jenem Kittel verborgnen Hand als Stützpunkt. In der Linken hat er einen Schweinslederband. Da steht ein Zuber, über den ein schwarzer Lappen heraushängt, rechts ein Geräth, in dem man das Geschirr des Esels erkennen will, auf dem er seine Aus- gänge macht. Alle sonstigen Möbel sind beim Pfandverleiher. Den Sinn dieser Gestalt würde man schwerlich errathen, wenn der Maler nicht das Wort des Räthsels darüber geschrieben hätte. Hinter diesem trocknen Gesicht lauert der Witz, dieses winzige schläfrige Auge verbirgt den Sinn der Beobachtung, diese Hässlichkeit ist ein verständnissvermittelnder Zug der Ver- wandtschaft mit unsern unvollkommenen Brüdern; das Buch ist das Fabelbuch, in dem die graue Weisheit zu den Kindern her- absteigt; denn oben steht AESOPVS. Ein in Spanien wolbe- kannter Autor; wusste doch sogar Sancho Panza, dass zur Zeit Guisopete's die Thiere redeten (D. Quixote I, 25). Vielleicht hatte Velazquez im Ariost gelesen, dass Aesop durch erschütternde Hässlichkeit und Unreinlichkeit hervorragte1). Aber warum hat
1) Poi di fattezze, qual si pinge Esopo, D' attristar, se vi fosse, il paradiso; Bisunto e sporco, e d' abito mendico. Ariost, Orlando furioso 43, 135.
Siebentes Buch.
humoristische Abtheilung: es sind die Narren der absoluten Frei- heit, erhaben über Rücksichten der Eitelkeit und Pflichten des Amts, oder wie Lichtenberg sagte, „frei herumgehende Philosophen“.
Diese Specialität scheint Jusepe Ribera aufgebracht zu haben; er entdeckte sie in dem frühern Paradies der Bedürf- nisslosigkeit, Neapel. Die seinigen sind Candidaten der Galere und des presidio, aufgegriffen in den Vicoli des Mercato und der Porta Capuana, und zur Ergötzung eines Gelages von Werbe- officieren als Philosophen und Mathematiker kostümirt. Aber die Komik kommt kaum auf unter dem Druck der Rohheit. Dennoch müssen diese mächtig gebauten, harten, finstern, übel- duftenden Rüpel grossen Beifall gefunden haben, denn sie be- gegnen uns sehr oft in Galerien, und sind in Italien von Gior- dano, in Spanien von Estéban March nachgeahmt worden. —
Hier steht ein grauer Mann mit seltsam eingetrocknetem breitem Gesicht und trübseliger Miene. Die niedrige enge Stirn, die platte Nase, die kleinen geschwollenen Augen, der saure Mund mit der hängenden Unterlippe geben eine sonderbare, fast äffische Hässlichkeit. Er verachtet den Luxus des Leinens; den weiten Schlafrock hält etwas, das vielleicht der Rest des letzten Hemdes ist, zusammen, und dient zugleich der unter jenem Kittel verborgnen Hand als Stützpunkt. In der Linken hat er einen Schweinslederband. Da steht ein Zuber, über den ein schwarzer Lappen heraushängt, rechts ein Geräth, in dem man das Geschirr des Esels erkennen will, auf dem er seine Aus- gänge macht. Alle sonstigen Möbel sind beim Pfandverleiher. Den Sinn dieser Gestalt würde man schwerlich errathen, wenn der Maler nicht das Wort des Räthsels darüber geschrieben hätte. Hinter diesem trocknen Gesicht lauert der Witz, dieses winzige schläfrige Auge verbirgt den Sinn der Beobachtung, diese Hässlichkeit ist ein verständnissvermittelnder Zug der Ver- wandtschaft mit unsern unvollkommenen Brüdern; das Buch ist das Fabelbuch, in dem die graue Weisheit zu den Kindern her- absteigt; denn oben steht ÆSOPVS. Ein in Spanien wolbe- kannter Autor; wusste doch sogar Sancho Panza, dass zur Zeit Guisopete’s die Thiere redeten (D. Quixote I, 25). Vielleicht hatte Velazquez im Ariost gelesen, dass Aesop durch erschütternde Hässlichkeit und Unreinlichkeit hervorragte1). Aber warum hat
1) Poi di fattezze, qual si pinge Esopo, D’ attristar, se vi fosse, il paradiso; Bisunto e sporco, e d’ abito mendico. Ariost, Orlando furioso 43, 135.
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heit, erhaben über Rücksichten der Eitelkeit und Pflichten des Amts,
oder wie Lichtenberg sagte, „frei herumgehende Philosophen“.
Diese Specialität scheint Jusepe Ribera aufgebracht zu
haben; er entdeckte sie in dem frühern Paradies der Bedürf-
nisslosigkeit, Neapel. Die seinigen sind Candidaten der Galere
und des presidio, aufgegriffen in den Vicoli des Mercato und
der Porta Capuana, und zur Ergötzung eines Gelages von Werbe-
officieren als Philosophen und Mathematiker kostümirt. Aber
die Komik kommt kaum auf unter dem Druck der Rohheit.
Dennoch müssen diese mächtig gebauten, harten, finstern, übel-
duftenden Rüpel grossen Beifall gefunden haben, denn sie be-
gegnen uns sehr oft in Galerien, und sind in Italien von Gior-
dano, in Spanien von Estéban March nachgeahmt worden. —
Hier steht ein grauer Mann mit seltsam eingetrocknetem
breitem Gesicht und trübseliger Miene. Die niedrige enge Stirn,
die platte Nase, die kleinen geschwollenen Augen, der saure
Mund mit der hängenden Unterlippe geben eine sonderbare,
fast äffische Hässlichkeit. Er verachtet den Luxus des Leinens;
den weiten Schlafrock hält etwas, das vielleicht der Rest des
letzten Hemdes ist, zusammen, und dient zugleich der unter
jenem Kittel verborgnen Hand als Stützpunkt. In der Linken hat
er einen Schweinslederband. Da steht ein Zuber, über den ein
schwarzer Lappen heraushängt, rechts ein Geräth, in dem man
das Geschirr des Esels erkennen will, auf dem er seine Aus-
gänge macht. Alle sonstigen Möbel sind beim Pfandverleiher.
Den Sinn dieser Gestalt würde man schwerlich errathen, wenn
der Maler nicht das Wort des Räthsels darüber geschrieben
hätte. Hinter diesem trocknen Gesicht lauert der Witz, dieses
winzige schläfrige Auge verbirgt den Sinn der Beobachtung,
diese Hässlichkeit ist ein verständnissvermittelnder Zug der Ver-
wandtschaft mit unsern unvollkommenen Brüdern; das Buch ist
das Fabelbuch, in dem die graue Weisheit zu den Kindern her-
absteigt; denn oben steht ÆSOPVS. Ein in Spanien wolbe-
kannter Autor; wusste doch sogar Sancho Panza, dass zur Zeit
Guisopete’s die Thiere redeten (D. Quixote I, 25). Vielleicht hatte
Velazquez im Ariost gelesen, dass Aesop durch erschütternde
Hässlichkeit und Unreinlichkeit hervorragte 1). Aber warum hat
1) Poi di fattezze, qual si pinge Esopo,
D’ attristar, se vi fosse, il paradiso;
Bisunto e sporco, e d’ abito mendico. Ariost, Orlando furioso 43, 135.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/382>, abgerufen am 27.11.2024.
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